Karriere

«Wir alle sind Weltmeister darin, uns erst zu entscheiden und hinterher die tollsten Argumente für unseren Entscheid zu finden. Auch Sie.» Cartoon: Silvio Erni

lechts und rinks

Felix Frei

Hier kommt, geschätzte Führungskräfte, eine Anregung zum Start in die neue Woche, zur Reflexion Ihrer Führungsprinzipien.

Aus dem Mathematikunterricht sind wir uns alle gewohnt, dass in der Arithmetik jeweils etwas gegeben ist, das man auf die linke Seite schreibt, dann malt man ein Gleichheitszeichen, und dann geht es darum herauszufinden, was denn rechts als Resultat hingehört. Und was wir schliesslich rechts hinschreiben, kann richtig oder falsch sein – je nachdem, was links gegeben war.

Aus der Psychologie wissen wir, dass wir Menschen häufig gerade andersrum funktionieren. Wir wissen ganz genau, was «rechts» rauskommen muss, und wir verwenden unsere ganze Intelligenz darauf, «links» das Passende dazu zu erfinden, so dass wir nachher sagen können: Weil eben das und das und dies, deshalb muss ich... Ob ich nun einfach gerne den neuesten PC hätte und mir dann alle guten Gründe dafür zurecht lege (bis ich sie selber glaube), oder ob ich einen miserablen Film mit meinem Lieblingsschauspieler gut finde, weil ich einfach will, dass seine Filme gut sind – das sind alles recht harmlose Folgen des Verwechselns von «links» und «rechts».

Deutlich weniger harmlos ist die Sache, wenn es um die Beurteilung von Menschen geht. Sehe ich bei jemandem nur noch kritische Verhaltensweisen, weil ich eine schlechte Meinung von ihm habe und mich darin nicht beirren lassen will? Erscheint mir jemand als besonders gut, weil er tatsächlich Leistung erbringt – oder halte ich sein Tun unbesehen für Leistung, einfach weil ich ihn gut finde?

Arithmetiker oder Mensch?

Im Falle von Ihnen stellt sich die Frage: Sind Führungskräfte Arithmetiker oder Menschen? Funktionieren sie nach den Gesetzen der Mathematik oder nach jenen der Psychologie?

Vermutlich beides. Vermutlich sogar manchmal beides zur gleichen Zeit. Denn viele von Ihnen sind intelligent (und nicht selten auch eloquent) genug, dass sich die nachträgliche Rechtfertigung eines reinen Bauchentscheids ungeheuer logisch und plausibel anhört. So logisch gar, dass die entsprechende Führungskraft selber glaubt, sie hätte von links nach rechts gerechnet.

Nun, damit wir uns recht verstehen: Ich habe gar nichts gegen Bauchentscheide. Ich habe nur etwas dagegen, dass man Bauchentscheide mit Scheinargumenten legitimiert. Bauchentscheide entstehen nämlich nicht im Bauch (wer hätte das gedacht!). Sie gedeihen ebenso in unserem Gehirn wie all unsere Kopfentscheide. Aber sie entstehen in jenem Bereich, der uns selber nicht (oder nur teilweise) bewusst ist. Und dieser Bereich ist unglaublich viel grösser als der unseres bewussten Denkens.

In Wahrheit hat unser Gehirn bei sogenannten Bauchentscheiden also schon von links nach rechts gerechnet, aber es hat uns nur das Resultat auf der rechten Seite bewusst werden lassen. Das Preisrätsel lautet nun also: Was stand wirklich auf der linken Seite?

Nun mal ganz ehrlich

Lösen lässt sich dieses Rätsel nicht einfach damit, dass man an seine eigene Ehrlichkeit appelliert: «Nun mal ganz ehrlich, was war es wirklich?» Das reicht nicht. Vielmehr müssen wir kontinuierlich daran arbeiten und lernen, auf unser Inneres zu hören und uns diesbezüglich nichts vorzumachen.

Wie kann das gehen? Das sind die fünf goldenen Regeln:

  • Stelle dir mindestens immer die Frage nach deinen wirklichen Motiven!
  • Suche dabei vor allem nach emotionalen, nicht nach sachlichen Motiven!
  • Trau einem so gefundenen «niederen» Motiv immer mehr als einem edlen!
  • Prüfe, was dich am meisten stören würde, wenn «rechts» etwas ganz anderes rauskäme!
  • Frage dich, was du jemandem unterstellen würdest, der vordergründig gleich wie du argumentiert, dem du aber nicht ohne Weiteres vertraust!

Ich weiss, das ist leichter gesagt als getan. Warum soll man sich die Mühe überhaupt machen?

Das Problem liegt – wieder einmal! – in der Kommunikation. Wenn jemand zu uns spricht, nehmen wir nämlich überhaupt nicht nur die geäusserten Worte wahr, sondern wir hören/sehen/spüren/lesen enorm viel mehr. Nicht selten «wissen» wir sogar mehr als der, der sich äussert! Damit ist die Chance gross, dass wir ganz genau realisieren, wenn er uns links von seinem Gleichheitszeichen etwas vormachen will, das gar nicht stimmt. Und dann verliert er seine Glaubwürdigkeit.

Und eine verlorene Glaubwürdigkeit schlägt sich dummerweise dann auch auf die rechte Seite des Gleichheitszeichens nieder: Wir glauben dann nicht mehr an seinen Entscheid.

Wahre Motive

Schlauer wäre also gewesen, zu sagen, dass man im Bauch spüre, dass XY der richtige Entscheid sei – aber man könne selber nicht so genau sagen, warum.

Klüger wiederum wäre es gewesen, sich zuerst so lange selber zu prüfen, bis man auf seine wahren Motive stösst. Vielleicht sogar im offenen Gespräch mit anders Denkenden.

Weiser aber wäre es, sich bei all seinen Überzeugungen immer bewusst zu sein, dass (auch) in der menschlichen Psyche rechts und links gelegentlich durcheinandergeraten. Und nicht nur bei den anderen. – Das wird Sie offen machen, und bescheiden.

Vom österreichischen Lyriker Ernst Jandl stammen die schönen Zeilen:

lichtung

manche meinen
lechts und rinks
kann man nicht velwechsern
werch ein illtum!