Karriere

«Führung ist Beziehungsgestaltung. Gift für jede Beziehung ist Abwertung. Dünger für jede Beziehung ist Wertschätzung. Klare Währungen.» Cartoon: Silvio Erni

Abwertung und Wertschätzung

Felix Frei

Hier kommt, geschätzte Führungskräfte, eine Anregung zum Start in die neue Woche, zur Reflexion Ihrer Führungsprinzipien.

Für jede Beziehungspflege ist Wertschätzung der Dünger. Und Abwertung ist das Gift schlechthin. Das gilt nicht nur für Paar- oder Freundesbeziehungen, das gilt auch für Führungsbeziehungen.

Gehen wir die zwei Dinge getrennt an.

Abwertung bewegt sich auf schmalem Grat

Abwertung ist leicht getan, mitunter sogar durch Nichtstun. So wie es Schönheit nur im Auge des Betrachters gibt, liegt die wirkliche Abwertung – das ist die, die Wirkung zeigt – immer im Kopf der abgewerteten Person. Daraus darf nicht der Schluss gezogen werden, die Person, die sich durch ein Wort von mir (oder durch ein fehlendes Wort) abgewertet fühlt, sei daran selber schuld. Daraus muss vielmehr der Schluss gezogen werden, dass ich es nicht an meiner (auch noch so guten) Absicht bemessen kann, ob ein Tun oder Lassen von mir für andere abwertend ist, sondern allein an meiner faktischen Wirkung. Das verlangt Gespür und Einfühlungsvermögen.

Was tatsächlich abwertend wirkt, hängt von persönlichen Werten ab. Sie können mir gegenüber nicht abwertend sein, indem Sie sich über meine Glatze lustig machen – denn meine (fehlende) Haarpracht ist mir ziemlich wurscht. Bei einem anderen könnte das anders sein.

Im Führungsalltag bewegt sich Abwertung stets auf einem schmalen Grat. Denn Führung muss durchaus immer wieder auch kritisieren – vielleicht sogar ziemlich hart. Und je nachdem, wie das geschieht, wird es (obwohl sachlich vielleicht gut begründet) als Abwertung erlebt. Abwertung kann sich auf vieles beziehen: auf die Person, auf eine Gruppe, auf anderer Leute Themen/Interessen, auf jemandes Funktion oder Aufgabe, auf seine Leistung. Verletzt wird dabei immer die Werthaltung des anderen – und das wiederum lässt diesen die (Führungs-) Beziehung zum Abwertenden generell schlecht(er) erleben.

Obwohl wir alle wohl immer wieder andere Menschen abwerten (ob absichtlich oder nicht, sei dahingestellt), bin ich überzeugt, dass es keinen einzigen guten Grund dafür gibt. Die wahrscheinlichsten Erklärungen, warum wir es jedoch trotzdem immer wieder tun, sind wohl Folgende:

  • Indem wir den anderen kleiner machen, machen wir uns (vermeintlich) grösser. Andere abzuwerten ist dann freilich ein Zeichen eigener Schwäche.
  • Oder wir wollen jemandem, der sich ständig aufspielt, mal eins auf den Deckel geben. Das mag uns dann gut tun, nützt aber meist nicht viel.
  • Wir meinen nicht selten, etwas Bestimmtes müsse doch nun endlich mal gesagt werden. Muss es aber gar nicht! Sei es, weil es nicht notwendig oder weil es nicht nützlich ist, es zu sagen. Selbst wenn es wahr ist.
  • Und dann ist es halt so, dass wir uns schwer tun, auf eine gute Art zu kritisieren. Kritik kann wehtun – aber das muss noch keine Abwertung sein. Missglückte Kritik jedoch kann Abwertung mit sich bringen. Konstruktive dagegen ist nicht leicht: Aus der Optik des Kritisierenden heisst «konstruktiv» berechtigt. Aus der Optik des Kritisierten bedeutet es aber annehmbar (ohne Gesichtsverlust, zum Beispiel). Das ist nicht dasselbe und kann Beziehungen nachhaltig belasten. Konstruktiv kritisieren – ohne abwertend zu wirken – ist sicherlich eine hohe Kunst.

Ich glaube aber, dass die meisten Abwertungen gar nicht beim expliziten Kritisieren entstehen, sondern eher durch kleine Dinge – nicht selten zu klein, als dass man sich gut dagegen wehren könnte. Aber spürbar genug, dass sie die Beziehung nach und nach erodieren lassen. Kleine Unfreundlichkeiten und Respektlosigkeiten, Desinteresse und Nicht-Beachten, vor allem aber Mangel an Anerkennung und Wertschätzung.

Wertschätzung braucht bewusstes Handeln

Wertschätzung ist wie gesagt der Dünger jeder Beziehung. Auch jeder Führungsbeziehung. Wertschätzung ist aber keineswegs immer leicht getan. Anders als Abwertung braucht Wertschätzung bewusstes Handeln. Zudem kann man Wertschätzung nicht einfach als Trick oder Kunstgriff einsetzen. Nur redlich gemeint, entfaltet sie ihre förderliche Wirkung. Nicht vergessen: Es gilt dies für beide Seiten – Führende wie Geführte – in gleicher Weise.

Damit stehen wir jedoch vor einem Problem: Was, wenn wir keinen oder wenig Grund dafür sehen, redlich Wertschätzung auszudrücken? Wenn dies einen Mitarbeitenden betrifft und aus der Optik seines Vorgesetzten so ist, dann muss der Vorgesetzte handeln: Es darf nicht sein, dass er es bei dieser Situation belässt. Entweder er muss aufgaben- oder personseitig etwas ändern. Wenn es in umgekehrter Richtung gilt, dann sollte sich der Mitarbeitende fragen, ob er länger unter dieser Führung arbeiten will.

Aus der Optik dessen, der Wertschätzung erwartet, ist es natürlich selten so, dass es dafür keinen Grund gibt. Er hofft (in seinen Augen mit gutem Grund) auf zumindest gute Gefühle (Anerkennung, Aufmunterung, Verständnis usw.). Denn jede/r will ja ein wenig geliebt werden. Nun kann es freilich leicht sein, dass die damit verbundenen Erwartungen die andere Seite völlig überfordern. Seinen Chef (oder aber seine Mitarbeitenden) dafür verantwortlich zu machen, dass das eigene Ego täglich genügend gestärkt und vor aller Unbill geschützt wird, dürfte nicht besonders realistisch sein. Dass man sich dieser Erwartungshaltung aber auch noch nicht einmal bewusst ist, sie vielleicht gar leugnet, macht die Sache sicherlich nicht einfacher.

Auf die eigene Schulter klopfen

Noch eine kleine Randbemerkung: Auch wenn wir das Thema hier immer auf andere bezogen haben – man kann natürlich auch sich selber gegenüber abwertende oder aber wertschätzende Einstellungen haben. Wertschätzung ist auch hier fruchtbarer – nur sollte sie nicht mit kritikloser Selbstüberhöhung verwechselt werden. Aber besser, Sie klopfen sich selber auf die Schultern, als dass es gar niemand tut.

Übrigens:

  • Wie geht es Ihnen? Werden Sie genügend wertgeschätzt? Von wem am meisten?
  • Wofür erfahren Sie vor allem Wertschätzung? Wo fehlt sie Ihnen?
  • Wann und wie zeigen Sie Ihre Wertschätzung anderen gegenüber?
  • Wird das von den anderen auch als Wertschätzung erlebt?
  • Welche Note bezüglich Ihres Umgangs mit ihnen würden Ihnen Ihre Mitarbeitenden wohl geben auf einer Skala von -10 für totale Abwertung bis +10 für totale Wertschätzung?

Bitte reflektieren Sie einmal ganz sorgfältig, was Abwertung respektive Wertschätzung bei Ihnen selbst ausmacht und auslöst. Und richten Sie dann Ihren Umgang mit Ihren Mitarbeitern (und Ihrem Chef!) sinngemäss darauf aus. Die Chance ist gross, dass es denen nicht viel anders geht als Ihnen.

Schliesslich: Manch faktisch abwertende Bemerkung erfolgt einfach im Affekt. Unsere Emotionen brennen mit uns durch – und nicht selten tut es uns hinterher leid. Wenn wir dann aber auch die Feinfühligkeit haben zu erkennen, dass wir verletzend waren, und über die Grösse verfügen, dies auch zuzugeben, dann kann das mitunter sogar eine Brücke bauen, über die wir auch zu ehrlicher Wertschätzung gelangen: So etwas gibt dann allen Beteiligten das süsse Gefühl der Versöhnung.