Karriere

«Ihr Ablaufdatum als Chef und Führungskraft fällt exakt auf den Tag, an dem Ihre Leute sich nur noch Ihren – statt ihren – Kopf zerbrechen.» Cartoon: Silvio Erni

Kopfzerbrechen

Felix Frei

Hier kommt, geschätzte Führungskräfte, eine Anregung zum Start in die neue Woche, zur Reflexion Ihrer Führungsprinzipien.

Sie wissen ja, die Führungspsychologie kennt viele Heldengeschichten. Da sind die geborenen Führer, die charismatischen Leader und andere herausragende Persönlichkeiten, die eine so besondere Stellung erreichen, wie es uns Gewöhnlichsterblichen meist nicht gelingt. Die ganze Organisation ist fixiert auf diesen Grand Chef – und man wagt sich gar nicht auszudenken, was passiert, sollte der Patron mal weg sein.

Wer genau hinschaut, erkennt aber, dass es durchaus auch für gewöhnlichsterbliche Führungskräfte eine Aussicht auf Sonderstellung gibt. Möchten Sie das? Dann müssen Sie es bloss schaffen, dass Ihre Leute sich nicht mehr ihren eigenen Kopf zerbrechen, sondern Ihren!

Zugegeben, für das Unternehmen hat dies ein paar klitzekleine Nachteile. Zum Beispiel zahlt es so mehrmals einen Lohn für die immer gleiche Denkleistung. Und es verzichtet darauf, dass jemand auch Ihre Ideen einer kritischen Prüfung unterzieht. Zudem prägt eine gewisse Angst die Kultur in Ihrem Bereich, denn es ist ja für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht so leicht, sich Ihren Kopf genau richtig zu zerbrechen. Schliesslich verhindert das Ganze auch, dass neues Know-how in Ihren Zuständigkeitsbereich hereinkommen und genutzt werden kann. Wie gesagt, ein paar Nachteile, mit denen man halt leben muss. Alles hat seinen Preis! Der grandiose Vorteil ist es wert: Selbst wenn Sie keine Patron-Grösse, kein Charisma und keine besonderen Persönlichkeitseigenschaften als Führungskraft aufweisen – Sie gewinnen eine absolut herausragende Stellung!

Kurze SMS am Wochenende

Wie aber können Sie erreichen, dass sich Ihre Leute Ihren statt den eigenen Kopf zerbrechen?

  • Betonen Sie Ihren hohen Leistungsanspruch bei jeder beliebigen Gelegenheit – aber sagen Sie nie genau, was Sie denn eigentlich ganz konkret erwarten.
  • Nehmen Sie nie ein Ergebnis Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einfach so zur Kenntnis. Schon gar nicht mit einem direkten Lob. Ändern Sie in jedem Fall mindestens ein Komma oder etwas an der Darstellung oder sonst irgendein Detail. Und wenn Sie danach doch noch loben wollen (was ja manchmal nützlich ist, um Ihre menschliche Grösse zu unterstreichen), dann lassen Sie durchblicken, dass es eigentlich Ihr letzter Federstrich war, der aus dem Gekritzel Ihrer Leute ein wahrhaft grosses Gemälde gemacht hat.
  • Nutzen Sie den sicherlich existierenden Mangel an Qualitätsstandards in Ihrer Organisation dafür, die Menschen nach immer höherer Qualität streben zu lassen – ohne freilich zu wissen, wie diese definiert ist. Dafür genügt es, Arbeiten (zum Beispiel schriftliche Konzepte oder Präsentationen oder Anträge) mal als zu detailliert zu bezeichnen und im anderen Fall als zu oberflächlich. Wer Ihnen etwas gut Ausgearbeitetes bringt, den fordern Sie auf, das Ganze auf einen Fünftel zusammenzustreichen und endlich auf den Punkt zu bringen. Wenn jemand dagegen mit einem konzisen Wurf daherkommt, fragen Sie nach möglichst vielen Details, bis dem Armen klar wird, dass er ohne eine Wochenendzusatzschicht nie Ihr Wohlgefallen erringen wird.
  • Da wir ja unser Denken nie ganz abschalten können, müssen Sie – wenn Sie andere sich Ihren Kopf zerbrechen lassen wollen – dafür sorgen, dass deren Gehirn nie in den Stand-by-Modus verfällt. Kurze SMS am Wochenende oder aber werktags nach 23 Uhr haben sich hierfür ausserordentlich bewährt. Steigerbar ist die Methode durch Anberaumen von Sitzungen zur Besprechung der geforderten Resultate auf Montag oder einfach anderntags, 6.45 Uhr.

Ehrliche Reflexion

Sie sehen, die Sache ist auch für Sie recht aufwändig. Sie müssen Ihren Leuten stets ein wenig voraus sein, Sie müssen halt auch schon um 6.45 Uhr zur Sitzung kommen (wo Sie aber nicht vergessen sollten zu erwähnen, wie besonders schön heute das Stündchen Jogging war, das Sie sich täglich vor der Arbeit gönnen). Und Sie müssen viel – viiiel – über Ihren Schreibtisch laufen lassen. Gratis ist also Ihre herausragende Stellung als Führungskraft nicht zu haben. Ohne Fleiss kein Preis!

Nun gut, lassen wir die Gratisweiterbildung für Führungskräfte aus dem nie veröffentlichten zweiten Band von Macchiavelli. Fragen wir uns stattdessen, was Sie tun sollen, wenn Sie realisieren, dass Ihr Chef (oder dessen Chefin, was sicherlich bis zu Ihnen durchschlagen würde) tatsächlich nach den vorhin skizzierten Regeln führt. Wenn Sie bei ehrlicher Reflexion zugeben müssen, dass Sie sich immer wieder gar nicht Ihren eigenen Kopf zerbrechen, sondern den eines/einer anderen, der/die hierarchisch über Ihnen steht. Wenn Sie sich bei allem, was Sie tun, fragen: Was will mein Chef genau, und wie will er es genau? Und wenn Sie sich darüber so viel Kopfzerbrechen machen, dass Sie sich nicht mehr auf den Sinn der Sache, um die es geht, konzentrieren können. Wenn Sie langsam keine eigenen Ziele und Wege, Ideen und Überzeugungen mehr haben – oder sie zumindest nicht mehr vertreten.

Aufwändige Sache

  • Fragen Sie sich nicht, ob Ihr Chef in der richtigen Position ist. Er ist es (im besagten Fall!) nicht. Fragen Sie sich, ob Sie in Ihrer Position (unter diesem Chef) richtig sind oder ob Sie bei nüchterner Analyse gar keine Aussicht auf Besserung der Situation haben. Es ist nämlich so, dass Führungskräfte, die erfolgreich den Kopfzerbrechen-Trick praktizieren, kaum mehr davon lassen, denn die Sache läuft ja exakt so, dass sie immer wieder darin bestärkt werden.
  • Achten Sie auf Ihre Kollegen. Ich nehme an, dass es denen nicht besser geht als Ihnen. Wichtig ist nun aber, dass Sie mit ihnen konstruktive und zielführende Allianzen bilden, um mehr Gewicht zu erhalten. Schlecht ist, wenn Sie einen Keil zwischen sich und Ihre Kollegen treiben lassen und sich freuen, wenn die in den Kopfzerbrechen-Hammer laufen. Und schlecht ist auch, wenn Sie sich gemeinsam mit Ihren Kollegen an Klageliedern über Ihren Chef laben. Das mag Balsam auf Ihre Wunden sein, aber es ändert nichts.
  • Kämpfen Sie trotz allem für Ihre Überzeugungen und Ideen. Das führt zu manchen Blessuren, aber Sie werden einmal stolz sein auf Ihre Narben! Dies klingt vielleicht kriegerischer, als ich es meine – aber es hilft, sich nicht zu sehr in vorauseilendem Gehorsam selbst zu erniedrigen. Zu stark dürfen die Blessuren aber nicht sein. Sonst gilt automatisch Paragraf 1 dieser Liste.
  • Nutzen Sie Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Schützen Sie die davor, auch in den Kopfzerbrechen-Modus (halt nicht auf Sie, sondern auf Ihren Chef bezogen) zu verfallen. Ermutigen Sie sie zu eigenem Denken. Erstens wenden Sie so weiteren Schaden vom Unternehmen ab, und zweitens fällt es Ihnen unter Umständen leichter zu kämpfen, wenn Sie sich vor eine überzeugende Sache stellen können, die nicht auf Ihrem eigenen Mist gewachsen ist. Es ist sicher leichter, Ihrem Chef zu sagen, dass Sie ihm anbei ein überzeugendes Konzept Ihrer Mitarbeiter schicken, als auf die gleiche Weise Ihre eigene Arbeit schon vorab zu loben. Und gleichzeitig erschweren Sie ihm damit den Kopfzerbrechen-Trick.
  • Pflegen Sie Zivilcourage. Sagen Sie ohne entschuldigenden Unterton, dass Sie gestern Abend mit Ihrer Frau ausgegangen seien und das Handy abgestellt hätten. Reagieren Sie auf gewisse Mails oder SMS mit einer kurzen Nachfrage, die den Ball wieder Ihrem Chef zuspielt, statt dass Sie sich gleich in Arbeit stürzen. Und reagieren Sie manchmal auch gar nicht – Sie können sich darauf verlassen, dass Ihr Chef viiiel auf seinem Schreibtisch hat ...

Sie sehen, die Sache ist auch für Sie recht aufwändig und überhaupt nicht leicht. Die Kopfzerbrechen-Sache kann nämlich ein ganz übles Spiel sein. Es tut mir leid. – Vielleicht aber können Sie Hoffnung auf den Chef Ihres Chefs setzen, falls der das Spiel überhaupt durchschaut und das Schädliche daran erkennt. Aber zerbrechen Sie sich nun nicht auch noch dessen Kopf!