Karriere

«Führung ist nicht das, was eine Führungskraft tut. Führung ist das, was sich an Beziehung zwischen ihr und ihren Geführten abspielt.» Cartoon: Silvio Erni

Tango

Felix Frei

Hier kommt, geschätzte Führungskräfte, eine Anregung zum Start in die neue Woche, zur Reflexion Ihrer Führungsprinzipien.

Es gibt die schöne englische Redewendung «It takes two to tango» – es braucht immer zwei, um Tango zu tanzen. Nun: es braucht auch immer zwei zur Führung. Nämlich Führende und Geführte.

Während freilich beim Tangotanzen keiner auf die Idee kommt, nur die einen – sagen wir die Männer – in den Tanzkurs zu schicken, ist das bei der Führungsausbildung gang und gäbe. Ausgebildet werden immer nur die «Männer», und der Tango, den sie anschliessend mit den «Frauen» (also den Geführten) tanzen, sieht entsprechend dürftig aus. Ausser vielleicht, wenn die Geführten sozusagen Naturtalente im Tango der Führung sind.

Nehmen wir ein noch absurderes Beispiel. Ehe ist auch so etwas, wozu es immer zwei braucht. Käme denn jemand auf die Idee, Frauen zu guten Ehefrauen auszubilden in der Hoffnung, sie nachher auf welchen Mann auch immer loslassen zu können, und es ergäbe sich eine wunderbare Ehe? Eben.

Was die Führungsausbildung angeht, liegt der geschilderte «Webfehler» in der Verantwortung der Ausbildner. Also will ich nicht länger Sie als Führungskräfte damit belästigen. Was aber die gewissermaßen tägliche Führungsentwicklung angeht – also das stetige Bemühen, gut respektive immer besser zu führen –, wiederholt sich das Bild. Und hier sind Sie angesprochen. Denn fast durchs Band halten Führungskräfte Führung für ihr Bier. Dass bei dem Tango noch jemand anderes mittanzt (nämlich die Geführten), wissen sie zwar. Aber sie berücksichtigen es weder bei der Gestaltung ihres eigenen Anteils noch bei der Interpretation der Figur, die sie schlussendlich machen.

Zwei Sichtweisen

Nehmen wir ein paar Beispiele:

– Selbstständigkeit: Führungskräfte wünschen sich vielleicht selbstständige Mitarbeitende. Nun kann ja trotzdem ein Mitarbeiter eine Frage an seine Chefin haben. Diese gibt bereitwillig Auskunft. Der Mitarbeiter handelt entsprechend der Äußerung der Chefin. Diese denkt: «Warum handelt der nicht selbstständiger?» Jener denkt: «Gut, habe ich gefragt. Ich wusste doch, dass sie die Sache anders haben will als ich vorhatte.» Das nächste Mal fragt er lieber einmal zu viel als einmal zu wenig. Die Chefin schliesst daraus auf einen Mangel an Selbstständigkeit bei ihrem Mitarbeiter. Dieser glaubt, Selbstständigkeit sei bei seiner Chefin nicht gerade erwünscht.

– Motivation: Es gilt unseligerweise als Aufgabe von Führungskräften, ihre Mitarbeitenden zu motivieren. Also lassen sich die Chefs alles Mögliche einfallen. Die Mitarbeitenden schauen interessiert zu und warten darauf, dass sich bei ihnen das Gefühl des Motiviertseins einstellt. Was natürlich nicht geschieht. Also verdoppeln die Chefs ihre Anstrengungen. Und die Mitarbeitenden ihr Unwohlsein. Und in der Zwischenzeit vergessen sie völlig, dass man sich nur selber motivieren kann.

– Gerechtigkeit: Mitarbeitende erwarten, von ihren Vorgesetzten gerecht behandelt zu werden. Was sie dabei als gerecht empfinden, bemisst sich daran, wie ihre Kolleginnen und Kollegen behandelt werden. Wer nun beispielsweise weniger Anerkennung seitens des Chefs erhält als (vermeintlich) seine Kollegen, wird sich vielleicht zurückziehen und sich nicht mehr über Gebühr anstrengen. «Der Chef sieht es ja sowieso nicht.» In der Folge wächst die Anerkennung des Chefs natürlich nicht gerade. Und die Spirale dreht sich weiter.

Bei all diesen Beispielen ist es müssig, danach zu fragen, wer angefangen hat. In der Psychologie spricht man von einem «Interpunktionsproblem». Das heisst: Jede der beiden Parteien hat ihre eigene Sicht, wo das Komma und wo der Punkt hingehört. Der Chef sagt sich: «Ich tue dies nur – Komma – weil meine Mitarbeiter ... Punkt.» Die Mitarbeitenden sagen: «Wir tun dies nur – Komma – weil der Chef ... Punkt.» Solche Prozesse geraten sehr schnell in eine Dynamik, bei der beide Sichtweisen eine gewisse Berechtigung haben. Also braucht es auch den Beitrag beider Seiten, um aus diesem Tango wieder hinauszufinden.

Gruppendynamik

Für die Mitarbeitenden ist dies freilich nicht immer so einfach, da hier keine/r für sich allein entscheiden kann. Die Mitarbeitenden unterstehen immer auch einer Gruppendynamik unter sich. Wer also seine Art, den Tango mit dem Chef zu tanzen, verändern möchte, wird dabei unter Umständen von seinen Kolleginnen und Kollegen argwöhnisch beobachtet. Als erste/r zu sagen, «Vielleicht haben wir ja auch einen Anteil am Ganzen», stösst möglicherweise auf entrüstete Ablehnung der Kolleginnen und Kollegen. Also hält man lieber still.

Aber auch für die Vorgesetzten ist es schwierig, aus einem missglückten Tango auszubrechen. Denn sie sind in der unmöglichen Situation, immer gleichzeitig mit zwei Partnern Tango zu tanzen: mit ihren Mitarbeitenden (wie beschrie- ben), aber eben auch noch mit ihrem eigenen Chef. Eingeklemmt in dieses «Sandwich» kann nichts nach einer Seite hin unternommen werden, das die andere nicht sehen und aufmerksam verfolgen wird. Ein Vorgesetzter, der plötzlich beginnt, seine Mitarbeitenden weniger eng zu führen und weniger streng zu kontrollieren, wird bald einmal seinem eigenen Chef nicht mehr in der gehabten Detailliertheit rapportieren können, was in seinem Bereich so läuft. Und wenn diesem das dann negativ auffällt, ist die Chance klein, dass der ihm unterstellte Vorgesetzte seinen neu versuchten Tangoschritt beibehält. Und kaum fällt er in den alten Trott zurück, «wissen» seine Mitarbeitenden, dass er es mit der Änderung seines Führungsverhaltens nie ernst gemeint hat.

Wer reicht wem die Hand?

Was tun?

Das Zauberwort heisst «Meta-Kommunikation». Das heisst: Über Kommunikation kommunizieren. Die Tango-Tänzer müssen miteinander darüber reden, wie sie ihren Tanz empfinden und in welcher Hinsicht sie sich einen neuen Stil, neue Schritte, andere Figuren wünschten. Auch dies ist nicht so einfach. Wem es aber einmal gelungen ist, dem gelingt es immer häufiger. Auch bei der Meta-Kommunikation macht die Übung den Meister.

Vielleicht ist es nützlich, sich zuvor das Ganze wirklich als Tanz vorzustellen (es muss ja nicht gerade ein feuriger Tango sein). Wer führt wirklich? Wer ist initiativ? Wer tritt wem auf die Füsse? Wer macht eine tolle Figur? Wer dreht sich im Kreis? Wo spielt die Musik? Wie wär’s mit einem Partnertausch? Warum nicht mal ein langsameres Stück? Wer tanzt mit wem am besten? Wer gerät aus dem Tritt? Wer reicht wem die Hand? Wer scheint wen aufs Kreuz zu legen? Wer hat ein gutes Gefühl für den Takt?

Die Bilder, die einem da vor den Augen auftauchen, dürften in den meisten Fällen zumindest noch einen guten Nebeneffekt haben: Man nimmt die Sache nicht mehr so todernst. Ein spielerisches Herangehen eröffnet sicherlich mehr Optionen. Stellen Sie bloss mal Ihren Chef geistig in ein paar verschiedene Tanzpositionen. Aber nicht vergessen: Es ist nicht nur er, der Sie herumwirbelt. Nicht selten ist es umgekehrt. – Das gilt übrigens auch für Ihre Mitarbeitenden.