Karriere

«Macht? Anerkennung? Leistung? Geld? – Arbeiten Sie nie enger mit jemandem zusammen, dessen ganz persönliche Ziele Sie nicht kennen.» Cartoon: Silvio Erni

Persönliche Ziele

Felix Frei

Hier kommt, geschätzte Führungskräfte, eine Anregung zum Start in die neue Woche, zur Reflexion Ihrer Führungsprinzipien.

Führen über Zielvereinbarungen ist heute Standard. Die einschlägigen HR-Tools sind wohl elaboriert. Der Begriff «Vereinbarung» suggeriert dabei, die darüber geführten Personen hätten die betrieblichen Ziele so sehr zu ihren eigenen Motiven gemacht, dass sie nun in einem engeren psychologischen Sinne in ihrem Handeln dadurch geleitet würden. Wie gut programmierte Cruise Missiles würden diese Menschen nun unbeirrt ihr Ziel verfolgen und dabei sämtliche Hindernisse gekonnt überwinden. Diese Vorstellung ist naiv.

Obwohl ja jeder Manager weiss, dass in diesem Prozess manch einer die Zielvorgabe eher zähneknirschend schluckt als wirklich akzeptiert, lügt er sich wenig später doch in die Tasche und unterstellt, man hätte die Ziele wirklich vereinbart. Vereinbarungen verlangen gleiche Augenhöhe, und die ist in einem hierarchischen Gefüge definitionsgemäss nicht gegeben. Faktisch geht es – von glücklichen Ausnahmen abgesehen – um eine Zielvorgabe. Selbstverständlich kann es sein, dass diese Zielvorgabe sachlich überzeugend begründet ist, so dass sie tatsächlich akzeptiert wird. Und in einem gut geführten Prozess wird sich der «Zielvorgeber» nötigenfalls durch gute Argumente überzeugen lassen, wenn die von ihm ursprünglich angedachte Zielvorgabe nicht realistisch oder akzeptabel ist.

Dann kann man zwar von einer Vereinbarung sprechen – aber das Ergebnis bleibt Vorgabe. Das Tool der Zielvereinbarung sollte der Führungskraft nicht die Illusion geben, dass damit die Führungsarbeit einfacher werde. Das Gegenteil ist der Fall, denn wenn eine fremdbestimmte Vorgabe im freundlichen Kleid einer Vereinbarung daherkommt, dann vergessen beide Beteiligten leicht, was wirklich Sache ist: Denn dass Menschen, egal auf welcher hierarchischen Stufe, immer auch persönliche Ziele verfolgen, wird ausgeblendet. Die Unternehmen wollen das in Anlehnung an den bayerischen Komiker Karl Valentin freilich «gar net erst ignorieren.»

Man kann Menschen umso leichter für unternehmerische Zielvorgaben gewinnen, je besser sich diese mit persönlichen Zielen verbinden lassen. Das heisst, mit der Unterschrift auf dem Zielvereinbarungsblatt ist die Sache führungsmässig keineswegs erledigt – die Arbeit für den Chef beginnt erst: Er muss seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (einzeln oder als Gruppe) dafür gewinnen, sich für die unterschriebenen Ziele auch wirklich einzusetzen.

Monetäre Reize

Und wieder kommen elaborierte HR-Tools zum Einsatz, nämlich Bonus- und Prämiensysteme. Sie implizieren, mittels Geld könne man die Brücke zu den persönlichen Zielen schlagen, da Geld ja universell verwendbar ist. Weit gefehlt! Die Kopplung zwischen Zielvereinbarung und Bonus/Geld macht das ganze Thema keineswegs etwa leichter, sondern häufig noch schwieriger. Monetäre Reize verleiten womöglich dazu, die Zielvorgabe nicht mehr sinngemäss zu verstehen, sondern kreativ zu lesen – das heisst herauszufinden, wie der eigene Bonus optimiert werden kann. Die Leute sehen sich nun also bereits vor potenziell drei nicht gleichläufigen Zielgrössen: die vereinbarte Zielvorgabe, deren bonusoptimierte Uminterpretation (oder auch bonusoptimierte Einengung) und die nach wie vor existierenden persönlichen Ziele, die im Zweifelsfall alles andere zu übersteuern vermögen.

An Letztere muss anschliessen können, wer wirklich zielorientiert führen will und dies nicht mit dem Abarbeiten der geltenden HR-Tools verwechselt. Und damit wird es noch einmal schwerer. Denn der Versuch, die persönlichen Ziele vom Mitarbeitenden zu erfragen, wird wohl in vielen Fällen zu «unwahren» Antworten führen. Da die wenigsten überhaupt wissen, welche Ziele sie in ihrem Innersten wirklich verfolgen. Diese Ziele zeigen sich höchstens im Handeln der jeweiligen Person (zumindest teilweise). Es gilt also, nahe beim Handeln der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu sein, um sie zielorientiert führen zu können. Man muss sich involvieren in Umsetzungspläne, diese hinterfragen, Alternativen aufzeigen, Meilensteine vereinbaren etc. Dann beginnt man am ehesten zu erkennen, was die Leute in ihrem Tun «triggert». Gleichzeitig muss man als Führungskraft selbst reflektieren, was einen persönlich bewegt: Anerkennung? Geld? Macht? Was ist man willens zu leisten? Was nicht?

Nur am Rande: In der Psychologie geht man davon aus, dass sich die Menschen überwiegend drei grundlegenden Motivlagen zuordnen lassen, die ihre persönlichen Ziele prägen: Macht, Leistung, Anschluss. Die Macht-Motivierten sehen sich im Wettkampf mit anderen. Die Leistungs-Motivierten stehen im Wettkampf mit sich selbst. Die Anschluss-Motivierten wollen akzeptiert und geliebt werden. Wozu Sie gehören, stimmt übrigens mit Ihrem Selbstbild nicht unbedingt überein. Die Chance ist zum Beispiel gross, dass Sie sich für leistungsmotiviert halten, tatsächlich aber entweder macht- oder anschlussorientiert sind. Und selbstredend gibt es Mischformen.

Innere Motivlage

Es geht also um die innere Motivlage: Ich strebe nach Macht und Einfluss. Ich muss besser sein als die anderen um mich herum. Ich will von allen bewundert und geliebt werden. Ich will respektiert, notfalls gefürchtet werden. Ich will reich werden. Ich will nichts verantworten müssen. Ich will eine ruhige Kugel schieben. Ich suche Spass mit Kolleginnen und Kollegen. Ich suche eine interessante Beschäftigung, damit die Zeit vergeht. Ich will meinem Chef (wie einst meinen Eltern) beweisen, wie gut ich bin. Und so weiter.

Damit wir uns richtig verstehen: All diese (und noch manche weitere) persönlichen Ziele sind legitim. Ein Moralinfinger ist nicht angebracht. Worum es führungsmässig geht, ist Interesse für die Menschen. Was treibt sie an? Was beflügelt sie? Was lässt sie kalt oder langweilt sie? Ein Vorgesetzter, der solche Fragen in Bezug auf seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beantworten kann, wird sie besser und gezielter führen können. Eine Vorgesetzte, die bei Rekrutierungen daran interessiert ist, etwas über die persönlichen Ziele von Kandidaten in Erfahrung zu bringen, wird glücklichere Personalentscheide treffen. Leicht ist es nicht, Menschen in dieser Hinsicht treffend zu beurteilen. Nicht einmal in Bezug auf uns selbst, denn wir alle neigen dazu, uns in einem rosa Spiegel zu sehen.

Ihre Diagnose

Dennoch: Stellen Sie sich die Frage nach den persönlichen Zielen – bei sich selbst, bei Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, bei Kandidaten, bei Ihren Vorgesetzten. Seien Sie aber nicht zu voreilig bei Ihren «Diagnosen». So schwer Sie sich nämlich damit tun, bei sich selbst Macht-Orientierung zu erkennen, so schnell werden Sie mit genau dieser Diagnose Ihren Chef etikettieren. Vorsicht also! Erkennen Sie auch Mischformen. Seien Sie offen genug, Ihre vermeintliche Einsicht zu korrigieren, wenn sie sich als falsch herausstellt.

  • Reden Sie mit Menschen. Fragen Sie sie nach Zielen und Motiven. Aber nehmen Sie nicht alles beim Nennwert. Was immer man Ihnen sagt: Fakt ist lediglich, dass man das gesagt hat.
  • Nehmen Sie es biblisch: «An ihren Früchten sollt ihr sie messen.» Lesen Sie das, was implizit im Tun von Menschen zum Ausdruck kommt. Mit Achtsamkeit erkennt man recht gut, ob jemand im Wettkampf gegen andere (Macht) oder im Wettkampf gegen sich (Leistung) oder ausserhalb von Wettkämpfen (Anschluss) steht.
  • Wagen Sie Prognosen. Wenn meine Einschätzung von X stimmt, dann müsste sich X für oder gegen eine bestimmte Aufgabe/Funktion/Verantwortung/Herausforderung entscheiden. Tut er oder sie das dann auch?

Je besser Sie mit der Zeit persönliche Ziele erkennen (bei anderen, aber eben auch bei sich selbst), desto stimmiger werden Sie Ihre Führungsbeziehungen gestalten können. Es ist wie bei dem bekannten Ratschlag «Gehe nie zu einem Arzt, dessen Lieblingsdiagnose du nicht kennst!»: Arbeiten Sie nie enger mit jemandem zusammen, dessen persönliche Ziele Sie nicht kennen!

Aber suchen Sie jetzt bloss nicht nach einem Umsetzungstool. Seien Sie nur offen dafür, dass Sie mit individuell verschiedenen Menschen arbeiten, die persönliche Ziele haben. Nicht mit genormten Stellenprofilinhabern.