Karriere

«Führen Sie Ihre Mitarbeiter. Engagieren Sie sich in Projekten. Stärken und unterstützen Sie Ihre Chefin. – Den Rest der Woche haben Sie frei.» Cartoon: Silvio Erni

Drei Hüte

Felix Frei

Hier kommt, geschätzte Führungskräfte, eine Anregung zum Start in die neue Woche, zur Reflexion Ihrer Führungsprinzipien.

Sie müssen täglich das Kunststück bewältigen, drei Hüte gleichzeitig zu tragen. Welches sind diese drei Hüte? Was bedeutet es, sie gleichzeitig zu tragen? Wie präsentiert sich eine solche Kleidermode gegen aussen? Der Reihe nach.

Hut Nummer 1 steht für die Führung Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das ist der klassische Teil jeder Führungsaufgabe: das hierarchische top-down. Der grösste Teil der Führungsliteratur behandelt Themen, die unter diesen Hut gehören. Hier geht es darum, wie Sie die Ziele, die Sie von Ihrem Chef bekommen haben, gemeinsam mit Ihren Mitarbeitenden zu erreichen versuchen.

Hut Nummer 2 umfasst all die Aufgaben, die nichts Unmittelbares zu Ihrer eigentlichen Aufgabe (Hut Nummer 1) beitragen, die aber für Ihre Chefin oder deren Chef wichtig sind. Ein Teil davon umfasst Reporting und Controlling: Ihre Chefin muss jederzeit ein Gefühl dafür haben, wie die Dinge bei Ihnen laufen. Sie muss rechtzeitig erfahren, wenn die Dinge aus dem Ruder zu laufen beginnen. Sie muss im genau richtigen Mass (das aber leider schwer bestimmbar ist) mit Informationen dotiert werden, um ihrerseits gegen oben Rechenschaft ablegen und kritische Fragen beantworten zu können. Ein anderer Teil davon betrifft Ihr Engagement in organisatorischen oder anderen Projekten aller Art. Das ist meist eine nur temporäre Verpflichtung. Überdies braucht Ihre Chefin Sie ganz persönlich, denn sie bedarf auch ab und zu der moralischen Unterstützung, um mit der Gefahr der Einsamkeit – die mit jeder Führungsrolle verbunden ist – besser umgehen zu können. Dieser letzte Teil der Aufgaben unter Hut Nummer 2 erfolgt in aller Regel ohne expliziten Auftrag: Sie sollten vielfach selber merken, wessen es hier bedarf.

Hut Nummer 3 erwächst aus der Erfordernis, dass Sie und Ihre Kolleginnen sozusagen die erweiterten Gehirnwindungen Ihres Chefs darstellen und sich mit ihm seinen Kopf zerbrechen müssen. Sie müssen jederzeit für das Ganze (mit) denken, was mit Ihrem ersten Hut leider durchaus in Konflikt geraten kann. Für eine Geschäftsleitung gilt dies ganz ausgesprochen, aber vom Grundsatz her gilt es für jedes Führungsteam.

Ampel-Modell

Das sind also die drei Hüte, die Sie als Führungskraft tragen müssen. Was aber heisst nun, sie gleichzeitig zu tragen?

Sicherlich ist es dann kein besonderes Problem, wenn aufgrund dieser drei Hüte keine widersprüchlichen Erwartungen an Sie entstehen. Häufig dürfte dies glücklicherweise so sein – aber leider nicht immer. Denn aufgrund von Hut Nummer 3 kann es beispielsweise Dinge geben, die sich gegen die Interessen Ihres Teams oder Bereichs richten, so dass Hut 3 Hut 1 in die Quere kommt. Oder zwischen Hut 1 und 2 respektive 3 gibt es nur schon einen Verteilungskonflikt um Ihre Gunst respektive Zeit. In all diesen Fällen müssen Sie sich entscheiden, wie Sie mit solchen Zielwidersprüchen respektive Verteilungskonflikten konkret umgehen.

Für diesen Entscheid gibt es kein Patentrezept. Nicht selten wird Ihr Entscheid auch Ärger nach sich ziehen. Zwar gilt meistens «Ober sticht Under» – aber das macht die Verlierer nicht unbedingt glücklicher. Es entlastet Sie nicht einmal davon, selber zu entscheiden.

Wenn Sie sich entschieden haben, dann sollten Sie sich des Ampel-Modells bedienen: So wie man bei einer Strassenkreuzung immer alle drei Lichter sieht, wobei aber nur eins oder manchmal zwei davon leuchten, so sollte für Ihre Umwelt (Vorgesetzte/Kollegen/Mitarbeitende) immer klar sein, dass Sie zwar jederzeit alle drei Hüte tragen, aber auch, welche(r) davon für Sie jetzt gerade richtungweisend sind/ist. Und warum.

«Running the business» kommt zu kurz

Wie nun aber werden diese drei Hüte im Allgemeinen so getragen? Ich beobachte Folgendes:

Beim ersten Hut dürfte die Bandbreite des Existierenden besonders gross sein. Da sich diese Führungsbriefe meistens mit dem Bereich befassen, will ich hier diesmal nicht näher auf das Thema eingehen. Mit einer Ausnahme: Der zeitliche Anteil, den Hut Nummer 1 faktisch in Anspruch nimmt (respektive nehmen darf), ist eher rückläufig – vor allem zu Gunsten des zweiten Hutes. Darunter leiden vor allem die Mitarbeitenden.

Beim zweiten Hut müssen wir zwei Aspekte unterscheiden: Das, was Führungskräfte von sich aus unter diesem Hut tun, kommt eher zu kurz. Zu wenig überlegen sie, wie sie ihren Chef unterstützen können. Hingegen nimmt immer mehr Zeit in Anspruch, was Führungskräfte unter diesem Hut im expliziten Auftrag «von oben» tun müssen: in erster Linie also Projekt- und Gremienarbeit sowie Reporting und Zentralistenanforderungen. Unter dem Argument, dass Führung Veränderung heisse, wird fast nur noch hier investiert – und das «Running the business» unter Hut 1 kommt dann eben zu kurz. Hier wäre eine gewisse Korrektur zweifellos angebracht: Zumindest könnte es fruchtbar sein, ein wenig Tempo herauszunehmen.

Beitrag zum Gesamtresultat

Beim dritten Hut nehme ich wenig Erfreuliches wahr. Aus der Perspektive «von oben» wird er zwar immer erwartet. Aber gleichzeitig misst man mit vielen Bonussystemen heutzutage die Führungskräfte an ihrer eigenen (Bereichs-) Leistung und auch am Gesamtresultat – aber eben nicht an ihrem (den eigenen Bereich überschreitenden) Beitrag zum Gesamtresultat. Entsprechend dürftig fällt der dann meist auch aus.

Letzteres ist verwunderlich. Denn eigentlich müsste es ja vor allem die Leistung unter Hut Nummer 3 sein, die jemanden für einen nächsten Karriereschritt qualifiziert. Aber vielleicht bin ich da zu blauäugig. Denn der Hut Nummer 2 dürfte hierfür heute faktisch wesentlich wichtiger sein – dort lockt schliesslich am meisten persönliche Sichtbarkeit im Unternehmen.

Wenn bei all dem primär Hut Nummer 1 leidet, ist das unerfreulich. Schön ist natürlich, wenn es Führungskräfte schaffen, unter Hut Nummer 1 so sehr auf die Entwicklung der Kompetenz und Selbstständigkeit ihrer Mitarbeitenden zu setzen, dass diese eine knappere zeitliche Verfügbarkeit ihres Chefs vergleichsweise gelassen verkraften.

Wenn Sie mich nun unter vier Augen fragten, was Sie mit all dem anfangen sollten, dann würde ich Ihnen die folgende Drei-Hüte-Kraftformel empfehlen: Beim ersten Hut auf das Empowerment der Mitarbeitenden im täglichen Geschäft setzen (was aber nicht heisst, sie einfach allein zu lassen!), mit dem zweiten Hut als fähiger Change Manager sichtbar und als Stütze des eigenen Chefs spürbar werden und – wenn Sie denn Karriere machen wollen – sich mit einem faktisch gut getragenen dritten Hut für höhere Aufgaben empfehlen (freilich ohne je davon zu reden!).