Karriere

«Nein» ist eines der ersten Wörter, die ein Kind lernt. Kein Grund, es als Erstes zu vergessen, wenn man einmal erwachsen geworden ist. Cartoon: Silvio Erni

Nein

Felix Frei

Hier kommt, geschätzte Führungskräfte, eine Anregung zum Start in die neue Woche, zur Reflexion Ihrer Führungsprinzipien.

Nehmen Sie sich auch spätestens an Sylvester vor, künftig einfach häufiger Nein zu sagen? Tja, und warum halten Sie denn diesen Vorsatz nicht ein? Der ist doch wirklich einfach: Zunge leicht an die obere Zahnreihe drücken, etwas Luft ausströmen lassen, Zunge ganz kurz nach unten springen lassen und sofort wieder hochdrücken. Kann jeder. Schon ganz kleine Kinder lernen das als eines der allerersten Wörter.

Aber: Wer weiss, vielleicht haben wir ja auch alle schon als kleine Kinder gelernt, dass wir für ein Ja eher geliebt werden als für ein Nein. Und falls diese Hobbypsychologie stimmt, wundert es nicht, dass uns Nein sagen schwerfällt. Dazu kommt:

  • Nein sagen braucht in der Regel Begründungen. Ein Ja wird einfach akzeptiert.
  • Nein sagen kann dem Gegenüber eine Enttäuschung bescheren, die wir ihm gerne ersparen würden (zumindest, wenn wir nichts gegen ihn persönlich haben).
  • Nein sagen kann uns in ein Licht stellen, in dem wir uns selbst nicht sehen. Wir wirken, als wären wir nicht leistungsbereit oder nicht hilfsbereit oder nicht freundlich oder nicht loyal.
  • Nein sagen lässt uns unsere eigenen Grenzen spüren – zumindest, wenn es sich um ein «Nein, ich kann nicht», statt um ein «Nein, ich will nicht» handelt.

Big five aller Entwirrungsfragen

Um aus diesen Schwierigkeiten herauszufinden, muss man lernen, ein paar Dinge zu entwirren, indem man sich selbst die richtigen Fragen stellt – bevor man überhaupt etwas sagt. Hier sind die «Big five» aller Entwirrungsfragen:

  1. Ist es wirklich Nein, was ich sagen möchte? Das ist nämlich nicht dasselbe wie ein Ja, das durch ein paar Zweifel eingeschränkt wird.
  2. Warum möchte ich Nein sagen? Will ich nicht oder kann ich nicht? Was will ich stattdessen oder was kann ich stattdessen?
  3. Welche negativen Konsequenzen befürchte ich für den Fall, dass ich Nein sage?
  4. Welche (vielleicht nur vermeintlichen) positiven Effekte erhoffe ich mir im Innersten für den Fall, dass ich nicht Nein sage?
  5. Was bedeutet mir die Beziehung zu der Person, der ich möglicherweise Nein antworten werde?

Die Vorteile eines Neins

Nur schon, damit Sie überhaupt die Zeit haben, sich diese fünf Fragen zu überlegen, müssen Sie sich einen kleinen Kunstgriff antrainieren: Bedingen Sie sich, wenn Sie auch nur ein klein bisschen unsicher sind, ein wenig Zeit aus, bevor Sie Nein oder Ja sagen. Wenn Sie das mit der gebotenen Freundlichkeit tun, nimmts Ihnen keiner übel. Und dann können Sie Ihre gespürte Unsicherheit, Ihr Bauchgefühl genauer prüfen und überhaupt stimmige Antworten auf die «Big five» der Entwirrungsfragen finden.

Nehmen wir an, es gelingt Ihnen, diese Fragen zu entwirren, dann haben Sie schon eine sehr viel bessere Chance, trotz der oben genannten Barrieren tatsächlich Nein zu sagen. Unterstützen kann Sie dabei, wenn Sie sich vor Augen halten, dass es auch mannigfache Vorteile hat, wenn Sie Nein sagen können (falls Sie tatsächlich Nein meinen):

  • Wer mit Ihnen die Erfahrung gemacht hat, dass Sie Nein sagen, wenn Sie Nein meinen, der weiss, dass er sich ebenso darauf verlassen kann, wenn Sie Ja gesagt haben. Das ist sehr viel angenehmer als ein steter unterschwelliger Zweifel, ob ein Ja auch so gemeint war.
  • Wenn Sie häufiger Nein sagen – aber wie gesagt nur dort, wo Sie Nein meinen –, dann gibt es mehr Dinge, die Sie nicht mehr tun müssen und somit mehr Zeit für die Dinge, die Sie tun wollen.
  • Vermutlich gilt ja nicht immer für ein bibeltreues Leben, dass es die Sache einfacher macht (ich bin da nicht gerade ein Experte). Doch für die biblische Forderung «Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein» (Matthäus 5,37) gilt das allemal. Die Dinge werden tatsächlich einfacher. Das merken Sie frühestens dann, wenn man Ihnen den Kopf trotz aller Befürchtungen nicht abgerissen hat, nachdem Sie Nein gesagt haben.
  • Jedes Nein, das Sie gesagt und in Ihrem Handeln auch befolgt haben, wird Sie darin stärken, die oben formulierten schwierigen «Big five» aller Entwirrungsfragen zu beantworten. Denn von Mal zu Mal lernen Sie sich und Ihre tatsächlichen Bedürfnisse genauer kennen.
  • Mag sein, dass Ihr Nein im Einzelfall nicht besonders geschätzt wird – aber es ist wahrscheinlich, dass Sie als Person an Achtung und Respekt gewinnen, wenn man weiss, dass Sie auch Nein sagen können.

Abhängig vom Umfeld

Nun sind freilich zwei Einschränkungen anzubringen:

Erstens: Es gibt Leute, die sich ein Hobby daraus machen, Nein zu sagen. Es gibt ihnen vermutlich ein Gefühl von Macht. Meist merken sie aber nicht, dass ihre Attitüde eher lächerlich wirkt als majestätisch. Von einer so motivierten (und damit auch sich selbst gegenüber unredlichen) Art, Nein zu sagen, wird hier nicht das Lob gesungen.

Zweitens: Vor jedem allzu schnellen Nein sollte die gelassen und entspannt gestellte Frage stehen: «Why not?». Wo könnten denn die Vorzüge liegen, trotz aller Bedenken Ja zu sagen? Nicht jeder Ärger und jede Anstrengung sind nur ein Ärger respektive eine Anstrengung. Manchmal sind sie auch nur der erste Schritt auf einem Weg, der schliesslich zu einem Berggipfel mit wunderbarer Aussicht führt. Und übrigens: Auch aufs Jasagen kann man die «Big five» der Entwirrungsfragen sinngemäss anwenden.

Ob Sie Ja oder Nein sagen: Sie tun das immer in einem ganz bestimmten sozialen Umfeld. Manch einer kann im Geschäft problemlos Nein sagen. Zuhause aber nicht. Oder umgekehrt. Deshalb lohnt es sich, dieses Umfeld – in unserem Fall ja das betrieblich-berufliche – unter diesem Aspekt einmal genauer unter die Lupe zu nehmen: Wer sagt hier mit welchen Folgen Ja, wenn er Nein meint? Und wer Nein, wenn er Nein meint? Und wie wirkt sich das auf Sie und Ihr Nein oder Ja aus: Gegenüber Ihrem Chef, Ihren Mitarbeitenden, Ihren Kollegen oder gegenüber anderen Personen?

Was schliesslich die Folgen angeht: Fragen Sie nach den tatsächlichen Folgen – nicht nach denen, die Sie sich bloss in Ihren ärgsten Befürchtungen ausmalen. Vielleicht finden Sie dann gar nicht so viele rollende Köpfe, wie Sie zuerst dachten.