Karriere

«Solange sich im Apple-Store noch keine ultimative Killer-App fürs Führen findet, müssen Sie sie sich selbst erfinden. Das ist auch gut so.» Cartoon: Silvio Erni

Killer-Apps

Felix Frei

Hier kommt, geschätzte Führungskräfte, eine Anregung zum Start in die neue Woche, zur Reflexion Ihrer Führungsprinzipien.

Der Traum jedes Erfinders einer neuen Technologie ist das, was man heute eine Killer-App nennt. Eine Applikation für diese Technologie, die jegliche Konkurrenz aus dem Feld schlägt, weil sie so durchschlagend erfolgreich ist. Auch gesellschaftlich ist bereits die Rede von Killer-Apps: Zumindest gibt es einen Historiker, der den Vorsprung des Westens der letzten Jahrhunderte glaubwürdig mit einer ganzen Reihe von (hier natürlich gesellschaftlich verstandenen) Killer-Apps zu erklären vermag.

Wer die Führungsliteratur der letzten Jahrzehnte anschaut, kommt zum Schluss, dass auch Führung auf der Suche nach den ultimativen Killer-Apps ist. Wäre es nicht schön zu wissen, dass es auf exakt diese drei (oder sieben) Dinge ankommt, damit man als Führungskraft Erfolg hat? Irgendwann, vielleicht uneingestanden, dürfte jede Führungskraft diesen Wunsch verspüren. Die Führungsliteratur (vor allem die angloamerikanische) bedient ihn nach Kräften – und sie erhält ihn damit natürlich auch am Leben. Auch ich kann nicht leugnen, dass in manchem meiner Führungsbriefe zumindest implizit auch die Botschaft vermittelt wird: «Genau darauf kommts an – tu das, und du wirst Erfolg haben!»

Führung ist Beziehungsgestaltung

Der Wunsch, die Killer-Apps für Führungskräfte zu kennen, ist verständlich. Entsprechende Behauptungen erweisen sich aber nicht selten als Mogelpackung. Meist zwar nicht von der plumpen Art der beliebten Rezepte «Abnehmen – ohne hungern zu müssen». Häufiger hingegen deshalb, weil sie den Erfolg schon implizieren: Wer sagt, beim Fussball sei die Killer-App, mehr Tore als die anderen zu schiessen, hat zweifelsohne recht. Aber ist das hilfreich? Mehr Tore zu schiessen als die anderen, ist ja überhaupt erst das, wofür die Fussball-Killer-App gesucht wird.

Es kann also nicht darum gehen, für die Führung das als Killer-App herauszustreichen, was erst mittels einer Killer-App zu erreichen wäre. Dass es gelingt, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die unternehmerischen Ziele zu begeistern, beispielsweise. Oder dass ein guter Teamgeist erzeugt werden kann. Oder dass man als ein gutes Vorbild wahrgenommen wird. Der Clou ist hier ja immer der, dass man als Führungskraft nichts garantierterweise bei anderen erzeugen kann. Denn diese anderen haben eigene Ziele, Motive, Bedürfnisse, Erwartungen, Wahrnehmungen, Einstellungen, Fähigkeiten, Un- und Eigenarten – und all das kann der Führungskraft die beabsichtigte Wirkung durcheinander bringen, um nicht zu sagen, vermiesen. Führung ist bekanntlich Beziehungsgestaltung, und die kann man nie alleine bewerkstelligen.

Sie erinnern sich: It takes two to tango! Natürlich ist ein gewinnendes Wesen mit viel Ausstrahlung für die Führung nützlich – nur entscheidet es sich in den Augen der anderen, was ein gewinnendes Wesen ist. Gleiches gilt für kommunikative Fähigkeiten, für argumentative Stärke und für vieles mehr, was man mit erfolgreichen Führungskräften zu assoziieren pflegt.

Offenheit gegenüber Feedback

Nichtsdestotrotz ist es ja nicht unsinnig, sich zu fragen, welchen Anteil an der Beziehungsgestaltung man als Führungskraft wirklich vollständig in eigener Regie leisten kann. Am ehesten könnte ich mir dazu Folgendes vorstellen:

  • Sie brauchen eine Einschätzung Ihrer Führungskompetenz. Zu der gelangen Sie natürlich nicht ohne die Feedbacks anderer. Aber wenn Sie dann unter dem Strich zusammenzählen: Würden Sie sich zur Führungskraft machen? Halten Sie sich für talentiert und willens dazu? Oder sind Sie Führungskraft geworden, weil das der einzige Weg zu mehr Freiraum, Status, Lohn oder Ansehen war? – Ihr ganz alleiniger Anteil hierbei ist, sich reinen Wein einzuschenken und gegebenenfalls bereit zu sein, aus der Führung auszusteigen. (Ich weiss, das war jetzt noch nicht grad das, was Sie sich von der Aufzählung der ultimativen Führungs-Killer-Apps erhofft haben, sorry!)
  • Sie wissen aus eigener passiver Erfahrung um die Bedeutung von Persönlichkeit und Charakter für eine erfolgreiche, nämlich glaubwürdige Beziehungsgestaltung in der Führung. An Ihrer Persönlichkeit und Ihrem Charakter können Sie (falls Sie über etwa dreissig sind) nicht mehr viel ändern. – Ihr ganz alleiniger Anteil hierbei aber ist die Frage der Authentizität: Stehen Sie zu Ihrer Persönlichkeit und Ihrem Charakter, oder versuchen Sie, jemanden ganz anderes darzustellen? Achtung: Nichts ist dagegen einzuwenden, dass mit der Führungsrolle auch schauspielerische Elemente verknüpft sein können. Davon rede ich hier nicht. Eine gute Performance verletzt Authentizität keineswegs, im Gegenteil, sie kann Teil davon sein. Bloss falschspielen sollen Sie nicht.
  • Führungskräfte sind Menschen, die anderen Menschen vorgesetzt sind, und haben, wie Sie wissen, ihre primäre Berechtigung darin, dass sie Entscheide vorbereiten, herbeiführen, fällen und durchsetzen müssen. Vieles davon machen sie sinnvollerweise keineswegs allein, sondern gemeinsam mit Betroffenen als Beteiligten. Aber es gibt ein Element darin, das sie ganz alleine zu verantworten haben, und zwar den Einsatz ihrer «Basta-Kompetenz»! Sie allein müssen wissen, wann Sie von dieser Befugnis Gebrauch machen und irgendeiner Sache ein Ende setzen, indem Sie «basta» sagen. Die Kunst hierbeib esteht im Timing und in der Auswahl der Richtigen, die dadurch glücklich respektive frustriert werden. Selbstredend kommt diese Basta-Kompetenz in unterschiedlichsten Grössenordnungen vor: Von «Jemandem das Wort entziehen» über «Beenden einer Diskussion» bis hin zu «Entscheiden über Kündigungen» etwa. Obwohl Sie häufig jemanden frustrieren, wenn Sie von dieser Kompetenz Gebrauch machen, wird man es von Ihnen grundsätzlich erwarten. Ihre Chefin, Ihre Kollegen, Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben sicherlich unterschiedliche Erwartungen an Sie, wann und wie Sie von der Basta-Kompetenz Gebrauch machen sollen – aber alle erwarten sie, dass! Es dürfte Ihre einflussreichste Killer-App bezüglich des Erfolgs Ihrer Führung sein.
  • Eine letzte Killer-App sehe ich in Ihrer Bereitschaft, Ihre eigene Führung respektive Ihre Führungsbeziehungen immer wieder kritisch zu reflektieren und weiterzuentwickeln. Geschickterweise machen Sie das nicht nur alleine, sondern auch in Zusammenarbeit mit wichtigen Bezugspersonen. Zum Beispiel mit Vorgesetzen und/oder Kollegen und/oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und/oder einem Coach und/oder mit Freunden oder Ihrem Ehepartner. Aber die Bereitschaft, sich der Selbstkritik und Fremdkritik zu öffnen – die müssen Sie ganz alleine aufbringen. Lernen, sich weiterentwickeln, sich verbessern ist alles schon schwierig genug. Ohne Ihre Bereitschaft dazu wird es Ihnen aber sicherlich nicht gelingen. Diese Bereitschaft verlangt zuallererst Offenheit gegenüber Feedback. Auch wenn Sie keineswegs jedes Feedback als «wahr» oder «berechtigt» akzeptieren müssen, so müssen Sie doch zur Kenntnis nehmen, dass man es Ihnen gegeben hat. Und Sie sollten sich fragen, wie es dazu kommen konnte. Die Doofheit der Feedbackgeber allein dürfte es in den meisten Fällen nicht hinreichend erklären.

Ich gebe zu: Diese vier Killer-Apps (reinen Wein, Authentizität, Basta-Kompetenz und Lernbereitschaft) reichen allein sicherlich nicht aus für den ultimativen Führungserfolg. Aber sie tragen viel dazu bei. Und sie haben den unschätzbaren Vorteil, von Ihnen ganz allein – ohne fremdes Zutun – zum Einsatz gebracht werden zu können. Geben Sie also niemandem die Schuld, wenn Sie das versäumt haben.