Karriere

«Es gibt keine eidg. dipl. Führungskräfte, aber es gibt Führungskräfte, die verstanden haben, dass Führung für sie Berufung und Beruf ist.» Cartoon: Silvio Erni

Führung als Beruf

Felix Frei

Hier kommt, geschätzte Führungskräfte, eine Anregung zum Start in die neue Woche, zur Reflexion Ihrer Führungsprinzipien.

Auf einer Party, in einer Bar, am Strand: Was antworten Sie auf die unvermeidliche Frage nach Ihrem Beruf? Wenn Sie Lehrer wären, sagten Sie wohl «Lehrer». Wären Sie Schreiner, sagten sie wohl «Schreiner». Wären Sie dagegen Stadtrat, sagten Sie wohl «Stadtrat» – obwohl dies ein Amt und kein Beruf ist. Am wahrscheinlichsten aber ist, dass Sie, da eine Führungskraft, gar keinen echten Beruf nennen, sondern sagen: «Ich arbeite bei...». Vielleicht fügen Sie hinzu: «Ich bin dort verantwortlich für ...». Und möglicherweise geben Sie noch an, wie viele Menschen Ihnen hierarchisch unterstellt sind. Nur – einen Beruf haben Sie damit nicht genannt. Selbst wenn Sie mit einem leisen Lächeln hinzufügen: «Gelernt habe ich ja mal Kaufmann/Ingenieur/Techniker/Jurist/Informatiker.»

Natürlich ist nicht wesentlich, was Sie auf die Frage nach Ihrem Beruf sagen. Ich selbst gebe im Hotel auch immer «Anthropophage» an – einfach weil ich finde, das gehe die nichts an. Wesentlich ist aber, was Sie als Ihren Beruf empfinden. Denn Beruf ist ja nicht primär eine Frage der Grundausbildung. Der Beruf ist eine Frage der Berufung – und das hat viel mit der persönlichen Identität zu tun, die im täglichen Handeln immer durchschimmern wird.

Innere Überzeugung

Es ist ein Unterschied, ob jemand...
... sich für einen Techniker hält, der als Chef einer technischen Abteilung «nebenbei» auch noch Leute führen muss, oder ob jemand ...
... sich für einen Manager hält und dies primär als eine Planungs-, Organisations-, Koordinations- und Entscheidungsaufgabe versteht, von der hierarchisch unterstellte Mitarbeiter über eine Befehlslinie betroffen sind, oder ob jemand ...
... sich als Führungskraft versteht, die mittels Menschenführung andere dazu bringt, einzeln wie als Gruppe mehr und Besseres zu leisten als das, wozu sie auch ohne Führung imstande wären.

Nur wer sich zur Führung berufen fühlt, wird Letzteres tun – oder zumindest anstreben.

Zwar werden Führungskräfte in ihre Funktion befördert, aber nicht berufen. Berufung kann nur eine innere Überzeugung sein und hängt von keiner fremden Einschätzung ab. Natürlich gibt es Leute, die genau erst in dem Moment, in dem man sie in eine Führungsposition hievt, das Gefühl entwickeln, sie seien dazu berufen. Das dürfte aber fast immer eine von aussen auflackierte falsche Selbsteinschätzung sein. Und die Leute, die sich schon berufen fühlen, bevor auch nur irgendjemand daran denkt, sie zu befördern, die leiden nicht selten an Selbstüberschätzung (auch wenn der Wille zur Führung tatsächlich eine Notwendigkeit für eine Führungskraft darstellt!).

Das ziemt sich

Ein gesundes Gefühl, zur Führung berufen zu sein, entsteht wohl erst im Laufe der Jahre. Nach vielen guten und weniger guten Erfahrungen. Nach Erfolgen und Misserfolgen. Und aufgrund des wiederholten Entschlusses, seine Führungsaufgabe morgen etwas besser als gestern zu erfüllen.

Wer sich aber zur Führung berufen fühlt, wer also Führung als seinen Beruf versteht, der sollte all das tun, was sich für einen guten Berufsmann (Frauen eingeschlossen) von alters her geziemt:

  • Er ist stolz auf seinen Beruf und übt ihn gerne aus.
  • Er will gut sein in seinem Beruf und hat den Ehrgeiz, stets noch besser zu werden.
  • Er interessiert sich dafür, was Berufskollegen tun und womit sie erfolgreich sind – und er sucht nicht bloss danach, wo sie schlechter sind als er oder eben auch nur mit Wasser kochen.
  • Er nimmt zur Kenntnis, was Fachleute in seinem Berufsgebiet zu sagen haben.
  • Er anerkennt Meister und strebt selbst Meisterschaft an.

Nicht wahr, das ist nicht genau das, was die Identität der meisten heutigen Führungskräfte beschreibt. Über diese wäre eher zu sagen,

  • dass sie meistens gestresst sind,
  • dass sie getrieben sind von Zeitvorgaben und fremden Einflüssen,
  • dass sie vor allem tun, was sie müssen, nicht, was sie wollen,
  • dass sie sich eher als Opfer denn als Schöpfer sehen,
  • dass sich ihre Freude und ihr Stolz über das, was sie tun, oft etwas gar in Grenzen halten.

Was ist das für ein Beruf? Sklave, Galeerenruderer, Knecht... Sehen Sie sich so? Hoffentlich nicht!

Womöglich im falschen Film

Es liegt an Ihnen, sich Ihre Identität zu zimmern. Der Anfang davon ist ganz einfach: Sie müssen wissen, als was Sie sich verstehen. Wenn Sie Führung als Ihren Beruf verstehen, dann prägt das nicht nur, was Sie tun, sondern auch, wie Sie es tun. Und es ist die Basis dessen, was Sie aus Ihrer Arbeit ziehen können – hinsichtlich Sinn, Bedeutung, Achtung, Wertschätzung und Erfolg.

Es ist ein wenig wie bei diesen Kipp-Bildern aus der Psychologie der optischen Täuschungen: Man sieht entweder eine alte Frau oder ein junges hübsches Mädchen. Und wenn man mal beides erkannt hat, kann man entscheiden, was man sehen will. Und das wird dann zur Figur, während der Rest zum Hintergrund wird. Am Gesamtbild hat sich objektiv nichts verändert, aber subjektiv sehr viel.

Werden Sie sich klar, worauf Sie Ihre berufliche Identität bauen und wozu Sie sich berufen fühlen. Wollen Sie Ihre Führungstätigkeit als Figur im Vordergrund haben und aus allem anderen den unvermeidlichen Hintergrund machen – oder aber umgekehrt?

Wenn Sie nicht Führung als Ihren Beruf sehen, dann sind Sie heute womöglich im falschen Film. Es tut mir leid, dies so deutlich zu sagen. Aber genau das kann sein, und davor sollten Sie Ihre Augen nicht bloss deshalb verschliessen, weil Sie die Konsequenzen fürchten.

Wenn Sie aber Führung als Ihren Beruf sehen – dann wünsche ich Ihnen gute Fortschritte auf dem Weg zur Meisterschaft. Dieser Weg ist lang, nicht immer leicht, stets aber lohnend – vorausgesetzt, es ist wirklich Ihr Weg.