Karriere

Bei Christina Renevey (Travel Job Market) gehen derzeit überdurchschnittlich viele Stellengesuche ein - auch von hoch qualifizierten Jobsuchern. Bild: Rémy Steiner Photography

«Es gehen zur Zeit überdurchschnittlich viele Bewerbungen bei uns ein»

Wie sieht eigentlich im Sog der Coronavirus-Krise die Lage auf dem Tourismus-Arbeitsmarkt aus? Wir haben bei Christina Renevey. Inhaberin der Tourismus-Stellenvermittlungsfirma Travel Job Market in Zürich, nachgefragt.

Die Reisebranche wird von der Coronavirus-Krise brutal getroffen. Trotz vieler Steuerungsmassnahmen der Firmen - Kurzarbeit, Kreditaufnahme und mehr - gehen derzeit Stellen verloren, ohne dass auch wieder zahlreiche Stellen geschaffen bzw. angeboten werden. Einen Gesamtüberblick dazu, wie viele Stellen bereits verloren gingen, gibt es nicht. Aber die Travel Job Market GmbH, welche seit mehr als 25 Jahren auf die Stellenvermittlung von Jobs innerhalb der Tourismusbranche spezialisiert ist, hat da bestimmt einen guten Überblick. Gründerin und Inhaberin Christina Renevey erklärt im Interview, wie die Lage ist.


Frau Renevey, wie sieht die aktuelle Lage aus Sicht der Personalvermittlung eigentlich aus?

Es gehen zur Zeit überdurchschnittlich viele Bewerbungen bei uns ein. Darunter gibt es sehr viele, sehr gut qualifizierte Stellensuchende.

Es gibt Firmen, die sich bereits entschieden haben, das Büro zu schliessen. Allein diese Woche habe ich von vier Reisebüros gehört, welche schliessen werden. Andere Unternehmen mussten in den letzten Monaten Mitarbeitende entlassen, da die Auftragslage sehr schlecht ist und das Ende der Krise nicht absehbar ist. Viele Bewerbungen erhalten wir auch von Stellensuchenden, die ihre Weltreisen oder Sprachaufenthalte vorzeitig abbrechen mussten und sich nun neu orientieren.

Haben sich infolge der Krise die Ansprüche der Kandidaten verändert?

Wir merken, dass die Stellensuchenden betreffend Ansprüchen an den Traumjob, an das Salär und den Arbeitsweg etwas flexibler geworden sind, da sich die Auswahl an Stellen leider massiv verringert hat. Vor Corona waren über 150 Stellenvakanzen offen, aktuell sind es noch rund 20, teils sogar mit ungewissen Eintrittsdaten. Leider müssen wir auch feststellen, dass sehr viele Tourismus-Spezialisten die Branche verlassen. Die Nachfrage nach «krisenresistenten» Jobs ausserhalb der Branche hat zugenommen. Das ist sehr schade, aber verständlich.

Was ist mit der Situation im Lehrlingswesen?

Wir haben von Lehrlingen erfahren, welche ihre Lehrverträge in der Reisebranche bereits wieder gekündigt haben, da ihnen die Zukunft in der Reisebranche zu unsicher ist. Es ist leider so: Das Image des Tourismus leidet derzeit sehr.

Wie hoch ist denn die Chance, aktuell einen Job im Tourismus zu finden?

Das ist aktuell schwierig zu sagen, es braucht sicher noch etwas Geduld.

«Allein diese Woche habe ich von vier Reisebüros gehört, welche schliessen werden.»

Sie sagen, die Ansprüche der Stellensuchenden wurden flexibler. Wie sieht es mit den Anforderungen der Reiseunternehmen an künftige Mitarbeitende aus?

Die Nachfrage nach Mitarbeitenden mit ausgeprägtem Verkaufsflair, Initiative und unternehmerischem Denken kennen wir. Nicht immer erfüllten die Arbeitnehmer diese Eigenschaften in den letzten Jahren. In Zukunft kommt man wohl nicht mehr darum herum, die berühmte «Extrameile» für den Arbeitgeber zu gehen. Darüber hinaus werden sich Arbeitnehmer an häufigere Umstrukturierungen in ihren Betrieben und entsprechenden Änderungen ihrer «Job Description» gewöhnen müssen und müssen folglich diesbezüglich auch flexibel sein.

Aktuell ist vieles im Wandel, so dass sich nicht genau sagen lässt, wie sich die Ansprüche an die Arbeitnehmer ändern werden. Ich höre aber, dass beispielsweise für Jobs an der Reisebürofront Erfahrung und ein bestehender Kundenstamm wieder höher gewichtet werden als auch schon.

Wie geht es der Travel Job Market GmbH? Hat Ihr Geschäftsmodell zur Zeit noch eine Berechtigung?

Glücklicherweise haben wir in den letzten Jahren auch ein Netzwerk im Schweiz-Tourismus aufgebaut. In diesem Segment zieht die Nachfrage nach Talenten langsam wieder an. Viele Unternehmen fürchten sich derzeit vor der überdurchschnittlichen Bewerbungsflut.

Wir haben unser Portfolio von über 400 Kandidaten auch während dem Lockdown laufend gepflegt, dazu neue Kandidaten geprüft und können somit unseren Kunden eine Vorselektion für die beste Auswahl der Kandidaten anbieten.

Zudem haben wir die vergangenen Monate genutzt, um neue Geschäftsmodelle und Partnerschaften zu prüfen und aufzubauen. Unter anderem folgt schon bald eine neue Dienstleistung für Stellensuchende mit professionellem Bewerbungs-Coaching und Interview-Training. Gerade Arbeitnehmer, welche sich schon lange nicht mehr bewerben mussten, sind nun auf der Suche nach einer professionellen Begleitung im Bewerbungsprozess.

Das ist gut, aber: Wird Travel Job Market mit dem aktuellen Personalbestand weiterfahren?

Leider hat uns die Krise hart getroffen und wir kommen nicht darum herum Kosten einzusparen und schlanker zu werden und mussten deshalb Kündigungen aussprechen. Eine schwierige Entscheidung, da ich stets ein Dream-Team hatte.

Zum Abschluss noch Ihre Prognose, wie es im Tourismus weitergehen wird?

Vieles hängt nun von den verschiedenen Grenzöffnungen ab. Ich bin optimistisch, dass die Branche wieder zum Fliegen kommt. Die Lust am Reisen, fremde Länder und Kulturen zu entdecken oder einfach mal am Meer die Seele baumeln zu lassen, ist bei den Menschen ein grosses Bedürfnis.

Bis wir bei der «alten» Normalität sind, rechne ich aber leider noch mit weiteren Umstrukturierungen und Stellenabbau in der Branche.

(JCR)