Karriere

«Kundenorientierung heisst nicht, Kunden darüber zu orientieren, wie die internen Abläufe sind, an die sie sich gefälligst halten sollen!». Cartoon: Silvio Erni

Kundenorientierung

Felix Frei

Hier kommt, geschätzte Führungskräfte, eine Anregung zum Start in die neue Woche, zur Reflexion Ihrer Führungsprinzipien.

Wenn es in der Top-Ten-Liste des Managervokabulars einen Mega-Hit gibt, dann ist das zweifellos Kundenorientierung. Kein Managementlehrbuch, keine Firmenvision, keine Führungsgrundsätze, wo nicht das hohe Lied der Kundenorientierung gesungen würde. Das ist auch nicht verwunderlich, wenn wir uns vor Augen halten, warum es überhaupt Unternehmen gibt: Weil es in einer modernen Gesellschaft keine Selbstversorgung mehr gibt, sondern eine Arbeitsteilung zur Erzeugung unterschiedlichster Güter. Nur weil jemand bereit ist, für ein Produkt oder eine Dienstleistung zu bezahlen, können Unternehmen existieren. Dieser Jemand heisst Kunde.

Um hier einem heute weit verbreiteten Missverständnis entgegenzutreten: Unternehmen existieren nicht, um Investoren glücklich zu machen. Aber da sie in der Regel Kapital brauchen, ist es besser, so zu wirtschaften, dass die Investoren glücklich sind. Aber Kapital ist nur ein notwendiges Mittel eines Unternehmens. Nicht sein Zweck. Sein Zweck ist die Befriedigung von Bedürfnissen von zahlungsbereiten Kunden.

Kundenorientierung ist also für ein Unternehmen lebenswichtig. Das ist aber leichter gesagt als in die Praxis umgesetzt. Was heisst Kundenorientierung?

Obwohl Sie und ich es fast täglich irgendwo erleben, wo wir die Kunden sind, muss ich doch eines klarstellen – Kundenorientierung heisst nicht: die Kunden darüber orientieren, welches die internen Abläufe sind, an die sie sich gefälligst zu halten haben!

Kundenorientierung heisst umgekehrt aber auch nicht, einfach alles für den Kunden zu tun. Denn Kunden sind nicht Geschenkempfänger, sondern Empfänger von Leistungen, für die sie zu bezahlen bereit sind. Wie meine Mutter zu sagen pflegte, kann man allerdings manchmal mit einer Wurst einen Schinken herunterschlagen. Das heisst, dass wir nicht kleinkrämerisch darauf achten sollten, nur genau das zu tun, was auch tatsächlich bezahlt wird. Wir müssen immer die ganze Kundenbeziehung bedenken. Diese muss sich insgesamt bezahlt machen.

Auf jeder Ebene

Kundenorientierung darf ebenfalls nicht heissen, für VIPITOs zu arbeiten. Sie wissen nicht, was VIPITOs sind? Aber fast jeden Tag arbeiten Sie für die – statt für die Kunden! VIPITOs sind Very important persons in the organization. Ihr Chef zum Beispiel. Oder dessen Chef. Der alleroberste Chef sowieso. Auch wenn Sie vermutlich in Ihrer Karriere prima damit fahren, diese VIPITOs nach dem Grundsatz «Der Kunde ist König» zu behandeln, ist dies dennoch keine Kundenorientierung.

Kundenorientierung heisst, auf jeder Ebene sicherzustellen, dass alles, was in einem Unternehmen geleistet wird, in einem mindestens mittelbaren Bezug zu den zahlungsbereiten Kunden steht.

Es muss also etwas sein, das ein Kundenbedürfnis direkt befriedigt (herstellen von Produkten oder erbringen von Dienstleistungen). Oder es muss etwas sein, das die Kundenbindung nachhaltig stärkt (das können auch Gratisleistungen sein). Oder es muss etwas sein, das eine Kundenbeziehung überhaupt erst entstehen lässt (etwa Werbung). Oder aber es muss mindestens dazu dienen, es jemandem sonst im Unternehmen zu erleichtern oder überhaupt erst zu ermöglichen, irgendeines von den genannten Dingen zu tun (dies rechtfertigt den Assistenten ebenso wie die Finanzchefin).

Organisation – Kommunikation – Motivation

Was hat dies alles mit Führung zu tun? Führung ist der Transmissionsriemen, der diese Art von Kundenorientierung täglich ermöglichen und gewährleisten muss. Dazu stehen Führungskräften drei «Stellhebel» zur Verfügung, die freilich alle nicht ganz unproblematisch sind:

– Organisation. Führungskräfte müssen eine Organisation (Strukturen wie auch Abläufe) schaffen, die darauf ausgerichtet ist, Leistungen für zahlungsbereite Kunden auf wirtschaftliche Art zu erzeugen. Von jeder Leistung, für die intern ein Lohn bezahlt wird, ist zu fragen, warum ein Kunde direkt oder indirekt dafür zu bezahlen gewillt sein sollte.

Das Management, das die entsprechenden Strukturen, Prozesse und Regelungen definiert, bringt die operative Führung hiermit aber oft in ein fast unauflösbares Dilemma zwischen der Einhaltung dieser (meist auf Wirtschaftlichkeit ausgerichteten) Vorgaben und dem Ziel der Kundenorientierung.

– Kommunikation. Führungskräfte haben mit allen Mitteln ständig dafür zu sorgen, dass alle ihre Mitarbeitenden wissen, welches der Zusammenhang ist zwischen einer intern geforderten und der extern verkäuflichen Leistung.

Dies ist kein leichtes Unterfangen. Denn der Zusammenhang zwischen intern geforderten und extern verkäuflichen Leistungen ist manchmal etwas gar verschlungen. Ihn zu entwirren, ihn deutlich zu machen oder ihn überhaupt erst herzustellen – das ist eine zentrale Führungsaufgabe. Und wer immer damit an seine Grenze stösst, stösst gleichzeitig auf die Führungsaufgabe seines Chefs – und muss dort Hilfe einfordern. Genauso wie beim oben erwähnten Dilemma.

– Motivation. Führungskräfte müssen kontinuierlich an einer Kultur arbeiten, die Kundenorientierung im Zentrum hat. In so einer Kultur motivieren sich Mitarbeitende fast «automatisch» für genau jene Leistungen, die dem Kunden dienen – und nicht primär für jene, die den VIPITOs gefallen.

Dies verlangt viel von Führungskräften. Denn es ist äusserst verführerisch, selbst als VIPITO behandelt zu werden. Aber dafür wird man halt nicht bezahlt. Im Gegenteil: Dafür müsste man eigentlich bezahlen!

Es ist die Story, die zählt

Nun nochmals kurz zur internen Sicht. Nicht jede Zusammenarbeit kann im Geist einer internen Kundenorientierung erfolgen. Manchmal muss man sich intern gegen andere abgrenzen, mal muss man sich durchsetzen, mal muss man auf etwas bestehen. Interne sind Partner in der Zusammenarbeit – aber nicht zahlende Kunden. Das ist ein Unterschied. Aber: Wer in einer freundlichen und hilfsbereiten Kultur mit anderen zusammenarbeitet, der wird seine innerbetrieblichen Leistungen möglichst immer so erbringen, als wären sie auch für Kunden. Das wiederum stärkt langfristig genau diese Kultur. Und die kommt letztlich den zahlenden Kunden zugute.

Es ist interessant zu erwähnen, dass selbst Affen wissen, dass eine Hand die andere wäscht. Und dass auch sie vieles tun, das nicht nur dem eigenen Interesse dient, sondern dem Gemeinwohl – das aber wieder allen zugute kommt. Will sagen: Auch wenn ich die interne Kundenorientierung hier etwas zurückhaltend bewerte – hinter den Entwicklungsstand unserer behaarten Vettern sollten wir sicherlich nicht zurückfallen.

Ich glaube, die beste Kundenorientierung kommt dann in einem Unternehmen zustande, wenn die genau gleiche «Story», die das Unternehmen seinen Kunden erzählt, auch die Führungskräfte ihren Mitarbeitenden erzählen können. Dann wird der Zusammenhang zwischen internem Tun und externem Nutzen klar ersichtlich. Und nicht selten bleibt Kundenorientierung dort ein leeres Geschwätz, wo die Geschichte, die das Unternehmen seinen Kunden erzählt, etwas gänzlich anderes ist als das Lied, das in der täglichen Führungsarbeit gesungen wird.

Es ist immer die Glaubwürdigkeit, die zählt (und zahlt).