Karriere

«Führung ist nicht gleich Führung. Der Fokus oben, in der Mitte und unten in der Hierarchie kann nicht gleich sein. Es gibt also Konflikte.» Cartoon: Silvio Erni

Unten – Mitte – Oben

Felix Frei

Hier kommt, geschätzte Führungskräfte, eine Anregung zum Start in die neue Woche, zur Reflexion Ihrer Führungsprinzipien.

Trotz unbestreitbarer Gemeinsamkeiten ist Führung oben und unten in der Hierarchie nicht einfach identisch. Von unten nach oben nehmen in der Regel zu: Die Anzahl der Unterstellten, die Breite der Aufgaben, die Verantwortung, der Handlungsspielraum, die Entscheidungskompetenz, die Budget-, Kosten- und Ergebnisverantwortung, das Salär, der Status, der Stress und die Fremdbestimmung der Agenda.

Das ist ebenso allgemein bekannt wie der Grundsatz: Je weiter oben, desto strategischer – je weiter unten, desto operativer. Und es versteht sich von selbst, dass es im Einzelfall auch mal anders aussieht. Hier geht es aber um eine andere Differenzierung: Hier geht es um den inhaltlichen Fokus, der unten, in der Mitte und oben ein je anderer sein muss. Ich muss die Dinge hier leider etwas holzschnittartig vereinfachen und zuspitzen, für mehr reicht der Platz nicht.

Die Kategorien

Von diesen Kategorien gehe ich hier aus:

Unten: Das sind die Führungskräfte, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter führen, die ihrerseits nicht auch Führungskräfte sind. Teamleiterinnen und Teamleiter, klassischerweise.

Mitte: Das sind die Führungskräfte darüber, die also Führungskräfte führen, aber nicht zu den Obersten gehören.

Oben: Das sind die Geschäftsleitungen. Das muss nicht gleichbedeutend sein mit Unternehmensleitung. In grösseren Firmen kann es auch die Leitung eines in sich geschlossenen Geschäftsbereichs – einer Business Area – sein.

Diese «Definitionen» stimmen nicht zwingend mit den üblichen betrieblichen Begriffen der Kaderordnung überein, aber sie sind ausreichend für die unvermeidlichen Vereinfachungen und Akzentsetzungen im Folgenden.

Inhaltlicher Fokus

Worin unterscheiden sich die inhaltlichen Fokusse dieser drei Ebenen?

Unten: Team

Auf der untersten Führungsstufe steht das Team im Vordergrund. Teamleiterinnen und Teamleiter müssen die Kohäsion – also den persönlichen und sozialen Zusammenhalt – ihres Teams im Fokus haben. Hier steht Kohäsion vor Lokomotion. Als Lokomotion bezeichnet man die Führungsaufgabe, Ziel- und Leistungsorientierung zu vermitteln. Das ist zwar auch nötig auf Teamstufe, aber nicht der primäre Fokus. Ein Team, das eine tolle Mannschaft darstellt, wird «von sich aus» auf Sieg spielen. Von Vorteil dafür ist, wenn das Team eine echt gemeinsame Aufgabe hat. – Führungskräfte auf der untersten Stufe legitimieren sich aus der Gegenwart: Massgeblich für ihren Erfolg ist, wie gut sie im Alltag mit ihren Leuten zurechtkommen.

Mitte: Regeln

Auf der mittleren Führungsebene steht umgekehrt Lokomotion vor Kohäsion. Hier finden sich Führungskräfte mit sehr guten Fachkenntnissen in ihrem Gebiet. Sie sind es, die die Regeln des Spiels bestimmen. Sie sorgen für Prozessdefinitionen, für klare Ziel- und Leistungsvorgaben, und sie bauen damit – bildlich ausgedrückt – die unternehmerische «Maschine». Sie definieren, wie die Dinge gemacht werden müssen. Ihre Teamleiter dagegen definieren hinterher, wie die Dinge tatsächlich gemacht werden. Darin liegt natürlich Konfliktpotenzial, aber im Grunde ist es eine durchaus intelligente «Doppelmoral»: Definieren muss man den reinen Fall, aber in der Praxis muss man mit Augenmass damit umgehen können. – Führungskräfte auf der mittleren Stufe legitimieren sich aus der Vergangenheit: Massgeblich für ihren Erfolg ist, dass sie sachlich/fachlich/geschäftlich wissen, wie der Hase läuft. Und sie müssen die «Maschine» am Laufen halten.

Oben: Window Dressing

Führungskräfte auf der obersten Ebene haben einen Hauptfokus, für den es leider keinen treffenden deutschen Ausdruck gibt, man nennt das auf Englisch «Window Dressing», d.h. dafür sorgen, dass die Schaufensterauslage stimmt. Dies umfasst mehrere Teilaufgaben, und ich kalauere sie im Folgenden – zur besseren Erinnerbarkeit – allesamt ins WD-Kürzel für Window Dressing:

  • Window Dressing: Wie stellen wir uns als Unternehmen dar? Was soll man von uns sehen? Was wollen wir verkaufen? (Das ist das Window Dressing im engeren Sinn.)
  • Wegen Dem: Warum tun wir, was wir tun? Warum tun wir es, wie wir es tun? (Die oberste Führung muss die Sinnzusammenhänge stiften.)
  • WegDrücken: Was tun wir nicht? Was schliessen wir aus? Wo spielen wir nicht mit? (Das ist ein wichtiger Teil der Strategie.)
  • Weniger Details: Was ist das «big picture»? Wo geht die Reise hin? (Das lässt viele operative Fragen offen, die erst später und von anderen zu klären sind.)
  • WeiterDenken: Was kommt als Nächstes? Was als Übernächstes? Was wollen wir als Nächstes/Übernächstes? (Stets vorausschauen, sich über die eigenen Annahmen bezüglich der Zukunft Rechenschaft ablegen und diese permanent überprüfen.)

So konstruktiv wie möglich

Für all das braucht es etwas, das für die Führungskräfte weiter unten manchmal nach «Weitweg-Dummheit» riecht: Es ist Teil der unterschiedlichen inhaltlichen Fokusse auf unterschiedlichen hierarchischen Ebenen, dass man zuoberst mit einer Distanz an die Dinge herangeht, die viele praktisch zu erwartenden Zwänge und Notwendigkeiten zunächst einmal ausblendet. – Führungskräfte auf der obersten Stufe legitimieren sich aus der Zukunft: Massgeblich für ihren Erfolg ist, als wie treffend sich ihre Prognosen über die bevorstehenden Entwicklungen und Herausforderungen erweisen. Erst dann zeigt sich, ob sie sich nicht der anderen, negativ konnotierten Bedeutung von «Window Dressing» bedient haben, die Augenwischerei oder Bilanzkosmetik meint ...

Es ist klar: Diese unterschiedlichen Fokusse der verschiedenen hierarchischen Ebenen können – ja, müssen – zu Spannungen und Zielkonflikten führen. Aber das ist nicht etwa ein Fehler dieses «Systems», es ist sein Sinn! Daher ist es die wichtigste Aufgabe aller Führungskräfte, mit ihrem eigenen Fokus in die unvermeidbaren Spannungen mit den anderen Fokussen einzutreten und das Spiel so konstruktiv wie möglich zu spielen. Wie Sie sich erinnern werden: Spannungen braucht es für jede Entwicklung, aber sie müssen produktiv gestaltet werden.

Das geht natürlich nur, wenn man weiss, dass und verstanden hat, wieso andere Mitspieler einen anderen Fokus im Auge haben als man selbst. Wenn nämlich nicht, so ist man ständig gefährdet zu glauben, die anderen seien ganz einfach doof. Doch das ist meist nur eine naheliegende, nicht jedoch eine zutreffende Erklärung. Weder für die unten noch für die in der Mitte, noch für die ganz oben. Sie alle haben nur einen je unterschiedlichen Job.

Beim Versuch, diesen unterschiedlichen Job gut zu machen, lauern auch unterschiedliche Gefahren. Ich nenne hier nur gerade die Gefahr der besonderen Illusion, der man sich auf jeder Ebene leicht hingibt: Unten ist das die Illusion, bei einem Unternehmen handle es sich um einen Wohlfühlclub. In der Mitte die Illusion, «eigentlich» müsste immer alles wie am Schnürchen laufen. Oben die Illusion, alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssten doch wie Unternehmer denken und handeln. – Wenn einen der Führungsalltag dann mal wieder desillusioniert, sollte man also nicht enttäuscht sein: Man hat nur auf den Boden der Realität zurückgefunden.