Karriere

Die Branche braucht dringend Personal - die Lösung sind einerseits Quereinsteiger, andererseits aber auch ein verstärkter Fokus auf den Branchennachwuchs. Bild: AdobeStock

«Ausbildung ist das Fundament jeder Branche»

Jean-Claude Raemy

THEMA FACHKRÄFTEMANGEL, Teil 1: Der Fachkräftemangel ist ein Dauerproblem der Reisebranche. Ist das Image der Branche noch gut genug? Was kann ein Unternehmen tun, um diesem Problem zu begegnen? Travelnews hat sich hierzu mit Walter Kunz, Geschäftsführer Schweizer Reise-Verband, unterhalten.

Das Problem des Fachkräftemangels ist bekannt. Vor allem in der Gastronomie und Hotellerie sind Mitarbeitende nur schwer zu finden, während viele bestehende Mitarbeitende Abgangsgelüste hegen (in der Schweiz sucht ein Fünftel der Angestellten in Hotellerie und Gastgewerbe nach einer neuen Stelle – doppelt so viele wie in der Gesamtwirtschaft). Das Problem findet sich auch in der Reisevermittlung, dort vor allem bei den Kundenberatern in Reisebüros. Ist das langfristige Fehlen von qualifiziertem Personal ein Risiko nicht nur für die Geschäftsentwicklung einzelner Reiseverkaufsunternehmen, sondern für die gesamte Reisebürobranche?

Die Ausbildungszahlen sinken seit Jahren kontinuierlich, manche brechen die Ausbildung im Tourismus ab oder verlassen die Branche bereits nach kurzer Zeit - einige kehren zurück (Travelnews berichtete), doch alle Abgänge wurden damit nicht kompensiert und in Summe ändert das auch nichts an der Tatsache, dass viele Reisenanbieter in der Schweiz unter Fachkräftemangel leiden. Als Gründe für den Fachkräftemangel werden immer dieselben Argumente angeführt: Die Branche sei infolge tiefer Löhne, vieler Überstunden, teils auch starren Strukturen und wenig Flexibilität unattraktiv.

Ist das wirklich so? Travelnews hat bei Walter Kunz, Geschäftsführer des Schweizer Reise-Verbands (SRV) nachgefragt.


Walter Kunz

Herr Kunz, hat die Reisebranche während der Pandemie etwas falsch gemacht, dass sie jetzt mit so einem Personalmangel konfrontiert ist?

Nein, das kann man generell so nicht sagen. Klar, einige Unternehmen bereuen inzwischen, zu viel Personal während der Pandemie entlassen zu haben, wodurch sie nun Probleme haben, dieses Personal zu ersetzen. Manche KMU, welche die Belegschaft durch die Krise mittrugen, stehen nun besser da. Aber wer konnte schon so eine Krise und deren langfristige Auswirkungen voraussehen?

Anders gefragt: Hat die Reisebranche ein Imageproblem, welches durch die Pandemie verstärkt wurde?

Wir haben insofern ein Imageproblem, als dass grosse Teile der Bevölkerung die Zukunftsperspektiven der Branche eher skeptisch sehen. Es lässt sich nicht von der Hand weisen, dass es ein Problem gibt in der Rekrutierung, das hören wir von allen Seiten.

Die Gründe dafür sind aber nicht zwingend nur hausgemacht, es gibt derzeit in vielen Branchen einen Arbeitskräftemangel. Und im Kampf um Talente hat die Reisebranche möglicherweise schon ein Problem, weil wir - gerade nach der Pandemie - einfach nicht imstande sind, sehr hohe Löhne zu zahlen. Aber mehr Salär anzubieten hilft sowieso nur kurzfristig als Lösung.

Wo sollte man sonst ansetzen?

Ich denke es ist wichtig, dass sich jeder Betrieb einmal die Frage stellt: Was habe ich in den letzten Jahren dazu beigetragen, um dem Fachkräftemangel entgegen zu wirken? Vielfach hören wir die Argumentation, dass die Zeit fehlt, einen Lernenden oder Praktikanten auszubilden. Es gibt einige die meinen, der Verband solle das für sie richten - doch so läuft das nun mal nicht. Ausbildung ist das Fundament jeder Branche, doch inzwischen werden über 90 Prozent der Reiseprofis bei den grössten Reiseunternehmen ausgebildet. Das muss sich ändern und die KMU’s sehe ich hier ebenfalls in der Pflicht.

Wie hilft denn der Verband?

Wir bieten diverse Plattformen, Grundlagen und Informationen, wir sind an der Berufsmesse aktiv dabei, und ich darf an dieser Stelle verraten, dass wir mit dem CEO der Vantage Group in engem Austausch stehen, um neue Modelle eines Quereinsteigerkurses zu schaffen. Aktuell sind aber nicht einmal zehn Personen für den nächsten Quereinsteigerkurs angemeldet. Der Verband kann dies zwar medial unterstützen – aber die potentiellen Quereinsteiger sollten von der Unternehmung bereits vor Schulbeginn einen Anstellungsvertag erhalten. Wir haben aber keine Handhabung den Unternehmen vorzuschrieben, dass sie die Kurskosten übernehmen sollen oder zumindest einen Teil davon. Dies muss jede Firma für sich entscheiden. Bislang mussten die Quereinsteiger für die Kosten selber aufkommen. Heute werden Quereinsteigerkurse - wie im Beispiel von Knecht Reisen - von der Firma bezahlt, gekoppelt an die Verpflichtung, sich nach Abschluss des Kurses für eine bestimmte Zeit an das Unternehmen zu binden, ansonsten die Kurskosten zu erstatten sind. Das ist unseres Erachtens ein Schritt in die richtige Richtung. Ansonsten werden wir in der heutigen Zeit die Leute nicht für unsere Branche gewinnen können.

Wir werden das Thema Fachkräftemangel im Rahmen der Fachtagung am Nachmittag nach der Generalversammlung in Sevilla behandeln. Wir sehen also durchaus die Dringlichkeit der Situation und versuchen unseren Teil beizutragen zur Lösung des Problems.

«Wir sehen die Dringlichkeit der Situation und versuchen unseren Teil beizutragen zur Lösung des Problems.»

Was ist mit einer Art Kampagne, die auf das Problem aufmerksam macht?

Eine Art Social-Media-Kampagne zum Berufsbild wäre schon eine Möglichkeit. Aber wie sieht dieses aus? Zuerst sollten sich alle Unternehmen fragen: Sind die von mir offerierten Arbeitsbedingungen gut genug? Was kann ich besser machen? Was erfordert der Job überhaupt? Die üblichen Reise-Benefits wiegen im Kampf um Talente nicht mehr besonders schwer. Man kann auch nicht einfach auf den Fachkräftemangel mit verlängerten Arbeitszeiten für die bestehende Belegschaft reagieren, das führt zu Überlastung. Wie kann man den Druck reduzieren und trotzdem produktiv bleiben? Der Verband kann mithelfen, dass nicht selbst verschuldete Zusatzbelastung - Stichwort Flugannullationen - in den Griff kommen. Aber wie es firmenintern aussieht, müssen die Unternehmen in einem Akt der Selbstreflexion regeln.

Manche führen die Workation ins Feld...

Ich weiss nicht, ob das als Argument pro Job in der Reisebranche allein selig macht. Aber es ist sicherlich einer von vielen möglichen positiven Lösungsansätzen.

Ihr Präsident hat mal suggeriert, dass das Wort Reisebüro veraltet sei.

Das mag schon sein, ich sehe dies aber nicht als zentrales Problem der Reisebranche. Wichtig wäre, dass sich die Branche föderiert, am gleichen Strick zieht und gemeinsam Lösungen erarbeitet.

Niemand erwartet eine Patentlösung vom SRV. Aber wenn Sie das Problem mittels drei Bulletpoints angehen würden, was würde dort stehen?

Ich würde das bisher Gesagte wiederholen.

  • Firmen sollten die Konditionen für ihre Arbeitnehmenden überdenken und wo nötig anpassen
  • Es sollten kontinuierlich viele Quereinsteigerkurse stattfinden
  • Sämtliche Reiseunternehmen sollten in der Ausbildung aktiv sein