Karriere

«Was ein gesundes Selbstbewusstsein immer mit auszeichnet, ist ein gewisser Humor und eine Prise feine, warme Ironie sich selbst gegenüber.» Cartoon: Silvio Erni

Selbstbewusstsein

Felix Frei

Hier kommt, geschätzte Führungskräfte, eine Anregung zum Start in die neue Woche, zur Reflexion Ihrer Führungsprinzipien.

Warum sollen sich andere von Ihnen führen lassen? Was schätzt man an Ihnen? Was verschafft Ihnen Respekt? Was macht Sie glaubwürdig? – Ich kann es nicht wissen. Aber Sie sollten etwas auf solche Fragen antworten können. Denn so viel Selbstbewusstsein müssen Sie haben!

Ich glaube, dass für Sie ein gesundes Selbstbewusstsein ganz einfach nötig ist, um sich in eine Position als Führungskraft stellen zu lassen, in der Sie ja schliesslich ...

... gegenüber anderen Menschen hierarchisch ausgezeichnet werden.
... darauf angewiesen sind, dass andere sich nach Ihnen ausrichten.
... Ihren Führungsanspruch dadurch unterstreichen müssen, dass Sie auch mal «ich will» sagen.
... unter spezieller Beobachtung von unten, von oben und von Gleichgestellten stehen.
... nicht selten vielleicht auch ein wenig einsam sind.

Ein gesundes Selbstbewusstsein von Vorgesetzten ist der Effektivität einer Organisation durchaus zuträglich, da das damit häufig verbundene dramaturgische Geschick, die Zuversicht und Zielgerichtetheit einer solchen Führungskraft ansteckend auf die Mitarbeitenden wirken können. Freilich ist damit noch nichts darüber ausgesagt, wie viel Selbstbewusstsein man denn haben dürfe oder gar müsse, um als Führungskraft zu bestehen.

Sicher ist hilfreich, wenn man sich selber akzeptiert, sich im Grossen und Ganzen gut findet, sich selber auch mag und glaubt, überzeugend zu wirken. Denn wenn man es schon selber nicht tut – wie könnte man denn dann erwarten, dass andere, vor allem die Mitarbeitenden, einen akzeptieren könnten, insgesamt gut fänden, persönlich mögen täten und als überzeugend erlebten?

Ein Bewusst-sein seiner selbst

Zuviel davon ist aber auch hier ungesund. Ein übersteigertes Selbstbewusstsein nennt man Narzissmus. Narzissten sind Menschen, die besonderen Wert darauf legen, vor anderen als überlegen, grossartig und unerreichbar dazustehen. Sie reden fast ausschliesslich von sich, ihren Ideen und Erfolgen. Dagegen bringen sie dem, was andere zu berichten haben, wenig Interesse oder sogar offene Geringschätzung entgegen. So wirken sie meist arrogant, überheblich oder eingebildet.

Narzissmus ist eine Form der übertriebenen Selbstliebe, die gerade auf einem ungenügenden Selbstwertgefühl beruht. Narzissten sind sich ihrer selbst nicht sicher und können deshalb auch nicht offen, freundlich, aufgeschlossen, nachsichtig und hilfreich sein. Die anderen werden nicht nur als potenzielle Konkurrenten, sondern auch als Bedrohung empfunden, die die eigenen Unzulänglichkeiten und Schwächen blossstellen könnten. Schon in kleinerer Ausprägung können solche narzisstischen Persönlichkeitszüge für alle anderen eine ziemlich anstrengende Sache werden. Denn narzisstische Persönlichkeiten sind beim kleinsten Anlass gekränkt. Sie beziehen alle Ereignisse auf sich. Das macht jede Form der Beziehungsgestaltung schwierig. Unerträglich ist vor allem ihre Unfähigkeit, Kritik zu ertragen, wobei sie gleichzeitig ein Klima der Unterwürfigkeit schaffen.

Mit Narzissmus hat ein gesundes Selbstbewusstsein also nichts zu tun. Worin aber besteht es dann? Gesundes Selbstbewusstsein ist zunächst ein Selbst-Bewusstsein. Also ein Bewusst-sein seiner selbst. Wo liegen meine Stärken, wo liegen meine Schwächen? Welche guten und vielleicht auch weniger guten Muster leiten mein Handeln immer wieder? Wie wirke ich auf andere? Was ist das implizite Selbstverständnis meiner Führungstätigkeit, das «heimliche Drehbuch», das sich im Laufe der Jahre aufgrund all meiner Erfahrungen in mir verfestigt hat?

Reflexion, Auseinandersetzung mit Kritik, Sensibilität

Diese Art von Selbst-Bewusstsein ist nicht einfach eine Einstellungssache: Ja, ja, ich bin mir schon im Klaren über mich selbst. Das wäre zu einfach. Selbst-Bewusstsein zu erlangen, ist Knochenarbeit. Das bedeutet Reflexion, Auseinandersetzung mit Kritik, Sensibilität bezüglich seiner Wirkungen, Lernen aus Fehlern, Eingeständnis von Schwächen und Scheitern usw.

Was aber in Aussicht steht als Lohn für diese Anstrengung, ist eben ein gesundes Selbstbewusstsein. Ein Wissen um das, was man kann und leistet. (Das heisst übrigens auch: Ein Wissen um diejenigen, die einem dabei geholfen haben und noch immer helfen.) Ein Wissen darum, was man will und warum.

Wer sich selber so gut kennt, weiss, wofür er Respekt verdient; und er wird diesen Respekt auch finden. Und es wird ihm leichtfallen, auch andere Menschen zu respektieren – ohne auf «Ich-bin-besser-als-du» machen zu müssen.

Was ein gesundes Selbstbewusstsein wohl immer auch auszeichnet, ist ein gewisser Humor und eine Prise Ironie sich selber gegenüber. Ironie hat etwas Feines, etwas Warmes an sich. Sie ist niemals zynisch oder verbittert. Ironie braucht Gelassenheit, schätzt Mündigkeit. Ironie heisst keineswegs, sich (oder andere) und das Leben nicht ernst zu nehmen. Ironiker sind freilich keine Wichtignehmer (ein bisschen Wichtigtuer vielleicht manchmal schon).

Das englische Wort für Selbstbewusstsein, «aplomb», zeigt uns übrigens noch etwas: Aplomb (vom lateinischen plumbum, Blei, Senkblei, im Französischen d’aplomb, senkrecht) ist ein prägnanter Ausdruck für eine gerade, sichere Haltung, ein sicheres Auftreten, Nachdrücklichkeit in der Rede, Gelassenheit bis hin zu einem Mut, der vielleicht auch mal an Chuzpe grenzt – also all das, was wir schon einmal in einem Führungsbrief mit dem schweizerdeutschen «Aaneschtoh» forderten.

Selbstbewusstsein stärken

Was tun, um sein Selbstbewusstsein zu stärken?

  • Durchleuchten Sie Ihr Berufsleben als Führungskraft, um sich selber besser kennenzulernen. Wann sind/waren Sie besonders erfolgreich? Warum? Welche Muster erkennen Sie?
  • Organisieren Sie sich so, dass Sie Erfolgserlebnisse haben können – auch kleine.
  • Setzen Sie Ihre Massstäbe so realistisch, dass Sie sie überhaupt erfüllen können, aber dennoch so hoch, dass es für Sie ein gutes Gefühl ist, wenn Sie es schaffen.
  • Nehmen Sie sich nicht allzu ernst. Nehmen Sie sich niemals für wichtiger als andere – aber nehmen Sie sich als den einzigen Menschen, über den Sie immer lachen dürfen.
  • Akzeptieren Sie auch Fehler und Zweifel mit Selbstbewusstsein. Aber lernen Sie daraus.
  • Freuen Sie sich am Selbstbewusstsein anderer.
  • Gehen Sie persönliche Risiken ein: Die Chance zu gewinnen lohnt das Risiko, auch mal reinzufallen.
  • Stärken Sie das Selbstbewusstsein anderer. (Das ist vielleicht der wirksamste Trick überhaupt.)

Sie wären nicht zur Führungskraft berufen worden, wenn es nicht gute Gründe gäbe, an Sie zu glauben. Also seien Sie nicht der Einzige, der das nicht tut.