Karriere

«Wissen ist Macht, nicht wissen macht auch nichts» – das reicht für Sie leider nicht. Mögen Sie stets mehr wissen, als Sie wissen müssen. Cartoon: Silvio Erni

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Felix Frei

Hier kommt, geschätzte Führungskräfte, eine Anregung zum Start in die neue Woche, zur Reflexion Ihrer Führungsprinzipien.

Bis zu welchem Detail muss eine Führungskraft die Dinge wissen, kennen, beherrschen? Muss der Verwaltungsratspräsident der Grossbank wissen, ob mein Konto überzogen ist oder nicht? Wohl kaum. Klar ist, je höher eine Führungskraft angesiedelt ist, desto weniger Details kann sie wissen. Unklar ist, wie viel sie aber wissen muss.

Nichts wissen schätzt man bei Chefs in der Regel nicht. Und nicht jeder Chef, der sozusagen nichts weiss, kann das wie weiland US-Präsident Ronald Reagan dadurch kompensieren, dass er seine Führungsrolle einfach schauspielert. Denn wenigstens das muss man können (und RR war da wirklich gut!), und ausserdem braucht man dafür jemanden, der das Drehbuch schreibt. So jemanden dürften die meisten von Ihnen nicht haben.

Wenn ich Ihnen nun verrate, wie viel Sie wirklich wissen müssen, dann muss ich Ihnen leider eine etwas dunkle Seite meiner sonst natürlich lupenreinen Seele öffnen: Sie müssen nämlich genau so viel wissen, wie dem Erhalt und der Mehrung Ihrer Macht förderlich ist. Achtung: Ich rede nur von dem, was Sie wissen müssen – nicht vom Problem der Mitarbeiterinformation, bei dem ich mich im Führungsbrief Nr. 8 dagegen ausgesprochen habe, Information als Machtmittel zu missbrauchen!

Das ist Macht

Wenn ich Ihnen hier also zu mehr Macht (die ja bekanntlich leider korrumpiert) verhelfen will, schulde ich Ihnen schon ein paar Erklärungen:

  • Macht ist nichts, das nur bei den Grossen und Mächtigen vorkommt. Macht ist Teil jeder zwischenmenschlichen Beziehung. Das ist nicht schlimm, das ist eine Tatsache. Schlimm wird es erst, wenn Macht missbraucht wird (und das ist hier nicht das Thema).
  • Macht bedeutet, jemanden im Ungewissen zu lassen. Ich kann über Sie dann Macht ausüben, wenn ich Sie über Dinge im Ungewissen zu lassen vermag, die Sie wissen möchten oder müssten und die Ihnen in Ihrem Tun helfen würden.
  • Wenn ich nun Ihr Chef wäre (keine Sorge, das wird nie geschehen!) und wenn ich meine Macht Ihnen gegenüber stärken wollte, so würde ich dafür sorgen, immer überraschenderweise etwas mehr zu wissen, als Sie erwarten. Das ist das Geheimnis!

Sie sind immer dann in einer guten Position, wenn Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter überrascht sind, dass Sie etwas wissen/kennen/beherrschen, das man von Ihnen nicht unbedingt erwartet hätte. Denn das lässt die Mitarbeitenden immer im Ungewissen darüber, was Sie denn vielleicht sonst noch wissen.

Darin besteht die Kunst

Nun ist es Zeit für eine Einschränkung: Wir reden hier immer nur darüber, dass Sie ein überraschendes Mehr wissen sollten. Wir reden nicht davon, dass Sie dieses Mehr wissen wollen sollten! Von Ihren Leuten immer noch überraschenderweise etwas mehr wissen zu wollen, stärkt Ihre Position ganz und gar nicht. Im Gegenteil: Man wird sich immer darüber ärgern. Man wird Ihnen Detailkrämerei vorwerfen. Man wird Ihnen Mangel an Vertrauen vorwerfen. Man wird Ihnen vorwerfen, nicht die grossen Zusammenhänge zu sehen usw.

Freilich ärgern sich Mitarbeitende nicht nur gerne über eine Detailverliebtheit ihrer Chefs. Im Bedarfsfall ärgern sie sich ebenso gerne darüber, dass ihr Chef dieses oder jenes Detail nicht wisse und ja eigentlich überhaupt keine Ahnung habe. Einen Königsweg gibt es also auch hier nicht.

Dennoch: Die Kunst besteht darin, Dinge zu wissen, ohne dass jemand sieht (oder gar darunter leidet), wie man sie sich beschafft! Die überraschenden Details müssen Sie daher in den Unterlagen finden, die Ihnen regulär zugänglich sind. Eine gute Arbeitstechnik bei der Verarbeitung von Information ist dabei unzweifelhaft nützlich. Weiter lohnt es sich, gut zuzuhören. Und schliesslich geht es um die Kunst, gute Fragen zu stellen. Gute Fragen signalisieren echtes Interesse, machen klar, dass man den Befragten für kompetent hält, und zeigen, dass man selber seine Hausaufgaben gemacht hat.

Bedeutet Nicht-Wissen Ohnmacht?

Nun ist freilich das Wissen um überraschende Details nur die eine Hälfte von dem, was Ihnen zu einer starken Position verhilft. Die andere Hälfte besteht darin, die Details in ein grosses Bild einzubauen und so verständlich machen zu können.

Das wird Ihnen nur gelingen, wenn Sie Ihrerseits eine sehr aktive Informationsbeschaffung bei Ihrem/Ihrer Vorgesetzten betreiben. Wer höher steht, sollte eigentlich weiter sehen. Das müssen Sie sich zunutze machen. Löchern Sie ihn/sie bei jeder Gelegenheit. Und geben Sie dann Ihren so gewonnenen Überblick an Ihre Mitarbeitenden weiter.

Wir können davon ausgehen, dass es nie schadet, wenn Führungskräfte ihr Geschäft à fond kennen. Schädlich werden Fachwissen und Berufserfahrung erst, wenn man sie verwendet, um andere zu bevormunden oder klein zu machen. Im Guten wie im Schlechten: Wissen ist Macht.

Aber wer an «Wissen ist Macht» denkt, unterstellt meist, dass das interessierende Wissen sich im Handeln niederschlägt. Für die versprochene Erhöhung Ihrer Macht als Führungskraft müssen Sie aber auch lernen, gewisse Dinge zwar zu wissen – dann aber dennoch nicht danach zu handeln. So zum Beispiel, wenn Sie von einem Fehler eines Mitarbeitenden wissen und gleichzeitig wissen, dass sich dieser seines Fehlers sehr wohl bewusst ist. Wenn Sie ihm dann seinen Fehler nicht unter die Nase halten – obwohl er weiss, dass Sie darum wissen –, dann stärken Sie Ihre Position mitunter mehr, als wenn Sie fünf niemals gerade sein lassen.

Und ein letzter Punkt: Wenn Wissen Macht bedeutet, heisst dann Nicht-Wissen Ohnmacht? Nicht unbedingt. Wenn Sie die Grösse haben zuzugeben, dass Sie etwas nicht gewusst haben, wenn Sie zu Fehlern und Irrtümern stehen, dann kann gerade dies Ihre Position stärken. Aber nur dann, wenn man spürt, dass Sie bereit sind zu lernen. Und wenn man an Ihnen ein Vorbild darin erkennt, wie jemand grossmütig mit Fehlern anderer umgeht.

Aber sagen Sie um Himmels Willen nie «Selbst ich mache Fehler!» Denn darauf könnte jeder freundliche Mensch nur milde antworten: «Was Sie nicht sagen!»