Karriere

«Was soll bei Ihnen im Unternehmen selbstverständlich sein/werden? Was tun Sie dafür? Wie können Sie absolut konsequent darauf bestehen?» Cartoon: Silvio Erni

Unternehmenskultur

Felix Frei

Hier kommt, geschätzte Führungskräfte, eine Anregung zum Start in die neue Woche, zur Reflexion Ihrer Führungsprinzipien.

Jedes Unternehmen hat seine Unternehmenskultur. Fragt sich nur, welche. Unternehmenskultur ist für sich genommen also weder gut noch schlecht, sondern ein Charakteristikum jedes Unternehmens. Man kann auch bei Organisationen von einer Organisationskultur, bei Abteilungen von einer Abteilungskultur usw. sprechen. Ich verwende im Folgenden für all das nur den Begriff Unternehmenskultur – es ist Ihnen überlassen, Anwendungen auf Bereiche im Unternehmen selber zu übertragen.

Unternehmenskultur ist die Summe aller Selbstverständlichkeiten in einem Unternehmen.

Alles, was für die Mitglieder eines Unternehmens so selbstverständlich ist, dass es jede/r weiss und man es gar nicht mehr gesondert erwähnen muss, das prägt seine Kultur. Viele dieser Dinge hat nie jemand «beschlossen» oder «angeordnet» – sie sind vielmehr im Laufe der Zeit einfach selbstverständlich geworden respektive zur Selbstverständlichkeit «geronnen». Man könnte auch sagen, sie haben sich ausgeprägt wie Trampelpfade: Nachdem immer mehr Leute einen bestimmten Weg eingeschlagen haben, zeigt sich der so entstandene Trampelpfad für andere als schon fast einzig möglicher Weg.

Ungewünschter Trampelpfad

Wenn eine Unternehmenskultur auf diese Weise die «richtigen» Dinge als selbstverständlich erscheinen lässt, so ist das natürlich eine wunderbare Sache. Wenn aber nicht, so kann es ziemlich mühsam werden, wenn man bei einem ungewünschten Trampelpfad wieder Rasen ansäen und gedeihen und die Menschen einen anderen Weg gehen lassen will.

Beispielsweise kann es in einer Unternehmenskultur selbstverständlich sein, dass man Informationen austauscht, dass man kooperiert, dass man Leistung anerkennt und honoriert. Oder aber es ist eben selbstverständlich, dass jeder sein Wissen für sich behält, dass man sich mehr gegen andere interne Abteilungen als gegen externe Konkurrenten abgrenzt, dass man dann als schlau gilt, wenn man möglichst viel vom Unternehmen profitieren kann und möglichst wenig tun muss.

Mit dem Wesen von Unternehmenskulturen sind also durchaus problematische Seiten verknüpft:

  • Denn es können natürlich ebenso schlechte wie auch gute Selbstverständlichkeiten entstehen.
  • Und es lässt sich nicht einfach beschliessen/planen/steuern, was man für eine Kultur will.
  • Ebenfalls lässt sich manchmal nur schwer korrigieren, was einmal zur kollektiven Selbstverständlichkeit geronnen ist.
  • Schliesslich wird jede Auseinandersetzung mit der eigenen Unternehmenskultur dadurch erschwert, dass man kaum noch sehen kann, was für einen völlig selbstverständlich ist – gerade hier liegt nämlich unser blinder Fleck.

Unglaubliche Stärkung

Trotz dieser Widrigkeiten aber lohnt es sich, auf die Wirkung von Unternehmenskultur zu setzen. Denn wenn es gelingt, all das zur Selbstverständlichkeit werden zu lassen, was man sonst mühsam anordnen/verlangen/kontrollieren müsste, dann hat man das Unternehmen unglaublich gestärkt.

Wie kann man das erreichen? Wie gewinnen wir die richtige Unternehmenskultur?

Das ist ganz einfach: Es ist wie beim englischen Rasen. Man erhält ihn, indem man täglich zweimal giesst und einmal mäht. Und das während ungefähr hundert Jahren.

Ganz so einfach ist es also doch nicht. Denn Kulturen kann man eben nicht machen, sondern bestenfalls kultivieren. Also sorgsam pflegen.

Bevor Sie damit loslegen können, haben Sie drei Fragen zu klären:

  1. Was wollen Sie erreichen in Sachen Unternehmenskultur? Was sollen also die künftigen Selbstverständlichkeiten sein? (Das ist die Art des Rasens, die Sie anstreben.)
  2. Was trägt dazu bei, diese Selbstverständlichkeiten kollektiv zu fördern und andere zu verhindern? (Was heisst bei Ihnen also giessen und mähen?)
  3. Wie erreichen Sie die Konsequenz, die erst den Erfolg bringt? (Täglich, während 100 Jahren.)

Das Erste scheint leicht zu sein, aber das täuscht. Denn oft macht man sich hier etwas vor und wünscht sich Dinge, die gar nicht zum eigenen Unternehmen passen. Beispielsweise, wenn jeder Mitarbeiter Unternehmer sein sollte, aber keiner eine Aufgabe hat, bei der man etwas «unternehmen» kann. Hier gilt es also, redlich mit sich selber zu sein.

Das Zweite kann nur so gut gelöst werden, wie das erste schon gelöst ist. Wenn Sie sich statt für einen englischen Rasen für eine Naturwiese entschieden haben, dann dürfte tägliches Mähen nicht ganz das Richtige sein. Aber ich glaube, dass ein Führungsteam, das die erste Frage seriös und wohldurchdacht beantwortet hat, auf die zweite Frage Antworten findet.

Das Dritte ist das Leidigste. Denn es erfordert Disziplin. Jeden Tag und in allen Facetten von Führung! Stellen Sie sich das vor! Und keine Ausnahmen, bitte. Denn Gründe dafür, es heute auch mal sein zu lassen, weil etwas anderes gerade wichtiger oder bequemer ist, gibt es immer. Also hilft nur bedingungslose Disziplin.

Ein gutes oder schlechtes Vorbild

Sie können sich gar nicht vorstellen, wie wörtlich ich das meine. Lernen Sie aus diesem Beispiel:

Als die Firma DuPont 1880 ins Geschäft mit der Dynamitproduktion einstieg, verlangte man von den Werksleitern, dass sie mit ihrer Familie mitten auf dem Werksgelände wohnten. Logisch, dass diese Werksleiter nicht riskieren wollten, dass rund um ihr Heim und ihre Familie die Fabrik in die Luft fliegt, weil irgendeiner unachtsam bei der Herstellung des Dynamits war. Daraus ist eine so bedingungslose Sicherheitskultur entstanden, dass noch heute – über 100 Jahre später – in den Nachfolgeunternehmen der damaligen Firma Sicherheit ganz, ganz gross geschrieben und absolut selbstverständlich gelebt wird. In einem Mass sogar, das andere Unternehmen kaum für möglich halten würden. Wenn man weiss, was man kulturell will, und man es wirklich will und dann auch konsequent durchzieht – dann klappt es also offenbar.

Auch wenn Sie selber nicht in der Position sind, dass Sie Ihre Soll-Unternehmenskultur definieren können, Sie haben jeden Tag die Möglichkeit, Trampelpfade zu nutzen, zu meiden oder neu anzufangen – je nachdem, welche Unternehmenskultur Sie sich wünschen würden. Und Sie können Ihre Mitarbeitenden auch dazu anhalten – sei es durch Ihr Vorbild oder durch gezielte Massnahmen.

Aber seien Sie sich bewusst: Sie sind immer ein Vorbild. Wenn nicht ein gutes, dann eben ein schlechtes. Sie haben die Wahl. Fragen Sie sich, was für Sie selbstverständlich ist und was nicht. Und ob es für eine Unternehmenskultur steht, die Sie Ihrem ganzen Unternehmen wünschen würden.

Denn eine Unternehmenskultur, die man sich nur von den anderen wünscht, die man aber nicht selber lebt, ist vielleicht ein schöner Traum – aber das bleibt sie halt auch.

Wichtig ist in Sachen Unternehmenskultur ausschliesslich das Tun. Alles Reden, das sich nicht mit dem Tun deckt, ist nicht bloss sinnlos, sondern kontraproduktiv, denn es straft den Redner Lügen und untergräbt so seine ganze Autorität.