Karriere

«Nehmen Sie Block und Bleistift und notieren Sie alles, wofür Sie mal gelobt werden möchten, wenn Sie Ihren heutigen Job quittieren werden.» Cartoon: Silvio Erni

Lobrede

Felix Frei

Hier kommt, geschätzte Führungskräfte, eine Anregung zum Start in die neue Woche, zur Reflexion Ihrer Führungsprinzipien.

Stellen Sie sich vor, Sie nehmen (in allen Ehren!) Abschied von Ihrer derzeitigen beruflichen Rolle, und es soll eine Lobrede auf Ihre Führungstätigkeit gehalten werden. Da dies ja vermutlich leider niemand für Sie tun wird, müssen Sie den Text selbst schreiben.

Lassen wir mal Ihre Bescheidenheit weg, die es Ihnen nie erlauben würde, eine Lobrede auf sich selbst zu halten. Lassen wir auch weg, dass es Ihnen peinlich wäre, in aller Öffentlichkeit gelobt zu werden. Lassen wir auch weg, dass man unzweifelhaft ein paar winzige Kleinigkeiten an Ihnen kritisieren könnte. Stellen Sie sich bitte einfach mal folgende (oder folgender) Frage:

Was möchten Sie, dass in dieser Lobrede auf Ihre Führung steht?

Unabhängig davon, ob Sie diese Lobpreisungen heute bereits verdienen, unabhängig davon, ob Sie sie überhaupt je verdienen: Was möchten Sie hören (ganz und gar berechtigterweise – und natürlich aus der Optik eines befugten Lobredners)?

Die Zutaten der Lobrede

Kreuzen Sie die Zutaten für Ihre Lobrede an (und ersetzen Sie wo nötig «er» durch «sie»):

O – Es hat immer enormen Spass gemacht, für ihn und mit ihm zu arbeiten.
O – Man konnte sich völlig auf ihn verlassen und wusste stets genau, woran man war.
O – Er hat viel geleistet, viel gefordert und auch viel erreicht.
O – Fachlich konnte ihm keiner das Wasser reichen, und in den meisten Fragen behielt er recht.
O – Bei ihm hatte jeder zunächst einen Vertrauensvorschuss und einen grossen Freiraum.
O – Er konnte manchmal hart und unerbittlich sein, aber es ging ihm stets um die Sache.
O – Er hatte eine klare Vision, wohin er mit uns wollte, und konnte herausfordernde Ziele setzen.
O – «Reden mit den Leuten» war vielleicht sein Geheimrezept.
O – Nie war er mit seinen Pendenzen oder Mails im Rückstand.
O – Er hat uns gegen so manches von oben beschützt und hätte sich jederzeit vor uns gestellt.
O – Er hat sich stets darum bemüht, alle Mitarbeiter genau gleich zu behandeln.
O – Er hat seinen Job gemacht und uns unseren machen lassen.
O – Er hat wünschenswerte Spuren im Unternehmen hinterlassen.
O – Er war bei Mitarbeitern, Kollegen und Vorgesetzten als freundlicher Mensch äusserst beliebt.
O – Wer unter seiner Führung gearbeitet hat, konnte sich persönlich wie auch fachlich entwickeln.
O – Er war leicht zu führen.
O – Der wirtschaftliche und unternehmerische Erfolg stand für ihn stets im Vordergrund.
O – Er mochte Menschen.
O – Nie stellte er seine Person in den Vordergrund, immer betonte er die Leistung seines Teams.
O – Er verlangte nichts, wofür er nicht selbst Vorbild sein konnte.
O – Er respektierte andere und war als Chef selbst eine respektierte Persönlichkeit.
O – Er liebte seine Arbeit als Führungskraft.

Ausschlaggebende Kriterien

Dies ist selbstredend nur ein dürftiger Anfang. Zwar finde ich persönlich längst nicht alles darauf lobenswert, aber oft wird es so verstanden. Und leicht könnte man die Liste der Zutaten verlängern. Was fehlt Ihnen in dieser Liste? Ich nehme an, dass es gar nicht so leicht ist, im Detail sagen zu können, was konkret man an sich selbst respektive an der eigenen Führungstätigkeit wirklich gut und lobenswert fände.

Nur: Wie soll man gut sein und gar besser werden, wenn man nicht weiss, was dafür die ausschlaggebenden Kriterien sind? Wichtig ist es daher allemal, sich solche Fragen wenigstens zu stellen.

Wir können nun die Sache weitertreiben. Fragen Sie sich einmal, was Ihre Mitarbeiter heute redlicherweise an Ihrer Führung zu loben hätten. Was Ihr Chef? Ist es zweimal das Gleiche? Gibt es wesentliche Unterschiede zwischen dem Blick von oben und dem Blick von unten auf Ihre Führung? Woran liegt das?

Und nach Ihren eigenen Massstäben: Würdigen Chef/Mitarbeiter Sie wenigstens für das Richtige? Wissen Sie überhaupt, was die an Ihrer Führung schätzen (oder hören Sie bestenfalls ab und zu irgendwelche Klagen und Reklamationen)?

Die richtigen Dinge

Zu guter Letzt, wenn wir nun auf die Liste der von Ihnen angekreuzten oder ergänzten Zutaten zur Lobrede auf Ihre Führungstätigkeit zurückkommen: Ist Ihre (Führungs-)Arbeit der letzten vierundzwanzig Stunden geeignet, diese Lobrede zutreffend werden zu lassen? Und die der letzten Woche? Wie wars im letzten Jahr? Und in der Zeit, seit Sie in der heutigen Funktion tätig sind?

Nun, es liegt mir fern, Sie deprimieren zu wollen. Schauen Sie deshalb nach vorne. Sich zu fragen, wofür man angesichts der morgigen oder künftigen Führungstätigkeit gelobt werden möchte, bringt Sie sicherlich weiter.

Gelobt zu werden, ist zwar nicht das Mass für gute Führung. Das war hier aber auch nicht unsere Übungsanlage. Die Vorstellung der eigenen Lobrede diente nur dem Zweck zu reflektieren, was es für Sie heisst, die richtigen Dinge zu tun und die Dinge richtig zu tun.

Doch falls die Aussicht auf ein wenig Lob Ihr Ego dazu motiviert, genau das dann auch zu tun, dann dürfen wir Ihnen so viel Narzissmus gerne verzeihen.