Karriere

Die Umfrageresultate stellen auf den ersten Blick der Reisebranche kein gutes Zeugnis aus. Man muss aber, weil es eine Momentaufnahme nach zwei Jahren Pandemie ist, auch vorsichtig interpretieren. Bild: TN

Was tun, um die Branchenmüdigkeit zu überwinden?

Jean-Claude Raemy

Travelnews hat nach dem Befinden der Reisebranchen-Mitarbeitenden gefragt. 323 Personen haben an der Umfrage teilgenommen. Die ersten Erkenntnisse legen den Verdacht nahe, dass viel Branchenmüdigkeit herrscht. Dabei geht es jetzt wieder vorwärts. Jetzt sind die Arbeitgeber gefragt.

Letzte Woche lancierte Travelnews eine Umfrage, mit welcher anhand von sechs Fragen festgestellt werden sollte, wie die Job-Zufriedenheit innerhalb der Reisebranche ist. Das Echo war gut: Wir verzeichneten zwischen 323 und 303 Antworten. Die Bandbreite ergibt sich daraus, dass nicht alle Teilnehmenden sämtliche Fragen beantwortet haben.

Eine erste Auswertung der «nackten Zahlen» liest sich - zumindest aus Sicht der Reisebranche selbst - eher ernüchternd. Auf die simple Frage, ob man mit der Karrierewahl in der Reisebranche zufrieden sei, antworteten 26% mit Nein und weitere 33% mit unschlüssig; diskussionslos zufrieden sind demnach weniger als die Hälfte der Antwortenden (41%). Happige 28% suchen derweil aktuell auch nach einer Stelle ausserhalb der Branche und 29% sind sich unschlüssig, ob sie beruflich «weiterschauen» wollen. 8% wollen innerhalb der Branche wechseln; aus welchem Grund lässt sich nicht eruieren. Und lediglich 34% geben an, vollends in ihrem Job zufrieden zu sein.

Klar werden die Gründe dieser latenten Unzufriedenheit bei der Frage über die negativen Aspekte eines Branchenjobs: Genau die Hälfte spricht den (tiefen) Lohn als Problem an, während weitere 34% die Krisenanfälligkeit der Branche bemängeln. Kein Problem scheinen derweil der «Spass am Job» oder auch die Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb der Branche zu verursachen. Umgekehrt wollten wir aber auch wissen, was besonders toll ist an der Reisebranche - und auch da war das Verdikt klar: 50% schätzten die Vielseitigkeit des Jobs, weitere 43% die «Ambiance innerhalb der Reisebranche», und noch 7% das besondere Verhältnis zu Kunden, denen man schliesslich die schönsten Wochen des Jahres verkauft. Die Antwort «vielseitige Karrieremöglichkeiten» wurde dagegen überraschenderweise kein einziges Mal angekreuzt.

Darüber hinaus wurde nachgefragt, ob es eine hohe Mitarbeiterfluktuation im Unternehmen gebe, was doch 40% mit Ja beantworteten. Und auf die letzte Frage, ob das Unternehmen auch Lehrlinge ausbilde, gab es 54% positive Antworten. Letztere beiden Antworten legen nahe, dass viele Antworten von Reisebranchenmitarbeitenden aus grösseren Unternehmen kamen.   

Interpretation

Die Umfrageresultate legen nahe, dass es aktuell, nach zwei Jahren Pandemie, eine gewisse «Branchenmüdigkeit» gibt. Die Reisebranche wurde hart getroffen und konnte sich zumeist nur mittels Kurzarbeit - was stets eine Lohneinbusse auf in der Regel nicht sehr hohe Löhne bedeutet - und Spar- oder gar Abbau-Massnahmen über Wasser halten, und die Perioden, in denen nichts lief, wechselten sich mit Perioden hoher Nachfrage ab, die viel Aufwand bedeuteten. Aufwand, der vielfach blosses Verschieben oder Annullieren der Reisen beinhaltete - vor allem zu Beginn der Pandemie war der Aufwand riesig, für letztlich keinen Ertrag. Das schlägt aufs Gemüt.

Weiter ist es nichts Neues, dass die Löhne ein Dauerthema sind. Allerdings sollte man hier schon relativieren. Es gibt Aufstiegsmöglichkeiten und es gibt Branchenjobs, von denen sich sehr gut leben lässt. Allerdings sind die «Entry Level»-Löhne im Vergleich - innerhalb der Schweiz, wohlbemerkt - schon eher tief. Die Versuchung, einen höheren Lohn in einem gesicherten, wenngleich vielleicht auch «langweiligeren» Umfeld zu suchen, ist immer vorhanden.

Das Resultat reflektiert ganz bestimmt eine gewisse Verunsicherung. Mit dem Ende der Massnahmen und einem langsamen Restart der globalen Reisetätigkeit dürfte sich die Lage allerdings verbessern.

Zuversicht schaffen statt Mit-Jammern

Eine gewisse Angst könnte auch in dieses Resultat einfliessen, nämlich die Angst, wonach nun eine riesige Arbeitswelle auf die Reisebranche zukommt, ohne dass die finanzielle Lage der Unternehmen (und damit das Lohnniveau) sich im gleichen Schritt auch wieder verbessern. Dieser Sorge gaben schon SRV-Geschäftsführer Walter Kunz und STAR-Präsident Luc Vuilleumier bei einer Travelnews-Umfrage letzte Woche Ausdruck.

Travelnews hat auch bei Ursula Oehy Bubel, Rektorin der HFT Graubünden, nachgefragt, wie sie die Lage beurteilt. Sie relativiert die tendenziell negativen Resultate der Zufriedenheits-Umfrage: «Reden wir nur von Front-Office-Jobs? Von Schaltertätigkeiten? Reservationsabteilungen? Oder sehen wir wirklich die gesamte Tourismus- und Freizeitindustrie, die sich sehr aktiv entwickelt?» Heruntergebrochen auf Ihre Studenten bzw. die Studienabgänger, hält Oehy Bubel fest: «Die Eventbranche zieht nach wie vor sehr viele junge Menschen an. Es ist eine spannende Kombination aus Konzeption, Planung, Umsetzung, Vielseitigkeit, Menschenkontakt etc. Hier freuen sich die Studierenden riesig über die sich wieder bietenden Optionen. Wo ich ebenfalls keine Müdigkeit feststelle, ist bei Incoming-Stellen in Tourismusorganisationen oder bei den grösseren Leistungsträgern. Diese sind oft kommunal mitfinanziert und nicht so sehr den harten Gegebenheiten des freien Marktes ausgesetzt. Wo ich Corona-Ermüdung feststelle, ist in der Hotellerie, gerade in der Saisonhotellerie. Die Saisonzeit ist per se sehr intensiv, es kamen viele Ausfälle durch Isolation oder Quarantäne von Arbeitskollegen dazu und es gibt eine generell dünne Personaldecke, weil man als Betrieb vorsichtig geplant hat. Dann ist die Belastung extrem hoch. Leidet dann noch die Wertschätzung, dann machen das junge Menschen höchstens ein, zwei Saisons mit.»

Letzteres liesse sich auch auf Reisebüros/Reiseveranstalter ummünzen. Dort muss noch Vertrauen geschaffen werden, dass die Unternehmen auf sicheren Beinen stehen. Und aktuell werden merklich mehr Stellen wieder ausgeschrieben und besetzt. Ursula Oehy Bubel ist sicher: «Sobald die jungen Leute wieder Reisen können, beginnen sie sich wieder für die Branche zu faszinieren.» Einen Rückgang des Interesses an Reisebranchenjobs stellt sie jedenfalls nicht fest, wobei sie weiss, dass Bildung und Arbeitsalltag zwei Paar Schuhe sind: «Wir sind in der Bildung viel krisenresistenter. Lernen und in die Zukunft zu investieren, ist das Beste, was man während der Corona-Zeit tun konnte. Jene, die bald abschliessen, waren zur besten Zeit am besten Ort und können nun auf den mit zügigem Tempo anfahrenden Zug aufspringen. Die Auswahl an Stellen, angefangen bei den Praktika bis Festanstellungen, ist enorm. Wir haben übrigens auch zunehmend Studierende aus der Outgoing-Branche, die bei uns die Ausbildung wählen, um den Schritt ins Incoming, ins Eventmanagement oder die Bereiche Marketing/Kommunikation zu machen.» Eine ausgeprägte «Branchenmüdigkeit» sei nicht feststellbar; da aber das Studium auf die Marketing- und PR-Berufsprüfung vorbereite, nutzten in den letzten beiden Jahren vielleicht einige vermehrt die Chance, in eine andere Dienstleistungsbranche zu wechseln.

Wichtig wäre es wohl nun, dass die arbeitgebenden Unternehmen ihre Botschaften hinsichtlich der Branchenattraktivität achtsam formulieren. «Wir sollten uns jetzt darauf konzentrieren, das spannende Berufsfeld in seiner Vielseitigkeit zu kommunizieren», sagt Oehy Bubel, «man ist in einer Vielzahl von Kompetenzen gefordert, hat ein sehr breites Arbeitsfeld, national und international, kann seine Stärken einbringen, da wo man Erfolge erlebt. Es hat wirklich für jede und jeden etwas dabei.» Sicherlich wäre es auch gut, jenen, die während der ganzen Krise durchgehalten haben, jetzt etwas entgegenzukommen, sofern möglich. Das könnte die Zufriedenheit und Zuversicht steigern. Gerade Arbeitgeber sollten weniger (mit-)jammern und mehr Zuversicht schaffen, erst recht, wenn sie aktuell wieder Stellen ausschreiben.

Letzten Endes muss aber jeder für sich entscheiden und analysieren, ob das Gemisch aus Arbeitsinhalt, Lohn, beruflichem Umfeld, Herausforderung und Work-Life-Balance stimmt. Aktuell gibt es, das bestätigt obige Umfrage, gewiss etwas mehr Bedenken als früher. Das kann sich aber auch schnell wieder ändern.