Karriere
Inkompetenzkompetenz
Felix FreiIch hoffe ja schwer, dass Sie über einen so grässlichen Titel stolpern. Lassen Sie mich daher kurz erklären, wie es dazu kommt, dass ich ihn trotzdem gewählt habe.
Seit einigen Jahren ist in der Fachliteratur von unterschiedlichsten Kompetenzen die Rede, über die Sie als Führungskraft verfügen sollten. Unschön daran ist erstens, dass der Begriff «Kompetenz» zwar toller klingt als Fähigkeit oder Fertigkeit oder Wissen oder Können – aber kein bisschen präziser ist. Unschön ist zweitens, dass man häufig so tut, als wäre eine Kompetenz in unserem Kopf «geladen» wie Word auf meinem Mac (Haben Sie eigentlich in Ihrer Sozialkompetenz noch Version 3.1 oder schon 4.0?). Und drittens ist unschön, dass es bislang über Tausend verschiedene Kompetenzen gibt, die Sie bitte schön vorweisen sollten. Darunter gibt es auch richtige Trouvaillen – wie eben die Inkompetenzkompetenz –, und deshalb widme ich diesem Thema einen Führungsbrief.
Wer über Inkompetenzkompetenz verfügt, weiss, was er nicht kann – und kann gut damit umgehen.
So, jetzt dürfen Sie das grässliche Wort wieder vergessen und sich ganz auf unser Thema konzentrieren. «Nobody is perfect». Keiner ist vollkommen. Jede hat Schwächen und Fehler. Die eine kann nur schwer ihre Gefühle zeigen. Der andere kann sich nicht klar ausdrücken. Der eine hat eine chaotische Planung. Die andere beherrscht die Rechtschreibung nur ungenügend. Die eine tut sich schwer mit Entscheidungen. Der andere kann keine Härte zeigen. Und so weiter. Setzen Sie hier bitte Ihre paar wichtigsten Schwächen ein.
Achtung: Hier geht es nur um Schwächen/Fehler, die wir nicht einfach durch Lernen oder Besserung oder Disziplin aus der Welt schaffen können.
Es gibt auch andere Berufe als Chefsein
Gewisse Schwächen (oder extrem stark ausgeprägte Schwächen) bedeuten «no go» für Führung: Wenn Sie den Umgang mit Menschen nicht mögen, dürfen Sie nicht Führungskraft sein. Wenn Sie kommunikativ wirklich schlecht sind, ebenfalls. Und sollten Sie gar charakterlich ein Lump sein, erst recht nicht. – Und falls Sie selbst so etwas nicht merken, sollte es Ihnen vielleicht jemand sagen. Es gibt ja schliesslich noch andere interessante Berufe als Chefsein.
Unterhalb der «no go»-Schwelle aber trennt sich die Spreu vom Weizen. Natürlich kann sich jeder einfach mit seinen Fehlern abfinden und davon ausgehen, man soll ihn so nehmen, wie er sei. «Ich bin, wie ich bin.» Allzu oft wird auch genau dies getan. Aber es ist nicht cool. Oder finden Sie es cool, wenn jemand, der kurzsichtig ist, sich damit abfindet und einfach vors nächstbeste Auto läuft, das er leider nicht kommen sah? Cool ist, sich Kontaktlinsen oder eine modische Brille zu besorgen.
Die drei Schritte
Der erste Schritt dazu, auf kompetente Weise mit seiner Inkompetenz umzugehen, besteht darin, sie zu erkennen. Wie gut kann ich organisieren? Kann ich Menschen auch mit Charme gewinnen? Kann ich, wo nötig, auch mal hart durchgreifen? Verstehe ich das Geschäft gut genug? Und so weiter.
Der zweite Schritt besteht darin, nach Wegen zu suchen, wie man seine Schwächen – wenn sie eben nicht zu beseitigen sind – kompensieren kann. Aber bitte – kompensieren, nicht kaschieren: Es gibt nichts Lächerlicheres als den Versuch, mit langen Strähnen von Schläfenhaaren, die man sich mit Gel befestigt über den Kopf klatscht, eine Glatze verstecken zu wollen.
Folgende Fragen sind beim Kompensieren von Schwächen zu bedenken:
- Was habe ich davon, wenn ich diese Schwäche erfolgreich kompensiere? Was haben andere davon?
- Was ist der Preis, wenn ich die Sache auf sich beruhen lasse und einfach mit der Schwäche lebe?
- Gibt es Methoden, Tricks oder auch Umwege, die dafür hilfreich wären?
- Gibt es jemand, der mir hier etwas abnehmen oder der mich unterstützen kann? Ein Mitarbeiter? Die Chefin? Ein Coach? Eine Kollegin?
- Kann ich mein «Spielfeld» als Führungskraft so verändern, dass die Schwäche keine Schwäche mehr ist?
- Kann ich mir in dieser Sache so behelfen, dass ich am Schluss gestärkt daraus hervorgehe (z.B. weil ich mit Brille besser aussehe als ohne)?
Der dritte Schritt besteht darin, die richtige Kommunikationsstrategie zu finden. Es gibt Dinge, die soll man nicht ansprechen, sondern so selbstverständlich tragen, dass sich keiner dafür interessiert. Es gibt andere Dinge, die man explizit bei den Betroffenen ansprechen muss, damit die leichter damit umgehen können. Es ist nicht in jedem Einzelfall leicht zu wissen, wie man kommunikativ mit Schwächen umgehen soll. Aber es lässt sich eben nur im Einzelfall beurteilen. Hilfreich ist sicher, wenn man sich vorstellt, der eigene Chef oder eine Kollegin oder ein Mitarbeiter stünden vor demselben Problem: Was würde mich dann kommunikativ zufriedenstellen und was nicht?
Das sollten Sie beachten:
In einem arg verkürzten Beispiel: Es fällt mir schwer, auch mal hart zu sein und Druck zu machen, wenn ein Mitarbeiter nicht «liefert». Das muss ich zunächst mir selbst gegenüber zugeben (1). Und ich muss einsehen, dass sich das mit meiner Führungsrolle nicht verträgt. Also sorge ich dafür, dass ich entsprechende Zwischengespräche mit diesem Mitarbeiter sehr formal führe: Er muss über das Gespräch Protokoll führen und festhalten, was vereinbart war, was er nicht geliefert hat und was er nun tun wird (2). Meinen Mitarbeitenden erkläre ich diese «Spielregel» (und meinen ganz persönlichen Grund dafür) und bitte sie, sich auch in ihrem eigenen Interesse daran zu halten respektive sich darauf einzustellen (3). – Nur am Rande: Wir reden hier primär von einer Massnahme, die gegenüber allen Beteiligten ein klares Zeichen setzt. Wenn dann also ein solches Gespräch (mit Protokoll) stattfindet, wissen sie, dass es ernst gilt.
Viele sogenannte starke Menschen erscheinen nur deshalb so stark, weil sie alle Felder meiden, in denen ihre Schwächen erkennbar würden. Das ist keine schlechte Strategie, setzt freilich voraus, dass man tatsächlich Betätigungsfelder findet, bei denen man ausschliesslich seine Stärken brauchen kann.
Andere Menschen erscheinen stark, weil sie die Grösse haben, Inkompetenzen zuzugestehen. Das klappt nur, wenn sie daneben auch über genügend Stärken verfügen und wenn sie es schaffen, nicht überheblich oder einfach bequem zu klingen, wenn sie ihre Fehler eingestehen.
Schwach erscheinen dagegen Menschen, die so sehr auf ihre eigenen Schwächen und Fehler konzentriert sind, dass sie nur noch diese sehen und ihre eigenen Stärken gar nicht mehr erkennen. Das müssen Sie vermeiden! Forcieren Sie lieber Ihre Stärken, als dass Sie sich moralinsaure Asche aufs Haupt streuen und sich von Ihren Schwächen lähmen lassen.
Wahre Künstler sind aber jene Menschen, die es schaffen, ihre eigenen Schwächen gnadenlos zu identifizieren – aber nur, um dann mit viel Witz und Fantasie Wege zu finden, um daraus Kapital zu schlagen. Sei es, weil sie sich Hilfe holen, die noch besser ist als das, was man von ihnen überhaupt erwartet hätte. Sei es, weil sie es schaffen, dass man ihre Schwäche liebevoll als Marotte sieht und verzeiht. Sei es, weil es ihnen gelingt, anderen Menschen eine Profilierungschance zu bieten, sodass diese mit Begeisterung in die Lücke springen, die die eigene Schwäche geöffnet hat. Sei es, weil sie immer mal wieder eine Schwäche zum Anlass nehmen, sich in einem sportlichen Wettstreit selbst zu beweisen, dass sie es doch besser können. Oder sei es, weil sie ihren Platz souverän jemandem überlassen, der es besser kann als sie.
Glücklich, wer diese Stufe der Inkompetenzkompetenz erreicht hat!