Karriere

«Prometheus brachte den Menschen das Feuer. Bald nutzten sie es als Lagerfeuer. Denn ohne gemeinsames Palavern ist der Mensch kein Mensch.» Cartoon: Silvio Erni

Palaver

Felix Frei

Hier kommt, geschätzte Führungskräfte, eine Anregung zum Start in die neue Woche, zur Reflexion Ihrer Führungsprinzipien.

Ohne Zweifel kann Palaver jedes Meeting unproduktiv machen. Und sicherlich wird immer wieder Arbeitszeit vergeudet, während die Leute im Betrieb miteinander über Gott und die Welt plaudern. Und ganz gewiss ist Gerede der Nährboden für Gerüchte und Falschinformationen.

Kurzum: es gibt viel Palaver, das zu verwünschen ist.

Dennoch möchte ich heute das Hohelied des Palavers singen. Denn es gibt zumindest einen Punkt im betrieblichen Alltag, an dem die Gelegenheit zum Palaver nicht nur nötig ist, sondern geradezu Wunder bewirken kann. Dieser Punkt ist dort, wo man den Mitarbeitenden Veränderungen angekündigt hat, die durchaus nicht ohne Weiteres verstanden und akzeptiert werden und keineswegs auf spontanen Applaus stossen. Das soll ja vorkommen.

An diesem Punkt tut man gut daran, zeitlich Freiräume und räumlich Gelegenheiten zu schaffen, wo wer auch immer mit wem auch immer all das «bequatschen» kann, was an Veränderungen ansteht.

Palaver als Konzept im Change Management also, statt als Störung und Ärgernis im Alltag.

Keineswegs vertane Zeit

Hier meine sieben Argumente, warum dieses Palaver keineswegs vertane Zeit ist:

  1. Es wird sowieso über Veränderungen geredet. Das lässt sich so wenig unterdrücken wie ein Niesanfall. Also macht man das Palaver besser zum «Programm», sodass es keiner mühsam verstecken muss.
  2. Palaver ersetzt keine Information. Palaver ist ein notwendiges Mittel, um Information zu verdauen. Im Palaver findet man raus, ob sich die eigene Sicht der Dinge überhaupt halten lässt. Jeder Stammtisch erfüllt diese Funktion für die Politik.
  3. Im Palaver dreht und wendet man die angekündigten Veränderungen auf geistiger Ebene und kann in dieser «Simulation» die Folgen durchspielen. Das gilt unter Umständen natürlich auch für lediglich fantasierte Schreckensszenarien, die vielleicht überhaupt erst Angst auslösen. Über Ängste zu reden ist aber dennoch immer besser und gesünder, als die Ängste zu verdrängen oder die Augen davor zu verschliessen.
  4. Palaver ist in hohem Mass unverbindlich. Daher darf (fast) jeder (fast) alles sagen. Damit erfährt man von einander Dinge, die in einem verbindlicheren Rahmen nicht ausgesprochen würden. Im Laufe der Zeit haben also alle Beteiligten ein recht gutes Bild der wahren Situation. Vorausgesetzt, es konnte wirklich genügend palavert werden.
  5. Sich selbst am Palaver zu beteiligen, stellt für Führungskräfte eine unschätzbare Informationsquelle dar. Aber wie bei dem berühmten Fürsten, der sich nachts verkleidet auf die Strassen und in die Kneipen begab, um zu hören, was das Volk von seiner Regentschaft hielt, darf man dann nicht gekränkt sein, wenn man Unerfreuliches oder Unwahres zu hören bekommt. Man muss es als Faktum nehmen können, dass die Leute das sagen, was sie sagen.
  6. Die vielen falschen Wahrheiten, die in jedem Palaver auch verbreitet werden, bilden eine gute Basis für all jene Fragen, die in den offiziellen Informationsveranstaltungen zwar kaum je gestellt werden, aber unbedingt beantwortet werden müssen. Das muss man zu nutzen wissen.
  7. Palaver macht Spass! Wir Menschen lieben nichts mehr als Tratsch und Klatsch – selbst dann (oder insbesondere dann), wenn wir uns dabei so schön über andere aufregen können. Am liebsten natürlich über «die da oben».

Bis es einfach genug war

Unnötig zu sagen, dass Palaver auch negative Seiten hat. Es kann Ängste schüren, die Stimmung vermiesen, Vertrauen erschüttern und noch Schlimmeres mehr. Zudem kostet es Zeit.

Bloss: All diese Nachteile oder Gefahren sind schon mit dem Teil von Palaver verbunden, den Sie ohnehin nicht unterdrücken können. Die von mir besungenen Vorteile des Palavers aber ergeben sich nicht sofort. Sie entstehen erst dann, wenn das Palaver flächendeckend und erschöpfend war.

Erschöpfend soll dabei nicht heissen «bis zur Erschöpfung». Erschöpfend heisst, dass jede und jeder involviert war und sie wie auch er so lange palavern konnte, bis es einfach genug war. Wenn die Zeit des Palavers von guten Informationsaktivitäten unterbrochen wird, dann stellt sich dieser Moment ein, bevor aus der drohenden Erschöpfung schlechte Gefühle entstehen.

  • Die Verantwortlichen müssen klar machen, dass sie sich so entspannt zum Palaver stellen, wie ich das hier propagiere.
  • Alle Linienverantwortlichen müssen von ganz oben angehalten sein, ihre Leute machen zu lassen, wenn sie am Palavern sind.
  • Kaffeeautomaten müssen ebenso wie die letzten verbleibenden Aschenbecher (Ältere unter uns erinnern sich) so aufgestellt sein, dass man dort auf angenehme Art und Weise verweilen kann.
  • Während oder nach Informationsveranstaltungen müssen explizit Gelegenheiten zum Palavern angeboten werden (zeitlich wie auch räumlich).
  • Wenn sich Vorgesetzte selbst auf eine ruhige und gelassene Art – auch mit dem nötigen Humor (aber ohne Zynismus!) – am Palaver beteiligen, tragen sie viel zur Entspannung bei.

Auch wenn es Mumpitz ist

Niemand darf negative Folgen des Palavers zu spüren bekommen. Auch wenn er wirklich Mumpitz erzählt oder geglaubt hat. Man muss ihm eher dankbar sein, dass man so das ungeschönte ganze Spektrum dessen kennenlernt, was Leute halt so denken können. Man verfällt dann weniger schnell dem naiven Irrtum, nun müsse doch längstens jeder verstanden haben, worum es bei der beabsichtigten Veränderung gehe.

Wie nötig und wichtig ein ausführliches Palaver ist, müsste eigentlich allen höheren Führungskräften aus eigener Erfahrung bestens bewusst sein. Sie haben es – im kleineren Kreis – einfach jeweils bloss schon hinter sich, wenn sie dann soweit sind, eine betriebliche Veränderung anzukündigen. Es ist nichts als fair, wenn sie das Nachholen ihres eigenen Palavers den anderen im Betrieb dann auch genehmigen. Dazu, wie gesagt, müssen sie aber zeitliche und räumliche Gelegenheiten schaffen.

Schade nur, dass wir dafür keine Lagerfeuer mehr haben.