Karriere

Vertrauen können Sie nicht einfordern – es resultiert bestenfalls, wenn Sie Ihrerseits Vertrauen schenken. Es gilt: Don’t talk trust! Cartoon: Silvio Erni

Vertrauen

Felix Frei

Hier kommt, geschätzte Führungskräfte, eine Anregung zum Start in die neue Woche, zur Reflexion Ihrer Führungsprinzipien.

Führung ist Beziehungsgestaltung. Deshalb verwundert es nicht, dass Vertrauen – oder eben der Mangel an Vertrauen – dabei eine wichtige Rolle spielt. Die eine Hälfte des Themas können wir schnell abhaken: Alle Mitarbeitenden und alle Führungskräfte wollen, dass ihnen ihre Vorgesetzten vertrauen. Und niemand denkt von sich, er würde dieses Vertrauen nicht verdienen. Im Gegenteil: Als völlig unverdient wird empfunden, wenn einem Vorgesetzte kein Vertrauen entgegenbringen. Da reicht es schon, wenn man kleinste Zeichen wahrnimmt, die als Misstrauensvotum interpretiert werden können (völlig unabhängig davon, ob sie auch als das gemeint waren).

Schwieriger hingegen ist die zweite Hälfte des Themas. Wie viel Vertrauen kann/muss/darf ich als Führungskraft meinen Mitarbeitenden, meinen Kollegen, meinen Vorgesetzten entgegenbringen?

Vertrauen ist gut, hat Lenin gesagt, Kontrolle aber sei besser. Ist Vertrauen ein Führungsinstrument für Blauäugige, für Leichtgläubige, für Naive, für Gleich- gültige? Viele sagen, sie würden anderen schon Vertrauen entgegenbringen, wenn sie sich sicher sein könnten, dass dieses Vertrauen dann nicht missbraucht würde. Das Problem sei einzig, woher man diese Sicherheit nehmen könne. So führen sie zum Beispiel jahrelange gute Erfahrungen mit einer Person an oder intimste persönliche Kenntnis des anderen oder das Wissen um seine bedingungslose Loyalität. Schön, wo immer so etwas vorliegt. Aber als Führungsinstrument kommt ein so gesichertes Vertrauen wohl doch nur ganz ganz selten zum Einsatz.

Was ist Vertrauen? Vertrauen ist eine riskante Vorleistung. Wer vertraut, verzichtet auf Sicherheit. Damit macht er sich verwundbar. Wenn jemand sagt, er vertraue nur dann, wenn er auch vertrauen könne, dann hofft er, um dieses Risiko herumzukommen. Vertrauen ohne Risiko ist aber kein Vertrauen. Es ist vielleicht Gewissheit oder Kontrolle. Aber kein Vertrauen.

Vertrauen beweist Anerkennung

Warum sollten Führungskräfte etwas so Riskantes tun? Die riskante Vorleistung des Vertrauens bietet die Chance, dass das Vertrauen mit Gegenvertrauen honoriert wird. Daraus resultiert eine positive Vertrauensspirale. Diese wirkt sich auf die Führungsbeziehung in aller Regel äusserst produktiv aus. – Und umgekehrt gilt eben: Ohne Vertrauen zu führen erzeugt eine destruktive Spirale in den Führungsbeziehungen.

– Vertrauen erzeugt Selbstvertrauen. Wer seinen Mitarbeitenden vertraut, stärkt deren Selbstwertgefühl. Das spornt an und gibt gute Gefühle. Es ruft geradezu nach einer Leistung, die das Vertrauen rechtfertigt. Es gibt auch den Mut, an seine Grenzen zu gehen. Es nimmt die Angst vor den Fehlern. Und umgekehrt.

– Vertrauen beweist Anerkennung. Anerkennung bedeutet Wertschätzung. Wertschätzung wird geschätzt. Und Wertschätzung wird meistens auch zurückgegeben. In einer wertschätzenden Atmosphäre lässt es sich gut arbeiten. Reibungsverluste sind gering, und der Output ist entsprechend hoch. Und umgekehrt.

– Vertrauen erleichtert die eigene Arbeit. Wer seinen Mitarbeitenden vertrauen kann, braucht weniger Aufwand für seine Informationsbeschaffung. Er muss sich weniger darum sorgen, ob die Dinge denn auch tatsächlich gut laufen. Er kann sich darauf verlassen, dass er rechtzeitig erfahren wird, wenn irgendwo Probleme auftauchen und die Zielerreichung gefährdet ist. Und umgekehrt.

– Vertrauen ersetzt nicht Kontrolle. Aber Kontrolle ersetzt auch nicht Vertrauen. Kontrolle dient dem Informationsfluss von unten nach oben. Auf einer vertrauensvollen Führungsbeziehung basierend wird dieser Informationsfluss als sinnvoll, nicht als schikanierend, erlebt. Und umgekehrt.

Riskante Vorleistung

Es steht offensichtlich viel auf dem Spiel. Deshalb gilt: Wer als Chef Mühe hat, anderen Menschen zu vertrauen, ist als Führungskraft ungeeignet. Punkt. Wer als Führungskraft einem bestimmten Mitarbeitenden nicht wirklich vertraut, muss die Führungsbeziehung zu ihm so zu entwickeln versuchen, dass er ihm schliesslich vertrauen kann. Wenn dies misslingt, muss er sich von diesem Mitarbeitenden trennen. Punkt.

Rechtfertigt sich Vertrauen denn immer? Keineswegs! Wenn Vertrauen eine riskante Vorleistung ist, dann heisst das, dass man damit ab und zu reinfällt. Dass man enttäuscht wird. Dass das Vertrauen nicht mit der entsprechenden Leistung und auch nicht mit Gegenvertrauen honoriert wird. So läuft das Spiel. Wer nicht riskieren will, auch mal ein Tor zu kassieren, soll lieber nicht damit anfangen, Fussball zu spielen.

Aber wie kann ich denn nun wissen, ob ich einem Mitarbeitenden sinnvollerweise vertrauen kann oder nicht? Ganz einfach: Ich kann es nicht wissen! Als Führungskraft habe ich zu allererst meinem eigenen Urteilsvermögen zu vertrauen und also davon auszugehen, dass ich gute Mitarbeitende ausgewählt habe. Sodann habe ich denen – wie gesagt als riskante Vorleistung – zu vertrauen. Als Chef habe immer ich den ersten Schritt zu tun. Erst dann läuft das Spiel, das mir zeigen wird, ob mein Vertrauen gerechtfertigt war oder nicht. Wenn nicht: siehe oben! Was nicht zählt, ist Warten auf die Mitarbeitenden: Warten darauf, dass sie sich meines Vertrauens zuerst als würdig erweisen. Warten darauf, dass sie mir vertrauen. Warten darauf, dass sie wiederum einander Vertrauen entgegenbringen. Jeder, der sich meines Vertrauens als nicht würdig erweist, beweist zunächst nur, dass ich entweder meine Mitarbeiterselektionsaufgaben und/oder meine Mitarbeiterentwicklungsaufgaben nicht gemacht habe.

Don’t talk trust!

So weit, so klar. Wie aber schenke ich Vertrauen? Lippenbekenntnisse reichen nicht. Sie werden schnell als solche durchschaut, und dann wirken sie wie gezeigtes Misstrauen. Also kann ich nur das Vertrauen zum Ausdruck bringen, das ich auch empfinde. Das aber ist leicht. Und zu wissen, welches Vertrauen ich jemandem gegenüber (bezüglich einer bestimmten Aufgabe) tatsächlich empfinde, ist auch kein Problem – wenigstens, solange ich mich nicht selber belüge.

Nur leider – es gibt halt gar viele «gute» Gründe, sich selber zu belügen: Weil man sich (momentan) einem Problem nicht stellen will. Weil man seine eigene Personalauswahl nicht in Frage stellen will. Weil man die Enttäuschung über missbrauchtes Vertrauen sucht, um dann mit nachvollziehbareren Gründen handeln zu können. Weil man fälschlicherweise von sich auf andere schliesst (und dies für Vertrauen hält).

Und so erweist sich dann zu guter Letzt: Ob ich als Führungskraft meinen Mitarbeitenden vertrauen kann, hängt primär davon ab, ob ich mir als Führungskraft selber trauen kann. Mindestens manchmal aber müsste man auch hier anfügen: Und umgekehrt.