Karriere

«Keiner hat Sie gezwungen, Führungskraft zu sein. Wenn Sie also gar keine echte Lust darauf haben, so lassen Sie es bitte bleiben. Danke.» Cartoon: Silvio Erni

Lust auf Führung

Felix Frei

Hier kommt, geschätzte Führungskräfte, eine Anregung zum Start in die neue Woche, zur Reflexion Ihrer Führungsprinzipien.

Woher immer sie kommen mag, ich weiss es nicht: die Lust auf Führung. Am ehesten wohl durch das Erlebnis, dass sich Menschen überhaupt führen lassen (wollen) und dass darüber Leistungen und Erfolge möglich werden, die der oder die Führende anders nie hätte bewerkstelligen können. Die Führungspsychologie ist ja nicht gerade arm an Kalenderweisheiten, und wenn sie von Führungskräften selber stammen, dann haben sie meistens die Funktion zu erklären, warum der Erfinder besagter Weisheit so unglaublich gut führe. Aber eine dieser Praxisweisheiten möchte ich doch mit allem Respekt zitieren. Es ist das 4M-Prinzip der Führung, das ein ehemaliger höchster Ausbildungsoffizier der Schweizer Armee zu seiner Leitlinie gemacht hat (ob er es auch erfunden hat, entzieht sich meiner Kenntnis). Es fordert: Man muss Menschen mögen.

Selbstverständlich gibt es verschiedenste Motive, Chef/in sein zu wollen. Menschen zu mögen, ist dafür kein Muss – es sei denn, man will eben Lust an der Sache (also an der Menschenführung) haben. Und nur davon ist hier die Rede. Gleichzeitig steht auch nicht zur Debatte, was dabei zum Erfolg führt, denn es gibt ja Despoten und Technokraten und andere «Führer», die Erfolg haben, ohne je Lust auf Menschenführung zu haben. Aber das wäre ein anderes Thema.

Daran führt nun wahrlich kein Weg vorbei: Wer sich nicht für all die Schattierungen und Eigenarten der Menschen, für diese Vielfalt an Charakteren, für dieses Kaleidoskop aus Ähnlichem und Fremdem, Interessantem und Langweiligem, Echtem und Falschem, Sympathischem und Abstossendem, Klugem und Dummem zu interessieren vermag und wer nicht genau dieses reichhaltige Spektrum an den Menschen mag, der wird keine Freude an der Menschenführung haben (auch wenn er das Chef-sein dennoch liebt). Natürlich ist damit nicht gesagt, dass man einen faulen, langweiligen, dummen, unsympathischen Mitarbeiter mögen muss. Man darf sich herzhaft über jeden Einzelnen ärgern. Aber man muss sich mit der Liebe eines Forschers dafür interessieren, was jemanden faul, langweilig, dumm und unsympathisch macht, und ob man an ihm nicht vielleicht doch noch andere Seiten entdecken oder gar zum Leben erwecken könnte. Und dies ist die Grundeinstellung einer Lust auf (Menschen-) Führung.

Energie und Zuversicht erzeugen

Vielleicht ist dies sogar der einzige Aspekt von Führung, der sich auf dem Weg nach oben nicht ändern sollte: Was immer sich an Prioritäten, Techniken und Prinzipien ändert, wenn man die betriebliche Hierarchie nach oben klettert – die Lust auf Führung sollte dabei nie abhanden kommen.

Es ist das Gefühl, das entsteht, wenn man als Führungskraft bei Mitarbeitenden allein durch ein Gespräch, durch Aufmerksamkeit, Respekt und klare eigene Vorstellungen Energie, Leistungsbereitschaft, Zuversicht erzeugen kann. Wenn man zu Beginn einer Sitzung vor vielen offenen Fragen und Problemen steht, für die man selber keine Lösung weiss, und es nach einigen Stunden geschafft hat, dass das Wissen und die Erfahrung von anderen, ihre Einstellungen und Denkhaltungen eingegangen sind in eine Kooperation, aus der Lösungen entstanden. Und wenn man weiss, dass die eigene Art, die Beziehung mit den Beteiligten zu gestalten, einen massgeblichen Anteil am Erfolg gehabt hat.

Eine ungeschriebene Regel der Führung müsste eigentlich darin bestehen, dass sich Führungskräfte selber – so redlich wie man mit sich selber überhaupt sein kann – Rechenschaft darüber ablegen, was ihnen Lust an der Führung bereitet und worauf sie also setzen könnten, wenn sie ihre Lust auf Führung weiter steigern wollen. Dieses Rechenschaftablegen ist prekär, da es immer schon mit einem Fuss in der Falle des Moralins steht. Dabei ginge es ja gerade darum, sich auch seiner mitunter eher «niederen» Motive gewahr zu werden, sich mit dem eigenen Narzissmus auseinanderzusetzen, seine eigenen Machtbedürfnisse ernst zu nehmen, auch zu einer vielleicht kindlichen Freude an bestimmten Dingen zu stehen usw. Witzlos ist es, nur die hehren Motive des Gemeinsam-etwas-bewegen-wollens oder des Verantwortung-übernehmen-müssens oder des Unternehmenswert-zu-steigern-habens zu bemühen. Denn das ist es alles nicht.

Wie bei einem Tornado

Es wäre wesentlich reifer (und überdies auch redlicher), zu seinen tiefer liegenden Motiven zu stehen und bewusst damit umzugehen. Das muss (und soll) keineswegs auf Kosten anderer gehen. Genauso wenig, wie der Zweck die Mittel heiligt, verderben «niedere» Motive gutes Tun. Geben wir es doch lieber zu: Es ist manchmal einfach geil, Menschen führen zu können.

Wie bei einem Tornado, der sich selber beim Wirbeln mit Energie auflädt und immer rasanter wird, kann man sich die Entstehung und Entwicklung von Lust auf Führung vorstellen: Eine gewisse Lust zu führen muss als Voraussetzung zunächst sicherlich da sein. Dann führt man effektiv und erreicht eine gewisse Hebelwirkung, was heisst, dass mehr möglich wird, wenn man Menschen führt, als wenn man nur selber was täte. Vor allem aber mehr, als die Summe dieser Menschen ohne Führung zustande gebracht hätte. Dann sieht man den gemeinsamen Erfolg und erkennt den eigenen Anteil daran. Ist stolz darauf. Erhält vielleicht Anerkennung dafür. Und kriegt Lust auf mehr. Mehr Lust auf Führung.

Menschen zu mehr und Neuem befähigen

Vielleicht erwächst die wahre Lust auf Führung letztlich aus dem Geist des Prometheus: Nach der griechischen Sage hatte Prometheus den Göttern das Feuer gestohlen und es den Menschen gebracht. Die Götter fanden das nicht so toll und ketteten Prometheus zur Strafe an einen Felsen im Kaukasus. Jeden Tag schickte Zeus, der Göttervater, einen Adler vorbei, der Prometheus die Leber aus dem Leib riss, die ihm nachts wieder nachwuchs. Zyniker mögen vermuten, dass es vielleicht an diesem Erbe liegt, dass schlechte Führung – oben wie unten – nicht selten in Leberschäden ausmündet.

Lust auf Führung wäre demnach: eine Flamme zu entzünden und am Brennen zu halten, Energie zu geben und zu spüren, Dinge zu schaffen und verändern zu können, Menschen zu mehr und Neuem zu befähigen, Erfolge zu erringen und Niederlagen zu überwinden, weiterzukommen und Anerkennung zu erlangen, im Rampenlicht zu stehen und den Applaus zu suchen, seinen Willen durchsetzen zu können und die Konsequenzen davon zu verantworten, den Wandel zu meistern und voranzutreiben, sich an den Grenzen der Wirklichkeit zu reiben und sich dennoch immer wieder an der Unbegrenztheit der Möglichkeit zu begeistern.

Kurzum: Lust auf (Menschen-) Führung ist letztlich die Lust, das Feuer zu beherrschen – und es erst noch den Göttern geklaut zu haben.