Karriere

«Es ist nicht gerade das primäre Ziel Ihrer Führungsaufgabe, Ihre Mitarbeiter zu ärgern. Aber vielleicht ein unvermeidlicher Teil davon.» Bild: Silvio Erni

Ärger

Felix Frei

Hier kommt, geschätzte Führungskräfte, eine Anregung zum Start in die neue Woche, zur Reflexion Ihrer Führungsprinzipien.

Selbst wenn ich Sie nicht persönlich kenne – ich bin sicher, Sie bemühen sich darum, eine gute Führungskraft zu sein. Sonst verfolgte mich ja kaum der Ehrgeiz, Sie mit meinen Führungsbriefen dabei ein ganz klein wenig zu unterstützen. Dennoch: Es ist auch ziemlich sicher, dass sich Ihre Mitarbeitenden von Zeit zu Zeit so richtig über Sie ärgern und beispielsweise beim Abendessen zu Hause lautstark über Sie schimpfen.

Jawohl, über Sie. Tut mir leid.

Für einen Teil der Ursachen dieses Ärgers Ihrer Mitarbeitenden gilt: Sie sollten ernsthaft daran arbeiten und sich stetig weiterverbessern als Chef. Von dem Teil reden wir heute (für einmal) nicht. Für einen anderen Teil gilt aber: Das muss so sein, dass sich Mitarbeitende über Sie ärgern – auch dafür sind Sie bezahlt. Finden Sie sich damit ab! Von diesem Teil sei heute die Rede.

Chefs sind eine ideale Projektionsfläche für den eigenen Ärger.

Wir Menschen wollen wissen, wer schuld daran ist, dass wir selber Ärger haben. Wenn klar ist, wer wirklich schuld ist, können wir unser Feindbild bestens adressieren. Dann kann unser Ärger gezielt den Schuldigen treffen. Wenn es aber nicht so klar ist, wer der Bösewicht ist, und wenn vor allem das unangenehme Risiko besteht, dass wir in Tat und Wahrheit gar noch eine eigene Mitschuld am Grund des Ärgers haben (was wir freilich, wenn möglich, lieber nicht einsehen möchten), dann ist der Chef die Projektionsfläche unserer Wahl. Er ist schuld!

Objektiv ungerecht

Psychologische Untersuchungen haben gezeigt, dass wir alle dazu neigen, die Ursache für Erfolg uns selber, die Ursache für Misserfolg aber anderen Menschen oder widrigen Umständen zuzuschreiben. Ist eine Sache gelungen, so war das meine Leistung. Ist sie aber misslungen, dann haben mich andere nicht unterstützt oder Fehler gemacht oder die ganze Sache war letztlich unmöglich zu bewältigen oder... oder... Deshalb ist die hier besprochene Sache mit dem Sich-über-den-Chef-ärgern nicht verwunderlich, auch wenn sie manchmal objektiv ungerecht ist. Wir Menschen sind nun mal so.

  • Vielleicht sind Sie ja gegen solche Dinge sehr unempfindlich und nehmen es ganz gelassen, wenn sich Ihre Leute über Sie ärgern – obwohl Sie natürlich keinerlei Schuld trifft. Dann ist ja gut. Es sei denn, Ihre Unempfindlichkeit muss eher als Gleichgültigkeit gegenüber Ihren Mitarbeitenden gelesen werden. Das aber wäre dann doch schon ein «Tolggen im Reinheft» für Sie als Chefin oder Chef.
  • Vielleicht aber sind Sie gegen solche Dinge gar besonders empfindlich. Das könnte ich zwar gut verstehen, aber es könnte auch wieder ein schlechtes Licht auf Sie werfen. Vor allem dann, wenn Sie Ihre Führungsaufgabe mit einem Beliebtheitswettbewerb verwechseln. Das ist sie nämlich nicht! Chefs können nicht immer nur geliebt sein – sonst führen sie nicht.

Was können Sie also tun, wenn es Sie zu Recht wurmt, dass sich Ihre Mitarbeitenden – aus Ihrer Sicht vermutlich zu Unrecht – über Sie ärgern und über Sie schimpfen?

Nicht nur netter Kumpel

Zunächst können Sie sich darüber freuen, dass man Sie als Chef ernst nimmt. Offenbar hält man Sie nicht nur für einen netten Kumpel, dem irgendwer bloss der guten Ordnung halber ein symbolisches «Leiter von ...» ans Revers geheftet hat.

Dann können Sie sich auch noch darüber freuen, dass Sie von diesem Ärger überhaupt etwas mitbekommen. Das zeugt von einem gewissen Vertrauen Ihrer Mitarbeitenden. Wäre dies nicht da, würden Ihnen Ihre Leute vordergründig Zustimmung heucheln und nur hinter vorgehaltener Hand über Sie fluchen.

Sie können sich auch darüber freuen, dass Sie eines der stimmigsten Feedbacks überhaupt erhalten haben. Wenn immer Sie erkannt haben, dass sich jemand aus Ihrem Team über Sie ärgert, dann können Sie davon ausgehen, dass dies ein ernstzunehmendes Feedback an Sie ist. Leider kann man dies bei Feedbacks, die nach allen Regeln der Kunst in «konstruktive» Worte gekleidet sind, längst nicht immer tun.

Weiter können Sie sich darüber freuen, dass Ihnen die Ärgerreaktion Ihrer Mitarbeiterin oder Ihres Mitarbeiters Gelegenheit zu einer so genannten Meta-Kommunikation gibt. Nehmen Sie das Vorkommnis als Anlass, mit ihr oder ihm über Ihre Führungsbeziehung zu reden. In aller Ruhe – nachdem der erste Ärgerdampf schon abgelassen ist.

Freuen Sie sich

Und schliesslich können Sie sich darüber freuen, dass – falls Sie objektiv doch etwas falsch gemacht haben – Sie nun wieder einen Punkt sehen, an dem Sie sich als Chef weiter verbessern können.

Kurzum: Auch wenn sich Ihre Leute über Sie ärgern – Sie haben deswegen gar keinen Grund, sich auch zu ärgern. Es sei denn natürlich, über Ihren Chef. Denn das ist bestimmt so einer, der sich sogar noch darüber freut, wenn Sie sich über ihn ärgern...

Wenn sich hingegen Ihrer Meinung nach Ihre Mitarbeitenden nie über Sie ärgern, dann sind sie von einem anderen Stern. Oder aber Sie. Oder Sie wissen letztlich nichts von Ihren Leuten. Das wiederum wäre ein gravierendes Problem.

Und noch etwas: Wenn Sie das nächste Mal zu Hause beim Abendessen über Ihre/n Vorgesetzte/n schimpfen, dann lauschen Sie geistig ein wenig, um das leise Murmeln Ihrer Mitarbeitenden zu vernehmen, die im selben Moment gerade dabei sind, über Sie zu schimpfen. Und wundern Sie sich nicht, wenn deren Kritik auch nicht weniger gerecht und differenziert ist als das, was Sie Ihrer Frau/Ihrem Mann nun gerade über Ihre Chefin/Ihren Chef erzählt haben.