Karriere

« Ich. » Cartoon: Silvio Erni

Egonomie

Felix Frei

Hier kommt, geschätzte Führungskräfte, eine Anregung zum Start in die neue Woche, zur Reflexion Ihrer Führungsprinzipien.

Im Wahlkampf von Bill Clinton vor 30 Jahren dominierte der Slogan: «It’s the economy, stupid!» («Es ist die Wirtschaft, Dummkopf!»). In manchen Führungsthemen sollten wir vielleicht kalauern: «It’s the egonomy, stupid!» Geliebtes Ego! Du sorgfältig zu pflegendes Terrain, du ach so leicht zu kränkende Mimose, du Quell jeden Führungswillens! Wie leicht geht dir doch der Lack ab ... Von Narzissmus reden wir also, und das macht klar, dass sich dieser Führungsbrief nicht an die wahren Narzissten selbst wenden kann. Denn so einem kann man den Spiegel gar nicht vorhalten. Falsch, stopp, ich korrigiere mich: Selbstverständlich kann man einem Narzissten den Spiegel vorhalten – bloss wird ihm überaus gefallen, was er darin sieht.

Wenn Sie es Ihrerseits mit solchen Narzissten zu tun haben, so können die eigentlich fast nur hierarchisch über Ihnen (oder allenfalls neben Ihnen) stehen. Denn stünden sie unter Ihnen, vermöchten sie das gut zu kaschieren und wüssten Ihre – wenn auch noch so schwach ausgeprägten – narzisstischen Bedürfnisse zu befriedigen. Zum Rausschmiss kommt es also nicht. Und höher- oder gleichgestellte Führungskräfte, die Ihnen vielleicht mit ihrem Narzissmus auf den Geist gehen, können Sie nicht rausschmeissen. Schwierig, schwierig.

Wo liegt denn überhaupt das Problem? Sind wir nicht alle ein wenig selbstverliebt? Braucht es nicht sogar zwingend eine gewisse Portion Narzissmus, um überhaupt Führungskraft werden und sein zu wollen?

In der Tat! Denn es braucht – wenn wir streng sein wollen – nur schon Selbstüberschätzung, um einen Führungsanspruch überhaupt geltend zu machen, auch wenn sich der Anspruch hinterher als berechtigt herausstellt: Die Selbstüberschätzung besteht nicht darin, dass Sie sich den Führungsjob (zu Recht oder nicht) zutrauen. Sie besteht darin, dass Sie ohne weitere Prüfung annehmen, Sie seien besser als alle anderen dafür geeignet. Die Berechtigung dieser Annahme lässt sich auch hinterher nicht mehr überprüfen – denn Sie haben ja nun den Job!

Also noch einmal: Wo liegt das Problem?

Keiner ist ja gänzlich frei von Narzissmus – zumindest in den Führungsetagen und bei den Beratern. Was sind die Kriterien, nach denen Narzissmus mit zunehmender Ausprägung problematisch wird, das heisst, dem Unternehmen zu schaden beginnt? Es sind vor allem die folgenden drei Fälle, die auf die watch list einer Unternehmung gehören. Und man kann einer Führungskraft nur raten, sich diese Punkte auf die persönliche Reflexionscheckliste zu schreiben, so dass sie sie selbst bekämpfen kann, bevor sie damit auf dem Radar ihrer Vorgesetzten aufleuchtet:

  • Andere klein machen. Das Selbstwertgefühl von Narzissten ist klein. Ohne dauernde Bestätigung können sie daher nicht leben. Problematisch wird es, wenn sie sich selbst dadurch zu erhöhen versuchen, dass sie andere klein machen. Ein guter Indikator ist, zu beobachten, wie sich jemand gegenüber Leuten verhält, die in der schwächeren Position sind. Nicht nur Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sondern Putzfrauen, Kellner, Verkäufer.
  • Das Denken anderer ersticken. Narzissten verlieben sich in jeden Gedanken, der ihnen – es muss von Gott selbst sein! – eingegeben wird. Problematisch wird es, wenn das eigene Denken so sehr als das einzig richtige hingestellt wird, dass die Menschen in der Umgebung sich nicht mehr getrauen, selbst zu denken. Ein guter Indikator ist, zu beobachten, ob jemandem überhaupt noch widersprochen wird oder ob er von Ja-Sagern umgeben ist.
  • Hermetisch werden. Um das eigene Ego keinerlei Bedrohung auszusetzen, neigt der Narzisst dazu, sich mehr und mehr nicht bloss gegen andere Meinungen, sondern überhaupt gegen nicht passende Informationen hermetisch abzuschirmen. Problematisch wird es, wenn die Abwehr keinerlei Prüfung mehr bedarf, sondern blitzschnell als automatische Reaktion erfolgt. Ein guter Indikator ist, zu beobachten, ob jemand es kaum mehr für nötig erachtet, in der Sache überhaupt zu argumentieren.

Die Vorwarnzeichen

Das sind, bei deutlicher Ausprägung, die schädlichsten drei Elemente. Wo narzisstische Selbstverliebtheit so weit führt, nimmt die Führung Schaden. Vorwarnzeichen dafür zeigen sich beispielsweise in Folgendem:

  • Die Empathie nur noch auf sich richten. Narzissten sind vor allem angesichts ihrer eigenen Gefühle gerührt. Es betrübt sie die für ihr Ego unzumutbare Erfahrung, dass/wenn sie sich ärgern mussten. Gefühle anderer dagegen nehmen sie wenig wahr.
  • Nicht über sich lachen können. Narzissten können zwar prima über ihre eigenen Witze lachen, nicht aber über sich selbst. Da hört der Spass nämlich auf. Der Humor des Herzens ist ohnehin ihre Sache nicht.
  • Die Kontingenz leugnen. Narzissten verstehen es hervorragend, alle Zeichen zu lesen und zu interpretieren. Das führt sie nahe an den Verfolgungswahn. Ihr stringentes, aber paranoides Denken unterscheidet überaus schnell zwischen Freund und Feind. Folgerichtig leugnen Narzissten alle Kontingenzen – das heisst Zufälle – auch beim eigenen Erfolg. Dieser ist immer ihr Werk, ein Misserfolg dagegen (wenn er sich denn nicht einfach ignorieren lässt), ist das Werk böswilliger Dritter. Bloss Glück gehabt haben Narzissten nie.
  • Besser sein müssen. Narzissten tun sich schwer damit, andere als besser gelten zu lassen. Ihre Strategie ist es, sofern sie die Möglichkeit dazu haben, dauernd die Spielregeln oder die Sportart zu wechseln. Das gibt ihnen Vorsprung. Es ist der Mechanismus, der zumindest einen Teil der Hektik im heutigen Change Management treibt. Dass der Narzisst dabei nur schneller aussieht, in Tat und Wahrheit aber bloss vorzeitig gestartet ist, fällt meistens gar nicht mehr auf.

Es versteht sich von selbst, dass es vom Ausmass der Befunde abhängt, ob der Narzissmus im konkreten Fall vielleicht zwar lächerlich, aber nicht gravierend ist, oder ob er für die Führung tatsächlich zum Problem wird. Und es hängt davon ab, was eine Persönlichkeit nebst einem Schuss Narzissmus sonst noch zu bieten hat: soziale Kompetenz, Achtsamkeit beispielsweise – oder aber eben nichts Derartiges. Für die eigene Diagnose könnte es sinnvoll sein, sich dem Urteil anderer auszusetzen. Vorausgesetzt, diese anderen sind unabhängig! Denn sonst werden sie dem Narzissten selbstredend bestätigen, dass er weit davon entfernt sei, ein Narzisst zu sein. Er wird es ihnen gerne glauben.

Die guten Seiten

Aber Narzissmus ist nicht nur und nicht immer negativ. Wo liegen seine guten Seiten?

In unserem Kontext müssen wir den Narzissmus nur schon dafür loben, dass er Führungskräfte hervorbringt. Weiter ist er für manche Leistung ein gratis zu habendes Motivationsmittel – er stachelt den Ehrgeiz an. Richtig dosiert vermag der Narzissmus den Auftritt und die kommunikative Wirkung einer Führungskraft massiv zu verbessern; wären uns sonst die besten Darstellungen unserer Lieblingsschauspieler überhaupt vergönnt? Führung hat schauspielerische Seiten, und wie soll uns ein Schauspieler gefallen, wenn er nicht zunächst und zumindest sich selbst gefällt?

Narzissmus ist ein Aphrodisiakum der Führung. Er ersetzt nichts, aber er stimuliert manches. Hören wir also auf, den Narzissmus nur zu verteufeln. Betrachten wir ihn als guten Wein, der massvoll und mit Stil genossen sein will. «Egonomie» wäre dann die Kunst zu wissen, wann einem selbst wie viel Narzissmus bekommt.