Karriere

«Sind Sie fähig, auf der Rückseite eines Bierdeckels festzuhalten, was die Arbeit Ihrer Leute auf eine gemeinsame Linie ausrichten soll?» Cartoon: Silvio Erni

Bündelung der Kräfte

Felix Frei

Hier kommt, geschätzte Führungskräfte, eine Anregung zum Start in die neue Woche, zur Reflexion Ihrer Führungsprinzipien.

Es ist anzunehmen, dass Ihre Mitarbeitenden auch dann arbeiten, wenn Sie mal grad weg sind. Auch nehme ich an, dass Ihre Leute sich echt bemühen, Leistung zu erbringen – dass sie also nicht nur ihre Arbeitszeit absitzen. Überdies ist zu vermuten, dass diese Menschen – nicht anders als Sie auch – abends meistens müde sind, wenn sie von der Arbeit kommen. Kurzum: Ihre Leute setzen ihre Kraft ein.

Woher aber wissen Sie, ob die Summe all dieser Kräfte das Unternehmen in die gleiche, und zwar richtige Richtung bewegt? Anders gefragt: Wie stellen Sie sicher, dass in Ihrem Führungsbereich die Kräfte gebündelt werden?

Früher war es in der Industrie so, dass entweder der Vorgesetzte täglich und laufend jedem Mitarbeiter sagte, was er ganz genau zu tun hatte. Oft bis hinunter auf die Ebene eines Handgriffs. Oder Systeme – klassischerweise ein Fliessband wie in «Moderne Zeiten» von Charlie Chaplin – zwangen die Arbeiter dazu. Damit verband man das Bild des kleinen Rädchens im grossen Räderwerk. Eines greift ins andere.

Das wirkt steuernd

Diese Zeiten sind vorbei, und das ist aus mancherlei Gründen erfreulich. Aber wer oder was steuert denn heute das Arbeiten der Leute?

Steuernd wirken gegenwärtig zum Beispiel...

  • die In-Box des Mail-Systems. Eingehende Mails erheischen heutzutage seeehr viel Aufmerksamkeit und lassen sich offenbar fast nicht ignorieren.
  • externe und interne Kunden mit ihren Wünschen, Aufträgen, Anforderungen. Die kommen häufig irgendwann und nicht selten mit grosser Dringlichkeit.
  • die Agenda mit festen, wiederkehrenden und auch ad hoc stattfindenden Meetings, Workshops – die leider alle immer mindestens so viel Zeit brauchen, wie geplant wurde. Nicht so viel, wie effektiv benötigt würde.
  • die Lautstärke anderer Menschen. Seien es Mitarbeitende, Kollegen, Vorgesetzte, Kunden. Wir neigen dazu, lauteren Rufen eher zu folgen als den leisen Tönen.
  • persönliche Vorlieben. Nicht alles macht man gleich gerne. Es liegt deshalb auf der Hand, dass man manchmal vor allem oder zuerst oder ein wenig gründlicher das tut, was einem mehr Spass macht oder leichter fällt.
  • Ziele aus den jährlichen Zielvereinbarungen – vor allem, wo sie bonuswirksam sind. Selbst wenn sich die Verhältnisse geändert haben und andere Ziele vielleicht sinnvoller wären.
  • die eigene Stimmung oder Tagesform. Beides kann manchen von uns dazu bringen, etwas zu verschieben, das vielleicht dringlich wäre.
  • die Erfolgsaussichten eines Vorhabens respektive die dahinter stehende «Lorbeer-Logik» (Wofür darf wer welche Lorbeeren erwarten?). Wir alle tun am allerliebsten etwas, mit dem wir erfolgreich sein und Lob ernten können.

Ihr Handwerk

Glauben Sie im Ernst, dass all diese Faktoren die Leistung eines einzelnen Mitarbeiters in genau die richtige Richtung lenken und die Kräfte aller genau im Sinne des Unternehmens bündeln?

Sehen Sie.

Was also tun? Bestimmt können wir uns darauf einigen, dass eine Rückkehr zum stets und alles kontrollierenden und befehlenden Chefs nicht das Gelbe vom Ei wäre.

Trotzdem bleibt es Ihre Aufgabe, die Kräfte in Ihrem Führungsbereich zu bündeln. Wie immer Sie das tun. Ich brauche Sie bestimmt nicht daran zu erinnern, dass Sie sich über diese Frage ganz konkret Rechenschaft ablegen müssen. Denn selbstredend bemühen Sie sich darum, dass Sie die richtig qualifizierten Leute haben, dass Sie ihnen die richtigen Ziele vorgeben, dass Sie mit Ihren Leuten Arbeitspläne absprechen und koordinieren, dass Sie Arbeitsfortschritte und Ergebnisse überprüfen, dass Sie Ihre Zahlen kennen, dass Sie die Prioritäten richtig setzen, dass die Kommunikationsflüsse klappen und so weiter und so fort. Das alles gehört schliesslich zu Ihrem Handwerk, und manch anderes wäre da auch noch zu nennen.

Die Sinnstiftung

Das Einzige, was ich hier ergänzen und besonders betonen will, ist die Sinnstiftung.

Ihnen als Chef/in muss es gelingen, Ihren Mitarbeitenden den Sinn dessen deutlich zu machen, was sie zu tun haben. Das klingt leichter und selbstverständlicher, als es ist.

Zweifellos gehört dazu ein «intellektueller» Teil: Was ist die Strategie des Unternehmens? Wie bettet sich der eigene Bereich darin ein? Was bestimmt unseren Markt und die Kunden, für die wir tätig sind? Glücklich, wer das alles weiss und versteht! Realistischerweise müssen wir aber annehmen, dass solche Dinge für manchen eine Überforderung darstellen oder ihn schlicht nicht interessieren. Das heisst, hier wird die Sinnstiftung zu einer besonders schwierigen Sache. Aber Sie können dieser Aufgabe nicht aus dem Wege gehen. Denn jede/r muss so viel vom Sinn des eigenen Tuns verstanden haben, dass er oder sie im Zweifelsfall selbstständig beurteilen kann, was wann wie zu tun ist.

Es geht hier also nicht um die vereinbarten Jahresziele oder um zu erreichende Kennziffern. Es geht um die Vorstellung, die Sie in Ihrer Führung verfolgen und auf deren Realisierung hin Sie die Kräfte Ihrer Leute bündeln wollen. Diese Vorstellung müssen Sie Ihren Leuten verdeutlichen können. Zu betonen ist also die Sinnstiftung.

Eigentlich müsste auf der Rückseite eines Bierdeckels Platz finden, worum es Ihnen in Ihrem Führungsbereich geht. Ist es komplizierter und umfangreicher, wird es kaum helfen, einem zu ver-Sinn-bildlichen, worauf es bei Ihnen ankommt.

Versuchen Sie doch einmal heute beim Feierabendbier, ob Sie es tatsächlich schaffen, den Sinn Ihres Führungsbereichs auf der Rückseite Ihres Bierdeckels so darzustellen, dass er wirklich den Brennpunkt bildet, in dem sich alle Kräfte Ihrer Leute bündeln sollen und können.

Interessant wäre überdies zu schauen, was denn jede/r Ihrer Mitarbeitenden aufschreiben würde, wenn sie/er auch nicht mehr Platz hätte, um den Sinn der Sache darzustellen. Interessant, aber wohl nicht garantiert beruhigend.