Karriere

«Druck machen ist ein legitimes Mittel von Führung. Wer aber nur Druck machen kann, ist zu einfach gestrickt. Etwas mehr braucht es schon.» Cartoon: Silvio Erni

Druck dynamisieren

Felix Frei

Hier kommt, geschätzte Führungskräfte, eine Anregung zum Start in die neue Woche, zur Reflexion Ihrer Führungsprinzipien.

Sie wollen Erfolg. Sie haben sich hohe Ziele gesetzt. Sie tun viel, um die Effizienz und die Effektivität Ihrer Arbeit zu maximieren. All dies wollen Ihre (obersten) Chefs auch. Die wollen Spitzenleistung im ganzen Unternehmen. Dazu entwickeln sie Strategien, schmieden Pläne, stellen Mittel bereit, begeistern ihre Mitarbeitenden – und sie machen Druck.

Druck machen ist ein grundsätzlich legitimes Mittel von Führung. Lassen wir mal den Fall beiseite, wo jemand unmenschlich viel Druck ausübt. Stellen wir uns also nicht die Frage, wie viel Druck legitim sei, sondern wie viel Druck optimal sei – so dass letztlich ein maximales Ergebnis resultiert.

Leider verstehe ich nichts von Formel-I-Rennen. Aber ich bin ziemlich sicher, dass uns Hamilton, Vettel & Co. sagen würden, dass permanentes Vollgasgeben nicht das Geheimrezept ihrer vielen Erfolge und Siege war. Ich glaube deshalb, auch Führungskräfte müssen lernen, den Druck zu dynamisieren. Manchmal Vollgas geben, im richtigen Moment aber auch Gas rausnehmen können. Denn:

  • Wer weiss, dass der Chef nicht bloss einfach immer mehr fordert, ist eher bereit, sein Maximum zu geben – dann nämlich, wenn es wirklich zum Gesamterfolg beiträgt.
  • Wer auch mal Pause machen oder etwas nachlassen kann, geht nachher mit mehr Schwung und Energie an die Arbeit. (Selbst von einfachsten Arbeiten wissen wir, dass die Gesamtleistung grösser wird, wenn die Leute 55 Minuten arbeiten und 5 Minuten Pause machen. Es kommt über die Schicht gesehen mehr raus, als wenn sie 60 Minuten pro Stunde arbeiten würden.)
  • Wer die Erfahrung macht, dass er für seine Offenheit nicht büssen muss, ist eher zu Transparenz bereit. Damit können Probleme besser vorausgesehen, Fehler vermieden und Optimierungen ermöglicht werden.
  • Wer spürt, dass der Chef Druck zu dynamisieren versteht, erlebt ihn als sportlich-ehrgeizig, aber gleichzeitig als menschlich-weise. Und nicht als jemanden, der bloss gierig und misstrauisch ist – und den man zum eigenen Schutz am besten mit allen Mitteln austrickst.

Der Irrglauben

Für viele (obere und oberste) Führungskräfte ist es aber offenbar unglaublich schwer, dies wirklich zu glauben (und konsequent danach zu handeln). Sie denken vielmehr, sie müssten stets das Maximum an Gas geben, das möglich ist, ohne dass der Motor zu kochen beginnt. Mit anderen Worten, sie wissen zwar, dass sie beim Druckmachen auch übertreiben könnten und dann Gefahr liefen, dass Leute krank werden oder gehen oder zu viele Fehler machen. Unterhalb dieser «roten Linie» aber glauben sie fest daran, dass mehr besser ist: Sie glauben, mehr Druck erzeuge mehr Leistung. Sie stehen an ihrem Kommandopult und schieben sämtliche Hebel auf «full power» und sagen heroisch wie weiland Luther vor dem Reichstag: «Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir!»

Die Begründung lautet meist so: Wenn der (oberste) Chef mit dem Druck nachlässt, dann lassen die Leute sofort mit der Leistung nach. Das darf nicht sein. Also muss der Druck ständig aufrecht erhalten werden. Diese Überzeugung basiert auf dem irrigen Glauben, wonach, wenn etwas gut ist, mehr vom Selben besser ist. Ich glaube nicht, dass dies in der Führung gilt.

Im Gegenteil: Ich bin überzeugt, dass gleichbleibender hoher Druck zu insgesamt suboptimaler Leistung führt. Ein paar Beispiele können illustrieren, warum:

Wenn die Leute wissen, dass ihr Chef immer das Maximum fordert, werden sie damit beginnen, «taktische Unterzieher» zu machen. Sie bezeichnen etwas als das maximal Mögliche, das kleiner ist, als was sie wirklich leisten könnten. Sie wissen, dass der Chef ja dann ohnehin noch etwas drauflegt. In der Regel sind sie dem Chef damit immer eine Runde voraus. Die Gesamtleistung ist somit suboptimal.

Suboptimale Gesamtleistung

Es braucht Energie, sich stetig gegen zu grossen Druck zu wehren. Diese Energie fehlt für die eigentliche Arbeit. Die Gesamtleistung ist somit suboptimal.

Um sich gegen zu grossen Druck zu schützen, muss man manches verschleiern. Die Vorgesetzten haben somit keine vollständige Transparenz darüber, wie es um die Dinge steht. Damit können ihre Entscheide nicht auf die beste Basis gestellt werden. Die Gesamtleistung ist somit suboptimal.

Wer weiss, dass seine Nächstjahresziele unbedingt höher sein müssen als das Diesjahresresultat, hat keinerlei Interesse daran, dieses Jahr ein maximales Ergebnis zu erzielen. Die Gesamtleistung ist somit suboptimal.

Je häufiger die Chefs die Erfahrung machen, dass in Tat und Wahrheit noch mehr «Luft drin» war, als sie angenommen haben, desto mehr setzen sie auf «noch mehr Druck machen». Damit kommen all die vorgenannten Effekte verstärkt zum Tragen. Überdies braucht es bei den Chefs Zeit und Energie, die für strategisches Denken oder für Begeisterungsarbeit fehlt. Die Gesamtleistung ist somit suboptimal.

Dieses Spiel wird gespielt

All diese Nachteile kann man verhindern, wenn man in der Lage ist, den Druck zu dynamisieren. Freilich braucht man dazu eine gewisse Gelassenheit – die Souveränität zu wissen, dass man jederzeit bei Bedarf auch wieder Vollgas geben könnte. Vielleicht muss man dazu nicht standhaft wie Luther sein, sondern cool wie Papst Johannes XXIII, der vor dem Vatikanischen Konzil geknurrt haben soll: «Hier sitze ich, ich kann noch ganz anders, Gott helfe Euch!»

Aber Vorsicht: Sie müssen wissen, dass es heikel sein kann, wenn Sie von heute auf morgen vom System «Vollgas» auf das System «Druck dynamisieren» umstellen – ohne etwas zu sagen. Denn dann spielen die Leute weiter nach den alten Regeln – sie werden tatsächlich sofort in ihrer Leistung nachlassen, sobald der Druck nachlässt. Und dann werden Sie schnell zum alten Glauben zurückkehren und wieder ununterbrochen Vollgas geben. Es funktioniert also nur dann mit «Druck dynamisieren», wenn alle wissen, welches Spiel gespielt wird.

Der Versuch eines solchen Systemwechsels lohnt sich. Denn wir sollten uns im Wirtschaftsleben immer daran messen, ob wir das Rennen gewonnen haben. Nicht daran, wie kräftig wir aufs Pedal gedrückt haben.