Karriere

«Es gibt Chefs, die den Zusammenhang sehen zwischen Menschenführung und wirtschaftlichem Erfolg. Für die lohnt sich Führungsentwicklung.» Cartoon: Silvio Erni

Führungserfolg

Felix Frei

Hier kommt, geschätzte Führungskräfte, eine Anregung zum Start in die neue Woche, zur Reflexion Ihrer Führungsprinzipien.

Ich gebe es zu: Auch nach vielen Jahren engagierter Tätigkeit in der Führungsentwicklung befällt mich ab und zu ein gewisser pädagogischer Wahn. In diesen leicht vernebelten Augenblicken beseelen mich dann die merkwürdigsten Überzeugungen:

  • Ich glaube dann, der Beruf einer Führungskraft sei Führung. Und wer seinen Beruf liebe, wolle ihn gut machen. Und wer ihn gut machen wolle, der möchte ihn stets auch noch ein wenig besser machen.
  • Ich meine dann, Führungskräfte besässen den sportlichen Ehrgeiz, kontinuierlich an der Verbesserung ihrer Führungsbeziehungen zu arbeiten.
  • Ich bilde mir dann ein, Führungsentwicklung habe zum Ziel, die Führung zu verbessern, was wiederum dem Ziel diene, den Unternehmenserfolg zu steigern. Weshalb man natürlich nicht die Führungsentwicklungsbudgets gerade dann kürzen sollte, wenn der Unternehmenserfolg nicht im erwünschten Ausmass eintritt.
  • Ich denke dann, dass man in die Verbesserung der Führung investieren müsse, wenn Projekte aus dem Ruder laufen oder Mitarbeiter zu wenig Leistung zeigen, was ja aber wohl nicht heissen kann, dass dann einfach der Tonfall verschärft wird. Wenn man mit mehr Druck allein nämlich mehr Erfolg erzielen könnte – warum tut man das dann nicht immer? Bessere Führung wäre dann lautere Führung.
  • Ich bin dann jeweils der Auffassung, dass es keine Patentrezepte der Führungsentwicklung gäbe, sondern nur die Anstrengung der Selbstreflexion – bis hart an die Schweissgrenze.
  • Ich meine dann sogar, dass sich Führungskräfte immer wieder Zeit nehmen müssten, um aktiv an ihren Führungsbeziehungen zu arbeiten.

Nur die letzten fünf Prozent?

Dabei hat mich gerade kürzlich ein Seminarteilnehmer in einer Veranstaltung, bei der ich lediglich zu einem Vortrag eingeladen war, wieder auf den Boden der Realität zurückgeholt. Er erklärte mir: Es gibt solche, die führen können, und solche, die es nicht können. Mit Führungsentwicklung kann man vielleicht an den letzten fünf Prozent ein ganz klein wenig schrauben. In der Folge wird dann diese Führungskraft ein unerwünschtes Führungsverhalten vielleicht einmal unterdrücken, oder sie wird – obwohl sie es spontan nicht täte – vielleicht ausnahmsweise doch eine bestimmte erwünschte Verhaltensweise zeigen. Aber ändern könne man niemanden.

Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand. – Da kann man nur hoffen, dass der liebe Gott von dieser Regel weiss.

Dass Verhaltensänderungen nicht einfach sind, ist unbestritten. Deshalb artet Führungsentwicklung ja auch in Arbeit aus. Aber wäre es denn nicht merkwürdig, wenn heute, wo in den Unternehmen alles andauernd verbessert werden muss, nur gerade die Führung für unabänderlich gehalten würde?

Für mich gibt es auch zwei Sorten von Führungskräften: Solche, die überzeugt sind, dass zwischen ihrer Menschenführung und dem wirtschaftlichen Erfolg ihres Unternehmens ein Zusammenhang besteht, und solche, die das im Innersten nicht wirklich glauben. Bei den Letzteren versteht man, wenn sie die Führung von mühsamen Verbesserungsmassnahmen ausnehmen wollen.

Unternehmenserfolg und Menschenführung

Nur um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich rede hier von Menschenführung, nicht von Management. Und ich rede von wirtschaftlichem Erfolg, nicht von Arbeitsklima oder Mitarbeiterzufriedenheit. Denn natürlich weiss jede/r heutzutage, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen guter Führung und der Zufriedenheit der Mitarbeitenden. Vor der nächsten Mitarbeiterzufriedenheitsbefragung ist man also gerne bereit, etwas netter zu seinen Leuten zu sein. Aber diesen Teil der Geschichte halte ich für uninteressant – oder für zynisch. Und dass Management etwas mit Unternehmenserfolg zu tun hat, wissen wohl auch die meisten.

Was mich in unserer Beratungstätigkeit wirklich interessiert, ist der innere Zusammenhang zwischen Unternehmenserfolg und Menschenführung.

Führungserfolg heisst für mich, nachhaltig mehr Unternehmenserfolg zu haben, weil man Menschen besser führt (selbstverständlich gutes Management vorausgesetzt).

Besser führen heisst also nicht, bei den Mitarbeitenden beliebt zu sein oder sie besonders nett zu behandeln. Sondern besser führen heisst, als Führungskraft seinen bestmöglichen Beitrag zum Unternehmenserfolg zu leisten. Was «besser Führen» konkret und im Einzelnen heisst, soll hier jedoch nicht erörtert werden. Die eine beste Führung gibt es sowieso nicht. Und was ich persönlich in einzelnen Facetten von Führungsbeziehungen für besser (oder aber schlechter) halte, kommt in meinen Führungsbriefen ja immer wieder zum Ausdruck.

Stellen Sie sich in Frage!

Nun kann es ja aber sein, dass ich mit meinen oben genannten merkwürdigen Überzeugungen tatsächlich ein wenig allein dastehe und der von mir zitierte Seminarteilnehmer für die Mehrheit der Führungskräfte redet. Das könnte dann die Erklärung dafür sein, was bei so vielen Führungskräften so unglaublich beliebt ist:

  • Seminare, wo man nicht primär an sich arbeiten muss, sondern von Konzepten und Rezepten hört, die in wohlklingende moderne Fachbegriffe packen, was man schon immer gewusst hatte.
  • Persönlichkeitsmodelle und -tests, die sauber etikettieren, warum der Müller ist wie er ist und warum er immer so bleiben wird.
  • Outdoor-Veranstaltungen, die einem gestatten, alles nachzuholen, was man mit 14 leider nicht konnte, weil man es verpasste, den Pfadfindern beizutreten.
  • Brillante Vorträge mit unbestrittenen Top-Shots, die ihre Führungserfahrungen in knackige Weisheiten kleiden («Do the right thing!» – Golfkrieg-I-General Norman Schwarzkopf).

Nichts gegen einen guten Unterhaltungswert von Führungsentwicklung. Das hat Fussball manchmal auch. Aber wenn man dabei selber besser werden will, wird man trotzdem ins Schwitzen kommen.

Ich glaube, Ihnen ist das klar. Sonst hätten Sie sich nicht schon 33 Mal durch meine Führungsbriefe gearbeitet. Lassen Sie sich einfach nicht von denen rundherum verunsichern, die alles schon immer gewusst haben. Aber lassen Sie sich auch nicht müde machen, wenn bei mir wieder einmal der pädagogische Wahn durchblitzt. Nehmen Sie das als Kompliment: Wer sich auch mal in Frage stellen lässt, dem tun sich Fenster mit neuen Aussichten auf.

Denn auch für Ihren Führungserfolg gilt: Hieb- und stichfeste Antworten sind zwar beruhigend. Gute Fragen aber sind bereichernd.