Karriere

«Sie brauchen sich nicht extra vorzunehmen, ein Vorbild sein zu wollen. Sie sind es sowieso. Entweder ein schlechtes oder aber ein gutes.» Cartoon: Silvio Erni

Vorbild

Felix Frei

Hier kommt, geschätzte Führungskräfte, eine Anregung zum Start in die neue Woche, zur Reflexion Ihrer Führungsprinzipien.

Dass Sie als Vorgesetzte/r jederzeit ein Vorbild sein sollten, wissen Sie. Gleichzeitig wissen Sie, dass Sie faktisch sowieso immer ein Vorbild sind – nur eben vielleicht manchmal ein schlechtes.

Vorbildsein ist ein erstklassiges Führungsmittel, und Nichtvorbildsein untergräbt primär Ihre eigenen Führungsabsichten, was ja ganz und gar nicht in Ihrem Interesse liegen kann. Daraus dürfen wir schliessen, dass sich alle Führungskräfte ununterbrochen ums Vorbildsein bemühen müssten – denn es wäre ja nur in ihrem ureigensten Interesse. Bloss: Die alle tun das keineswegs immer, wie Sie sofort bemerken, wenn Sie entweder auf Ihren Chef oder aber in den Spiegel gucken.

Warum nicht?

Warum tun wir etwas nicht, das ausschliesslich in unserem Interesse liegt? Folgende Gründe bieten sich an (und vermutlich gelten sie alle gleichzeitig):

  • Nobody is perfect. Das stimmt zweifelsohne, ist aber langweilig, da sich daraus nicht mehr als ein Schulterzucken ableiten lässt.
  • In unserem ureigensten Interesse liegt das Vorbildsein nur hinsichtlich seiner Wirkung bei unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, aber nicht zwingend auf uns selbst bezogen. Als Beispiel diene hier ein besonders hoher Arbeitseinsatz.
  • Weiter ist noch nicht einmal sicher, ob die Wirkung tatsächlich eins zu eins aus dem Vorbild resultiert, denn wie alle Eltern wissen, machen Kinder mit Vorliebe auch exakt das Gegenteil des elterlichen Vorbilds: Sie rauchen, obwohl die Eltern nie rauchten, oder – schöner – sie rauchen nicht, weil ihre Eltern qualmen wie die Schlote. In dieser Hinsicht verhalten sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gelegentlich ganz ähnlich.
  • Vorbildsein verlangt nicht selten etwas, das man spontan nicht täte. Es muss nicht einmal speziell anstrengend sein, aber es entspricht eher dem Spielen einer Rolle als einfach dem Authentischsein. Das wiederum ist anstrengend. Vielleicht ist es sogar das Anstrengendste in der Führung überhaupt, dass man eine Rolle zu spielen hat.
  • Man ist als Führungskraft ständig unter Beobachtung. Ob man jemanden im Flur nicht gegrüsst hat (weil man tatsächlich mit dem Kopf woanders war), ob man Fehler macht oder sich nicht an die eigenen Vorschriften hält oder nur mal schlecht gelaunt ist: Alles wird genauestens registriert, und für jedes Vorkommnis wird ein «Märkli» ins geistige Schuldenheft geklebt und sorgsam über Jahre aufbewahrt.
  • Und schliesslich: Wäre jemand als Führungskraft wirklich zu hundert Prozent vorbildlich – in allem und jederzeit –, dann wäre er/sie absolut unerträglich. Wir alle wollen es mit normalen Menschen zu tun haben und weder mit Heiligen noch mit lebenden Vorwürfen oder Mahnmalen.

Das MMM-Rezept

Aus alledem liesse sich schlussfolgern: Vergessen wirs! Seien wir halt Vorbild, wo es grad so geht. Lassen wir uns aber keine grauen Haare wachsen, wenn es eben nicht immer und überall geht.

Das wäre zweifellos eine entspannende und entlastende Schlussfolgerung. Aber eben keine, mit der auch nur irgendetwas in der Führungswelt besser würde. Ich schlage deshalb einen alternativen Schluss vor. Mixen wir uns doch ein MMM-Rezept aus folgenden drei Zutaten:

  • Müdigkeit steuern: Dass Arbeit mitunter müde macht, ist unabänderlich. Dennoch können wir ein wenig mitsteuern, wann wir uns mehr oder weniger Müdigkeit leisten. Wir können unseren Tages- und Wochenmix so planen, dass die Müdigkeit eher dort anfällt, wo es weniger riskant ist. Mit «riskant» meine ich hier, dass Sie müdigkeitsbedingt Ihre Vorbildfunktion vergessen. Mitarbeitergespräche sollten Sie also nicht in die schläfrigen Nachmittagessensstunden legen. E-Mail-Bearbeitung schon. Bevor Sie in ein wichtiges Meeting gehen, sollten Sie sich einen Zeitschlitz einbauen, um danach den Kopf bei der Sache zu haben. Verbringen Sie notfalls zehn Minuten auf der Toilette, um sich ungestört in die richtige geistige Stimmung für das Nachfolgende bringen zu können. Und legen Sie dann einen überzeugenden Auftritt hin.
  • Milde Ironie zulassen: Überfordern Sie sich nicht. Verlangen Sie nicht von sich das perfekte Vorbild – Sie können damit nur scheitern. Seien Sie sich selbst gegenüber auf eine milde Weise ironisch und akzeptieren Sie Ihre Fehler. Nur: Die Folgen der Fehler tragen Sie trotzdem. Das gehört dazu. Ein Fehler ist nicht deshalb kein Fehler mehr, weil Sie ihn in milder Ironie belächeln und innerlich akzeptieren. Das hilft nur Ihnen. Für alle anderen bleibt der Fehler ein Fehler. Also argumentieren Sie den Fehler nicht etwa weg. Stehen Sie dazu. Aber grämen Sie sich nicht jedes Mal deswegen. Wo immer Ihnen jedoch bewusst wird, dass Sie mal wieder kein besonders gutes Vorbild waren, sprechen Sie das Thema nachträglich bei einer geeigneten Gelegenheit an. Vieles lässt sich damit erleichtern, nachträglich begradigen oder verständlicher machen. Aber noch einmal: Entschuldigen Sie nicht Ihren Fehler, denn der bleibt ein Fehler – entschuldigen Sie allenfalls sich bei dem/der/den Betroffenen.
  • Musts hochhalten: Normalerweise gibt es nur einige wenige Dinge, bei denen man als Führungskraft unbedingten Wert darauf legt. Zum Beispiel Pünktlichkeit oder Verlässlichkeit oder ein guter Kundenauftritt. Was immer das bei Ihnen ist: Bei diesen Musts müssen Sie selbst vorbildlich sein. Immer und überall. Da zählt keine milde Ironie. Und da ist auch Müdigkeit keine Entschuldigung. Wenn Sie bei den Musts «sauber» sind, werden es Ihre Leute auch sein – und sie werden erst noch lockerer mit jenen Dingen umgehen, bei denen Sie nicht das perfekte Vorbild abgeben.

Die nötigen Konsequenzen

Gerade bei der Vorbildthematik lohnt es sich, das eigene Verhalten danach auszurichten, was man passiv erlebt: Fragen Sie sich, wer für Sie ein gutes, überzeugendes Vorbild abgibt – und wieso. Fragen Sie sich, wen Sie für ein schlechtes Vorbild halten – und inwiefern. Gehen Sie getrost davon aus, dass Ihre Leute (auch) in dieser Hinsicht nicht völlig anders gestrickt sind als Sie selbst. Und ziehen Sie dann die nötigen Konsequenzen für sich.

Vielleicht fällt Ihnen bei dieser Übung dann auf, wie moralingetränkt wir in solchen Dingen sind – solange es sich auf andere bezieht. Auch hier wäre manchmal etwas mehr Bescheidenheit angebracht. Denn – streng biblisch für einmal – es nervt ganz einfach, wenn sogar Führungskräfte den Splitter im Auge des anderen sehen, aber den Balken im eigenen Auge nicht wahrhaben wollen.

Wenn Sie also froh darum wären, in Ihrer Vorbildfunktion nicht immer und überall gar so streng beurteilt zu werden, dann fangen Sie doch selbst einfach damit an, dies in Bezug auf Ihre Chefs ebenso zu handhaben. Ganz vorbildlich also.