Karriere

«Was sind die fünf wichtigsten Kennzahlen für Ihre Arbeit? Sind Sie in der Lage, diese zu beziffern, wenn man Sie nachts weckt und fragt?» Cartoon: Silvio Erni.

Zahlen

Felix Frei

Hier kommt, geschätzte Führungskräfte, eine Anregung zum Start in die neue Woche, zur Reflexion Ihrer Führungsprinzipien.

Für jeden Kleingewerbler gilt (auch wenn dies nicht allen bewusst ist!): Wenn er keine Liquidität mehr hat, ist es aus. Ende. Egal, wie schön sein Laden und wie nett er mit seinen Kunden ist, wie gut seine Produkte sind und wie prächtig seine Aussichten. Für Führungskräfte wie Sie entspricht dieser existenziellen Rolle der Liquidität die Kenntnis der eigenen wirtschaftlichen Kennziffern.

Drei Dinge sind unabdingbar:

  1. Sie müssen wissen, was für Ihren Zuständigkeitsbereich die wirklich wichtigen Kennziffern sind (und zwar nur für Ihren Bereich – alles Weitere ist fakultativ).
  2. Sie müssen wirklich verstanden haben, was diese Kennziffern bedeuten. Es reicht nicht zu wissen, ob «mehr» oder «weniger» gut respektive besser ist oder wo ungefähr der rote Bereich beginnt.
  3. Sie müssen eine Ahnung davon haben, wie diese Kennziffern oder Stellgrössen zusammenhängen: Was beeinflusst was? Wie kann man worauf aktiv Einfluss nehmen? Welche Gefahr droht, wenn eine Kennziffer vom grünen in den gelben oder sogar den roten Bereich rutscht? Woran kann man das frühzeitig – möglichst noch bevor es passiert – erkennen?

Erlangen Sie die Zahlenkenntnis

Was immer Sie in der Führung gut machen, es hilft Ihnen nichts, wenn die wirtschaftliche Leistung nicht stimmt. Auch wenn Sie all die klugen (pardon!) Ratschläge der letzten 28 Führungsbriefe bestens berücksichtigen – es nützt nichts, wenn Sie die oben genannten drei Voraussetzungen nicht erfüllen. Natürlich: Die Sache kann dennoch gut gehen. Lange sogar. Aber wenn dann etwas passiert (und Ihnen also die bildlich gemeinte «Liquidität» ausgeht), dann sind Sie am Ende.

Ich kenne Ihren Zuständigkeitsbereich zu wenig gut, um Ihnen hier den Beweis für diese drastische Warnung zu liefern. Aber Sie tun gut daran, es nicht darauf ankommen zu lassen zu erfahren, ob ich wirklich recht habe. Andererseits kann es Ihnen sicher nichts schaden, wenn Sie mir glauben – auch wenn es etwas Mühe kostet, die gewünschte Zahlenkenntnis zu erlangen.

EBIT, DB I-III, Marge?

Bei vielen, durchaus gut ausgebildeten und erfahrenen Führungskräften erlebe ich immer wieder, dass sie sich um den oben genannten Punkt 1 nicht kümmern. Sie liefern zwar, was immer ihr Chef an Zahlen von ihnen verlangt. Aber sie haben nicht eigene Zahlen, die ihren eigenen Bereich massgeblich betreffen, die für sie wichtig sind und die sie ständig aktualisiert bei sich führen. Vielleicht decken sich diese Kennziffern mit denen, die der Chef verlangt. Vielleicht aber eben auch nicht. Machen Sie die Probe: Fragen Sie herum, für welche Führungskraft in Ihrer Umgebung welche Kennziffern wichtig sind, warum, und ob diese Führungskraft genau wüsste, wo die Zahl derzeit steht. Fragen Sie sich selber! Es gibt Ausnahmen, die auf so eine Frage ein (1!) Blatt aus der Tasche ziehen und ein wunderschönes mehrfarbiges Cockpit für ihre Steuerungsverantwortung vorzeigen können. Chapeau, wenn Sie auch dazu zählen.

Was Punkt 2 betrifft, bin ich noch pessimistischer. In schöner Regelmässigkeit sitze ich mit Manager-Crews zusammen, bei denen – bevor wir zu dem Thema kommen, weswegen ich dort bin – noch vom Chef die Vormonatszahlen vorgestellt und kommentiert werden. Nicht selten verstehe ich dann nur Bahnhof. Ich darf das, es ist nicht mein Geschäft. Aber später, in einer Pause, stelle ich ein paar Verständnisfragen bei einzelnen Führungskräften (aber weder beim CEO noch beim Finanzchef!). Als Psychologe darf man sich da ja ganz schön dumm anstellen. Und dann realisiere ich in einem erschreckenden Ausmass, dass zwar viele Begriffe wie EBIT, DB I-III, Marge usw. verwenden, aber nicht so genau verstehen, dass sie sie auch erklären könnten. Reicht das wirklich?

Bei Punkt 3 kann es entsprechend auch nicht gerade rosig aussehen. Psychologisch erschwerend kommt dazu, dass man nicht nach sagen wir fünf Jahren in der Funktion als Abteilungsleiter plötzlich die Frage stellen kann, ob sich ein bestimmter Aufwand eigentlich im DB II oder erst im DB III niederschlägt. Zumindest traut sich kaum einer. Aber so werden die Dinge niemals besser.

Die richtigen Zahlen benennen

Die Folge von alledem ist, dass Führungskräfte der unteren Stufen nicht als Frühwarnmessgeräte wirken können, sondern eher dazu neigen, die Dinge zu beschönigen, zu bemänteln und zu belassen. Das Top-Management erfährt so nichts von feinen Mauerrissen, sondern sieht erst den richtigen Dammbruch – mit dem nötigen Entsetzen, versteht sich. Ein gutes Controlling kann hier zwar vielleicht das Schlimmste verhindern. Aber es ersetzt nicht den Vorteil, den man hätte, wenn auch auf den untersten Führungsstufen jede/r wüsste, worauf es bei ihr/ihm ankommt und warum – und wie es im Moment steht.

Grosse, schmerzhafte Restrukturierungen könnten verhindert werden, wenn alle Führungskräfte ihr Zahlenhandwerk beherrschen würden. Vorausgesetzt natürlich, dass sie (und das oberste Management) auch bereit und fähig sind, rasch wirksame Korrekturmassnahmen zu ergreifen, wenn sich die Notwendigkeit dafür abzeichnet.

Einschränkend ist zu sagen, dass es keineswegs trivial ist, auf jeder Ebene die richtigen Kennzahlen zu benennen. Und es sind auch längst nicht immer «die üblichen Verdächtigen». Wenn man es aber nicht schafft, muss man sich auch nicht wundern, wenn man sich irgendwann im Nebel verliert.

Deshalb rufe ich Sie auf: Ergründen Sie gemeinsam mit Ihrem Chef und eventuell Ihrem Controller, was für Ihren Bereich die sagen wir fünf wichtigsten Kennzahlen sind. Sorgen Sie für aktualisierte Werte in nützlichen Abständen. Besprechen Sie die Sache so lange, bis Sie fähig sind, Ihren Leuten genauestens zu erklären, was warum wichtig ist und wie beeinflusst werden kann.

Es ist letztlich in Ihrem Interesse. Denn nur so können Sie rechtzeitig handeln und verhindern, dass die Dinge aus dem Ruder laufen. Ich verspreche es Ihnen: Zahlen zahlen sich aus.