Karriere

«Wer hat Sie persönlich inspiriert? Geistliche oder Ladendiebe, Krankenschwestern oder Pokerspieler, Entwicklungshelfer oder Armeegeneräle?» Cartoon: Silvio Erni

Fussballtrainer u.a.

Felix Frei

Hier kommt, geschätzte Führungskräfte, eine Anregung zum Start in die neue Woche, zur Reflexion Ihrer Führungsprinzipien.

Stellen Sie sich ein Kartenspiel vor, bei dem auf jeder Karte ein Beruf steht und aufs Kürzeste verdichtet, was eine Führungskraft von diesem Beruf – respektive von einem Profi darin – lernen könnte. Diese «Learnings» wären immer als allgemeine Weisheit formuliert: «Als Führungskraft müssten Sie von einem Profi in diesem Beruf lernen, dass...».

Das imaginäre Kartenset umfasst sämtliche Berufe dieser Welt. Sie können nun auswählen, welche – sagen wir – eineinhalb Dutzend Karten/Berufe/Learnings Ihr persönliches Führungsverständnis am besten nachzeichnen.

Wenn die Zeit reif ist

Ich beispielsweise wähle (unsortiert) folgende Berufe und postuliere damit – für Sie – folgende Lehren:

  • Pianistin: Dass Sie eine breite Tastatur beherrschen und in der Lage sein sollten, manchmal leise und manchmal sehr laute Töne anzuschlagen. Weiter, dass auch sitzende Tätigkeiten anstrengend, ja schweisstreibend sein können.
  • Schmied: Dass Sie das Eisen schmieden sollen, so lange es heiss ist. Vielleicht aber auch, dass Sie nie einen Hammer schwingen sollten, für den Sie nicht die nötige Kraft in den Armen haben.
  • Fussballtrainer: Dass es Momente gibt – und zwar nicht selten die matchentscheidenden –, wo Sie Ihre Leute machen lassen müssen und Ihre Finger (pardon: Füsse) vom Ball lassen sollten.
  • Sexarbeiterin: Dass man menschliche Schwächen auch mal übersehen können muss. Aber dass man sich persönlich keineswegs alles bieten lassen muss.
  • Jazzmusiker: Dass es nicht für jedes gute Zusammenspiel einen braucht, der sagt, wo es lang geht – vorausgesetzt, alle Beteiligten sind fähig und bereit, auf einander zu achten und jedem einmal den Vortritt fürs Solo zu lassen.
  • Bauern: Dass man – von glücklichen Ausnahmefällen abgesehen – nur ernten kann, wenn man auch gesät hat. Und dass man erst ernten kann, wenn die Zeit dafür reif ist.

Zuhören statt reden

  • Steuerrevisor: Dass man mit Kleinlichkeit nun wirklich jedem auf den Keks gehen kann. Und dass man gewisse Berufe nicht wählen sollte, wenn man es nicht erträgt, dass auch ein gewisser Arschlochfaktor dazu gehört.
  • Piloten: Dass man auch vielfach geübte Dinge manchmal sauber strukturiert «nach Checkliste» angehen soll und sich dabei Schritt für Schritt (ja, laut ausgesprochen) bewusst machen sollte, was wirklich «completed/checked» ist.
  • Marketingfachfrau: Dass auch die beste Idee erst einmal verkauft sein muss, bevor sie auch anderen als eine beste Idee erscheint. Und dass man nichts verkauft, wenn man seinen Zielmarkt nicht kennt oder ganz falsch einschätzt.
  • Autohändler: Dass man nicht immer ganz bei der Wahrheit bleiben kann. Aber dass man auf Dauer schlechte Geschäfte macht, wenn man zu oft und zu dreist lügt.
  • Geigenbauer: Dass man vielleicht gerade dann einen erstklassigen Job macht, wenn man anderen ermöglicht, den grossen Auftritt und wärmsten Applaus zu haben.
  • Tennisstar: Dass man früh anfangen sollte, dass man bis zum Schluss und bis in die höchste Liga stets und hart trainieren muss und dass man wissen sollte, wann es Zeit ist, aufzuhören und anderen das Feld zu überlassen.
  • Psychotherapeut: Dass es manchmal sinnvoller und vor allem hilfreicher ist, zuzuhören als zu reden. Dass Zuhören aber gelernt sein muss, da es mehr ist, als bloss selbst nichts zu sagen.

Eine bestimmte Rolle spielen

  • Mafiaboss: Dass man wissen muss, wer Freund und wer Feind ist. Dass man aber unterscheiden können muss, was persönlich und was rein geschäftlich ist.
  • Bestattungsunternehmer: Dass ein Beruf nicht immer pures Vergnügen ist und dass man manchmal eine ganz bestimmte Rolle spielen muss, weil man das anderen schuldig ist – ganz unabhängig von der eigenen Befindlichkeit.
  • Bergführer: Dass man sich auch als sehr erfahrener Profi an die elementarsten Spielregeln seines Handwerks hält und nicht meint, man sei stärker als der Berg.
  • Balletttänzerin: Dass eine perfekt getanzte Figur verbirgt, was an Übung und Disziplin und Anstrengung und vielleicht auch an Schmerz dahintersteckt. Und dass Performance manchmal auch ohne Worte auskommt.
  • Politiker: Dass man als Persönlichkeit klar für eine Meinung einstehen muss. Dass man keine Chance hat, wenn man nicht auch Bündnisse schliessen kann, und dass es aus ist, wenn man seine Glaubwürdigkeit verspielt hat.

Welche Karten würden Sie ziehen? Von wem haben Sie am ehesten gelernt? Von wem würden/wurden Sie als Führungskraft in Ihrem Selbstverständnis am ehesten inspiriert?

Von Geistlichen oder Ladendieben, von Krankenschwestern oder Pokerspielern, von Entwicklungshelfern oder Armeegenerälen, von Galeerentrommlern oder Unternehmensberatern? Malen Sie es sich aus. Wählen Sie moralinfrei aus der ganzen Bandbreite. Reflektieren Sie, welche Weisheit (oder welchen Allgemeinplatz) Sie am treffendsten mit diesem Beruf verbunden sehen.

Nicht uninteressant wäre sodann, von Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu erfahren, mit welchen Berufsgattungen sie Ihr Führungsselbstverständnis am ehesten vergleichen würden und warum. Hoffen wir, dass es Sie nicht kränken würde. Zumindest aber gäbe es Ihnen Ideen, falls Sie irgendwann doch keine Führungskraft mehr sein wollten.