Karriere

«Sie verbringen sooo viel Zeit in Sitzungen. Warum lernen Sie nicht endlich, diese effektiv, effizient und echt befriedigend zu gestalten?». Cartoon: Silvio Erni

Sitzungen

Felix Frei

Hier kommt, geschätzte Führungskräfte, eine Anregung zum Start in die neue Woche, zur Reflexion Ihrer Führungsprinzipien.

Wenn heute der 6. Januar wäre, was leider nicht ist, und wenn ich im Dreikönigskuchen auf das kleine weisse harte Figürchen gebissen hätte und damit für heute König wäre, was leider auch nie passiert, dann würde ich für mein Königreich (sei das die Geschäfts-, Bereichs-, Abteilungs- oder Teamleitungssitzung) die folgende königliche Weisung zum Thema «Sitzungen» erlassen:

1. Unsere Sitzungen fangen genau um die Zeit an und hören genau um die Zeit auf, die in der Einladung angekündigt wurde. Und während genau dieser Zeit erwarte ich die aktive Teilnahme aller Eingeladenen. Absenzen brauchen seeehr gute Gründe. Und ich akzeptiere bestenfalls intelligente Ausreden fürs Zuspätkommen respektive Frühergehen. Die Sitzungslänge ergibt sich nicht aus der Gewohnheit, sondern aus einer Abwägung zwischen den Erfordernissen der Themen und unserer Bereitschaft, sich darin zu vertiefen, und den biologischen Begrenzungen einer konzentrierten Diskussion.

2. Jede Sitzung hat eine Traktandenliste (mit festen und variablen Themen). Jedes Thema hat einen Götti. Der Götti stammt aus dem Kreis der regelmässigen Sitzungsmitglieder, auch wenn zum Beispiel eine externe Person in seinem Auftrag referiert. Der Götti spricht im Vorfeld mit mir den Zeitbedarf ab, und dieser budgetierte Zeitrahmen gilt nachher. Mein Wecker wird nach Ablauf der Zeit klingeln, und dann breche ich rigoros ab. Schliesslich bin ich der König – und Pünktlichkeit ist bekanntlich die Höflichkeit der Könige. Wenn es der Götti nicht schafft, in der veranschlagten Zeit zu dem von ihm gewünschten Schluss zu kommen, muss er beim nächsten Mal wieder antraben. Bereits in der Traktandenliste ist erkennbar, was das erwünschte Resultat formal ist: Kenntnisnahme, Beschluss, Bewilligung, Lösungsfindung und so weiter.

Götti-Prinzip

3. Es gibt drei Arten von Traktanden (was die Vorbereitung angeht): Traktanden, zu denen vorab Unterlagen abgegeben werden, die an der Sitzung als gelesen vorausgesetzt werden und die daher spätestens 48 Stunden vor der Sitzung verteilt sein müssen. Traktanden, zu denen alles Nötige an der Sitzung präsentiert wird und die keine Vorbereitung verlangen. Traktanden, die via Aufträge an die Sitzungsmitglieder im Vorfeld bestimmte «Hausaufgaben» verlangen, die dann an der Sitzung zu präsentieren sind. Wer an einer Sitzung etwas präsentiert, darf das unsägliche PowerPoint verwenden – ein König muss ja auch mal Gnade vor Recht ergehen lassen. Mit PowerPoint wird aber nur eine mündliche Rede unterstützt, sodass es leichter ist, dieser zu folgen oder sich daran zu erinnern. Die Rede muss frei sein, PowerPoint untermalt nur. Der König ist überaus erbost, wenn jemand vorliest, was er präsentiert, weil das seine Hoheit beim Lesen stört.

Vor der Sitzung verteilte Dokumente, die als gelesen vorausgesetzt werden, sind in Word verfasst und bestehen aus ganzen deutschen Sätzen. Power-Point darf nie vorher abgegeben werden, denn PowerPoint ohne mündliche Rede versteht man nicht – oder aber es dürfte nicht PowerPoint sein. Ist das klar? Die Word-Dokumente, die als gelesen vorausgesetzt werden, haben die Sache auf den Punkt zu bringen. Excel-Tabellen und ähnliche Dinge gehören in einen Anhang, wenn der Word-Text erlaubt, zu verstehen, was sich darin findet. Form und Rechtschreibequalität zeigen, dass die Sache wenigstens dem Verfasser nicht schnurzegal ist. Der Umfang beweist, dass der Verfasser weiss, dass Zeit Geld ist. Der Götti des Traktandums (der nicht der Verfasser des Dokuments sein muss, aber dafür verantwortlich ist) leitet den Punkt direkt damit ein, dass er nach allfälligen Verständnisfragen fragt. Der Text ist gelesen, wird also weder präsentiert noch «kurz» zusammengefasst. Weder der König noch sein Hofstaat sind Analphabeten. Nach den Verständnisfragen führt der Götti direkt zur Diskussion, die dann zur Beschlussfassung oder Kenntnisnahme oder Problemlösung oder Ideenfindung – je nach Anliegen – führt.

4. Was es auf die Traktandenliste schafft, hat die Aufmerksamkeit unseres Gremiums verdient. Dafür habe ich als Chef vorab zu sorgen. Dass die Darstellung des Themas unseres Gremiums würdig ist, dafür hat der Götti zu sorgen. Dass die Diskussion im Gremium des Gremiums würdig ist, dafür hat das Gremium – also jedes seiner Mitglieder – zu sorgen.

Frage der Höflichkeit

5. Ein Sonderfall innerhalb unserer Sitzungen besteht darin, dass gelegentlich Personen dazustossen, die mit ihrer Präsentation etwas von ihrem Können zeigen wollen und von uns Wertschätzung, Anerkennung und Unterstützung erwarten. Darauf haben sie ein Anrecht, und der Traktanden-Götti muss dafür sorgen, dass ihr Auftritt dazu eine faire Chance bietet.

6. Handys sind während der Sitzung nicht nur auf lautlos zu stellen, sondern werden abgestellt. Laptops darf jeder brauchen, der seine Notizen darauf macht. Dass er nichts anderes damit macht, ist eine Frage der Höflichkeit und des Respekts.

7. Mit dem Protokoll der Sitzung organisieren wir uns so, dass es spätestens 24 Stunden nach Sitzungsschluss allen Teilnehmenden (plus eventuell einem weiteren bestimmten Adressatenkreis) zugeht. Die Form des Protokolls dient seinem Zweck. Und über den verständigen wir uns.

8. Es gibt keine Sandwiches. Falls die Sitzung über den Mittag hinausführt, machen wir einen kurzen Unterbruch und gehen gemeinsam etwas Leichtes essen. Während dieser Zeit wird nichts anderes getan. Wir organisieren uns im Vorfeld so, dass die Sache angenehm ist und effizient verläuft.

Akzeptierter Ausnahmefall

9. Es gibt Kaffeepausen. In diesen dürfen auch Telefongespräche erledigt werden. Wir streben aber eine interne Kultur an, in der dies akzeptierter Ausnahmefall, doch niemals ein Statuszeichen ist. Wenn, dann eher ein Zeichen dafür, dass sich jemand nicht besonders gut organisiert ...

10. Humor hat in unseren Sitzungen ebenso Platz wie Emotionen. Nur der zwischenmenschliche Respekt setzt die Grenze.

11. Die Missachtung dieser Weisung zieht den königlichen Zorn auf sich. Insbesondere dann, wenn der König selbst seine eigenen Weisungen missachtet oder nicht pickelhart durchgesetzt hat.

Aber, wie gesagt: Leider ist heute nicht der 6. Januar. Und wäre es doch, dann wäre ja morgen die märchenhaft königliche Zeit eh schon wieder vorbei.

Und ausserdem bin ich für Ihre Sitzungen sowieso nicht verantwortlich. Das sind ja Sie.

Also gilt wie bei richtigen Märchen auch hier: Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben Ihre bisherigen Sitzungspraktiken auch morgen noch fröhlich weiter.