Karriere

«Ihre Mimik, Ihre Gesten, Ihr ganzer Körperausdruck liefern den Klartext zu dem, was Sie ausdrücken. Ihre Worte sollten sich damit decken.» Cartoon: Silvio Erni

Analoge Kommunikation

Felix Frei

Hier kommt, geschätzte Führungskräfte, eine Anregung zum Start in die neue Woche, zur Reflexion Ihrer Führungsprinzipien.

Sie wissen, in der zwischenmenschlichen Kommunikation ist es so: Digitale Kommunikation umfasst die Worte (wie man sie aufschreiben könnte), analoge Kommunikation umfasst den Rest, also Tonfall, Gesten, Mimik, Körperhaltung – und sogar mitunter das, was digital gar nicht gesagt wurde («beredtes Schweigen» also). Von solcher analoger Kommunikation soll hier die Rede sein (und nicht etwa von analogem statt digitalem HDTV oder so...). Analoge Kommunikation kennen auch Tiere, sie ist also älter als die digitale und oft unglaublich wirkungsvoll.

Ein Steckbrief

Zählen wir einmal ein paar Facetten auf, die für analoge Kommunikation charakteristisch sind, auch wenn sie sie keineswegs vollständig beschreiben:

  • Der analoge Kommunikationskanal ist immer in Betrieb. Er lässt sich nicht abstellen. «Man kann nicht nicht kommunizieren», lehrte uns deshalb Paul Watzlawick. Nur Digitales können wir unausgesprochen lassen.
  • Mit analoger Kommunikation wird oft (aber keineswegs immer) die digitale angereichert und präzisiert. Wir zeigen mit ringenden Händen, dass wir mit unseren gesprochenen Worten selbst nicht ganz zufrieden sind und nicht glauben, uns genügend präzise ausgedrückt zu haben. Wir signalisieren mit einem Lächeln, dass unsere Mitteilung – ungeachtet einer vielleicht nicht ganz glücklichen Wortwahl – freundlich gemeint ist.
  • Wir können mit dem Tonfall und/oder dem Gesichtsausdruck aber auch deutlich machen, dass wir genau das Gegenteil von dem meinen, was wir formulieren. Kleine Kinder müssen solche Ironie zuerst lernen, sie können sie nicht einfach so richtig deuten.
  • Wir achten beim Gegenüber sehr genau – wenn auch meist gar nicht bewusst – auf seine analoge Kommunikation. Sie liefert uns die Leseanweisung für seine digitale Kommunikation, also die Worte, die es ausspricht.
  • Manche von uns beherrschen ihre analoge Kommunikation gut. Sie sind wie richtige Schauspieler. Als Eltern oder Vorgesetzte können sie im Bedarfsfall gute oder aber böse Miene zum Spiel machen – unabhängig davon, wie sie sich gerade fühlen. Andere wiederum können das nicht oder nicht gut; sie sind wie ein offenes Buch, für jeden zu lesen.
  • Analoge Kommunikation ist immer real-time und umfasst mehrere parallele Kanäle (Tonfall, Gesten, Mimik, Körperhaltung usw.), die aber nicht in jedem Fall das Gleiche signalisieren. Analoge Kommunikation klärt also nicht immer, sie verwirrt mitunter auch. Besonders da, wo wir sie (oder einzelne Kanäle davon) bewusst zu steuern versuchen. (Wussten Sie, dass nur sehr gute Schauspieler auf Befehl exakt so lächeln können, wie sie es spontan tun würden? Bestimmte hierfür nötige Gesichtsmuskeln können die meisten von uns nämlich gar nicht willentlich ansteuern.)

In der Führung resultieren aus diesen Besonderheiten mitunter Probleme, zum Teil neueren Datums.

«Moderne» Risiken

Im Verhältnis von analoger zu digitaler Kommunikation lagen eben schon immer nicht nur (Klärungs-) Chancen, sondern auch Risiken. Ich erwähne im Folgenden nur die neueren. Betrachten Sie sie als Checkliste für Ihre eigene Führungssituation und prüfen Sie selbst, was davon für Sie relevant ist:

  • Im Unterschied zur gängigen Behauptung, wir litten alle unter einer Informationsüberflutung, ist es in der betrieblichen Kommunikation eher so, dass wir an Informationsverarmung leiden: E-Mails sind in der Regel rein digital. Ohne die Klärungsunterstützung durch die analoge Kommunikation kommt es daher sehr leicht zu Missverständnissen. (Einzig Emoticons steuern da wenigstens ein klein wenig entgegen.)
  • Das Kommunikationsspektrum hat sich kulturell verengt. Wo alle per Du sind, werden Beziehungen schwieriger lesbar. Wo sprachlich enge Höflichkeitsregeln gelten und man Konflikte kaum mehr lautstark austrägt, ist es schwieriger zu spüren, wie verstimmt der andere wirklich ist. Nur bei der Queen weiss jeder, wie ernst die Lage ist, wenn «we are not amused». Wenn im management speak keine Probleme mehr existieren, sondern nur noch Herausforderungen, dann lässt sich manches nur noch richtig lesen, wenn es analog präzisiert wird: in einer Telefon- oder Videokonferenz (womöglich über interkulturelle Grenzen hinweg) geht das aber schlecht, und in den PowerPoint-Präsentationen lässt es sich hinterher nicht mehr nachvollziehen.
  • Wenn der tägliche Speed im Unternehmen so hoch ist, dass viele Vorgesetzte rund um die Uhr wirken, als wären sie ununterbrochen auf Ritalin, entsteht eine Kommunikation, die auf analoger Schiene permanent sehr viel mehr Stress und Krise und Konflikt signalisiert als tatsächlich gemeint ist. Damit wird Ängstlichkeit und Nervosität ausgelöst, die ihrerseits wieder auf die Kommunikationspartner zurückwirken und so die Emotionen eskalieren lassen. Diagnostiziert wird dann «operative Hektik», obwohl sich das Problem nicht durch Aktivitätenkürzung lösen lässt. Vielmehr bräuchte es «Management by Schindler-Lift» – wo immer schon auf einem Schild für den Notfall als Punkt 1 vermerkt war: «Ruhe bewahren!»
  • Und wenn wir schon beim Lift sind: Der bei dynamischen Managern heute so beliebte Elevator-Pitch («Sie haben 90 Sekunden, um mir zu sagen, was das Problem ist und wie Sie es lösen wollen. Los!») zeugt von einem Verständnis von menschlicher Kommunikation, das man als überaus primitiv bezeichnen müsste, wüsste man nicht, dass es gerade die so genannt Primitiven waren, die sehr viel mehr davon verstanden und sich deshalb ausführlich Zeit nahmen, sich Geschichten (am Lagerfeuer) zu erzählen.
  • Amüsant ist dagegen, dass es ausgerechnet die modernsten digitalen (!) Tools sind, deren Entwickler die Bedeutung der analogen Kommunikation erkannt oder wiederentdeckt haben: Ihr iPad oder iPhone bedienen Sie ja längst nur mehr mit allerlei Gesten, die Ihnen ebenso selbstverständlich und intuitiv gelingen wie einem dreijährigen Kind. Amüsant ist das, weil «digital» ja ursprünglich Finger bedeutet, die Finger hier nun aber nicht mehr zum digitalen Aufzählen, sondern zum analogen Wischen, Klicken, Dehnen, Schieben dienen.

Bitte um Handzeichen

Vielleicht sollten wir uns einer Einsicht aus der Verkehrspsychologie erinnern: «Handzeichen schaffen Klarheit!»

Jedenfalls kann es Ihnen nur nützlich sein, wenn Sie vermehrt auf Ihre eigene analoge Kommunikation zu achten lernen, wenn Sie sie hin und wieder auch ganz bewusst einsetzen und wenn Sie sich darin üben, die analoge Kommunikation der anderen zu lesen – was es mitunter nötig macht, das eine oder andere expressis verbis zu klären. Denn nicht immer erläutert die analoge die digitale Kommunikation. Manchmal ist es auch umgekehrt.

Begnadete Kommunikatoren und charismatische Führer – leider übrigens auch Psychopathen – beherrschen dieses Wechselspiel von digitaler und analoger Kommunikation aufs Vorzüglichste. Es scheint sich also um ein überaus wirkungsvolles Instrument zu handeln.