Karriere

«Die normal gewordene Forderung, dass alles ständig besser werden sollte, ist in Wahrheit der Tod jedes erfolgreichen Change Managements!» Cartoon: Silvio Erni

Gut

Felix Frei

Hier kommt, geschätzte Führungskräfte, eine Anregung zum Start in die neue Woche, zur Reflexion Ihrer Führungsprinzipien.

Eine bestechende Idee im Management aus dem letzten Jahrhundert betrifft den «Kontinuierlichen Verbesserungsprozess» (KVP), oft in der japanischen Version unter dem wohlklingenderen Namen Kaizen. Die Dinge einfach laufend verbessern! In kleinen Schritten zwar, aber Tag für Tag. Kein Manager mehr heute, der dieses Gedankengut nicht predigen und einfordern würde. Kaum jemand freilich, der es – bezogen auf sich selbst! – tatsächlich auch tut.

Die zur Selbstverständlichkeit gewordene Forderung, dass alles ständig besser werden sollte, ist in Wahrheit der Tod jedes erfolgreichen Change Managements. Lesen Sie diesen Satz noch einmal!

Wenn nichts gut, sondern alles nur einen Schritt davor ist, besser zu werden, dann ist die einzig vernünftige psychologische Reaktion ein Widerstand auf der ganzen Breite. Denn, wer immer alles verbessern will, der verzettelt sich völlig, der arbeitet nur noch am System (Reorganisation, Restrukturierung usw.), ohne dass er je dazu käme, im System zu arbeiten (das tägliche Geschäft betreiben).

Plattitüden und Quatsch

Wir müssen uns an dieser Stelle klar darüber werden, dass der Zeitgeist von einem völlig falschen Verständnis von Wandel ausgeht. Die Veränderung sei das einzig Konstante, alles sei im Fluss, Stillstand sei Rückschritt und was der Plattitüden mehr sind. Das ist, mit Verlaub, Quatsch. Denn:

Komplexe Systeme funktionieren nur, solange sie aktiv ein stabiles Ordnungsmuster aufrechterhalten können. Das gilt für menschliche Gehirne genauso wie für Organisationen. Veränderungen kommen vor und sind mitunter aufgrund veränderter Bedingungen oder Ziele zwingend, aber sie bedeuten eine krisenhafte Störung der Stabilität des Ordnungsmusters, die nur zugelassen wird, um möglichst rasch auf einem besseren Ordnungsmuster wieder Stabilität erlangen zu können. Nur in den Phasen der Stabilität ist ein komplexes System leistungsfähig. Nicht während seines Umbaus.

Bildhaft: Es mag sein, dass eine neue Tapete schöner wäre als die alte. Das Gleiche wird man von der neuen aber auch wieder sagen können. Wenn Sie als Folge dieser Einsicht nun sofort frisch tapezieren und, noch bevor die Sache getrocknet ist, eine neue Tapete darüber kleben und dann die nächste – dann resultiert nicht die schönste Stube aller Zeiten, sondern eine ewige Baustelle, in der sich nicht wohnen lässt, und eine gute Wahrscheinlichkeit, dass Ihnen der ganze Wandschmuck eines Tages, ratsch, entgegenfällt.

Funktionales Ordnungsmuster

Stabilität (und hier greift das Tapetenbeispiel natürlich nicht mehr) bezieht sich nicht auf die Elemente eines Systems, sondern auf das System selbst: Ein Grossraumflugzeug liegt stabil in der Luft, weil (und nicht obwohl) tausend Dinge darin in heftigster Bewegung sind. Es wird ununterbrochen Kerosin umgepumpt, um die Bewegungen der Leute im Flugzeug statisch auszugleichen. Es gibt vielerlei Steuerungsausschläge, um den Einfluss von Wind und Turbulenzen auszugleichen. Und so weiter. Stabilität einer Organisation heisst also nicht, dass der einzelne Mitarbeiter sich nicht mehr bewegen muss. Im Gegenteil! Ein gesundes, denkfähiges Gehirn setzt sich auch nicht aus ruhenden Gehirnzellen zusammen, sondern aus einer Unzahl von «wild» feuernden Neuronen, die aber insgesamt ein geordnetes Muster bilden.

Ob eine Organisation eine leistungsfähige Stabilität oder einen tödlichen Stillstand darstellt, hängt davon ab, ob ihr Ordnungsmuster funktional ist. Funktional bedeutet «gut für einen bestimmten Zweck». Alles hängt damit also von der Frage ab, was gut heisst:

  • «Gut» ist nie absolut und abschliessend zu definieren. Essig ist gut, wenn er in die Salatsauce soll; nicht gegen Durst. Und ob der Essig für den Salat auch wirklich gut ist, hängt davon ab, wie und woraus er gemacht wurde, für welchen Salat er sein soll und welchen Geschmack die Essenden haben.
  • «Heute gut» heisst noch lange nicht «morgen gut». Die Beurteilung kann sich ändern.
  • «Gut» bedeutet nicht «perfekt» – und die Tatsache, dass etwas noch besser werden könnte, heisst keineswegs, dass es nicht gut ist.
  • Auch wenn man etwas besser machen könnte als «gut», ist das deshalb vielleicht dennoch keine gute Idee, weil der Preis dafür zu hoch ist, sodass eine Vollkostenrechnung zum Schluss käme, dass «besser» in dem Falle schlechter wäre.
  • «Gut» darf nicht nur attraktiv sein, wenn man es nicht hat, sondern (wenigstens eine Zeitlang) auch dann, wenn man es erreicht hat.
  • Auf etwas Gutes hinzuarbeiten, macht nur Spass, wenn man eine allmähliche Näherung erkennen kann und das Erreichen des Guten nicht aussichtslos ist. Auf einer Wanderung, bei der man an seine Leistungsgrenze kommt, ist nichts frustrierender, als wenn nach jedem Zwischengipfel wieder ein neuer auftaucht, von dem man ebenfalls meint, er sei das ersehnte Ziel.

Die gute Wirkung zählt

Change Management muss solche Überlegungen berücksichtigen. Warum soll ich mich darauf einlassen, mühsam etwas besser zu machen, wenn ich schon jetzt weiss, dass das Ergebnis niemals als gut gelten wird? Wenn es nur die Latte höher legt für das nächste Bessermachen? Change Management muss fokussieren auf das, was geändert werden soll und gleichzeitig klarstellen, was vorderhand als gut gilt. Nicht nur bezogen auf Bestehendes, sondern auch auf Angestrebtes.

Dazu muss man Change Management vielleicht auf dem zweiten Wort betonen: Change Management. Denn es sind häufig die obersten Manager, die befürchten, wenn sie etwas für gut erklären würden, dann würde sich überhaupt niemand mehr anstrengen, und alle würden sich nur noch auf den Lorbeeren ausruhen.

Diese Manager benehmen sich teilweise wie weiland Millionen von chinesischen Bauern: Sie mussten nach einer Missernte auf Befehl des Grossen Vorsitzenden Mao Zedong zur genau gleichen Zeit mit Kind und Kegel auf ihre Felder und dort mit Pfannen und Deckeln während Stunden einen derartigen Höllenlärm machen, dass sich die Spatzen nirgendwo mehr hinsetzen konnten, sondern in ihrer Panik in der Luft flatterten, bis sie tot vom Himmel fielen. Diese Art von Change Management, obwohl augenscheinlich wirksam, erwies sich freilich nicht als besonders gut. Denn im Jahr darauf frassen Schädlinge, nun ohne Spatzen als ihre natürlichen Feinde, die Ernte.

Es gilt auch hier: Nicht die gute Absicht zählt. Nur die gute Wirkung ist gut.