Karriere

«Ihre guten Absichten in Ehren. Aber leider interessieren die letztlich niemanden. Das Einzige, was zählt, sind Ihre Wirkungen.» Cartoon: Silvio Erni

Absicht und Wirkung

Felix Frei

Hier kommt, geschätzte Führungskräfte, eine Anregung zum Start in die neue Woche, zur Reflexion Ihrer Führungsprinzipien.

Ein wenig allein ist man als Führungskraft ab und zu ja schon. Man beobachtet seine Mitarbeitenden, sieht ihre Leistungen, erkennt Probleme oder Konflikte – und dann überlegt man: Was tun? Und wenn man dann auf eine Idee gekommen ist, handelt man entsprechend. Vielleicht ist ein Gespräch zu führen, ein Entscheid zu treffen, eine Information zu beschaffen oder auch irgend so etwas gerade eben nicht zu tun.

Hinter diesem Handeln steht natürlich eine bestimmte Absicht. Führungskräfte wollen ja etwas bewirken. Im Normalfall geht es darum, alle nötigen Voraussetzungen zu schaffen, dass sie und ihre Mitarbeitenden die unternehmerischen Ziele effizient (also sparsam) und effektiv (also wirkungsvoll) erreichen.

Und nun kommt der Haken: Da hat man sich alles hin und her überlegt, hat sich nach bestem Wissen und Gewissen für ein bestimmtes Tun oder Lassen entschieden, um die beabsichtigte Wirkung zu erzielen – und dann (wie uns Wilhelm Busch lehrt) kommt es erstens anders und zweitens als man denkt. Da hat man sich beispielsweise ganz besonders für das Projekt eines Mitarbeiters interessiert, um ihn möglichst gut zu motivieren, worauf der mehr und mehr «abschnallt» und findet, der Chef könne es doch gleich selber machen, wenn er eh alles im Detail kontrollieren wolle. Oder man will einer Mitarbeiterin sein volles Vertrauen beweisen, indem man sie völlig selbstständig arbeiten lässt, worauf die sich jedoch darüber beklagt, dass ihr Chef ihre Arbeit total unwichtig fände und sich keinen Deut darum kümmere. Oder man vereinbart sehr schnell einen Termin mit Mitarbeitenden, die sich bei Dritten über einen beklagt haben, weil man ihre Kritik aus erster Quelle hören und mit den Betroffenen persönlich bereden will, worauf diese noch vor dem gefundenen Gesprächstermin überall herumerzählen, Kritik sei bei dieser Chefin völlig unerwünscht, man werde dann sofort «zum Rapport zitiert». Usw.

Die Falle zu meinen, der andere würde gleich ticken

Vielleicht ist es eine der Hauptsünden in der täglichen Führungsarbeit, dass man Absicht und Wirkung verwechselt. Oder anders gesagt, dass man das, was man beabsichtigt, auch schon für die Wirkung hält. Und wenn einen dann die Fakten – also beispielsweise die Reaktionen der Mitarbeitenden – eines anderen belehren, ist man zunächst ganz irritiert. «Aber ich habe doch extra das und dies getan, um...».

Was hinter solchen Vorkommnissen steckt, ist etwas ganz und gar Menschliches: Im Unterschied zu Tieren begreifen wir schon als ziemlich kleine Kinder unsere Artgenossen als in gleicher Weise absichtsvoll handelnd, wie wir uns selber ja auch verstehen. Diese urmenschliche Fähigkeit führt uns aber oftmals sehr direkt in eine Falle – die Falle nämlich, zu meinen, der andere würde gleich ticken wie ich. Und die eigene Art zu ticken ist das, was wir üblicherweise für «logisch» halten.

Das heisst: Mein eigenes Denken erscheint mir als völlig logisch. Ich tue dies und das, weil ... Da ich andere Menschen auch für logisch denkende Individuen halte, unterstelle ich ihnen automatisch die gleiche Logik, die mich leitet.

In Wirklichkeit ist es aber nun so, dass sie auch einer Logik folgen, die sie für völlig «logisch» halten – nämlich ihrer eigenen! Machen wir uns nichts vor: Es gibt seeeehr viele solche Logiken. Und wir sollten nicht meinen, der liebe Gott habe ausgerechnet unsere Logik zur «eigentlich wahren» erkoren.

Beipackzettel zur Nachvollziehbarkeit

Mit dieser Einsicht kommen wir nun aber erst recht in die Bredouille. Denn wie sollen wir wissen, nach welcher Logik andere Menschen ticken? Einen einzelnen Menschen und seine Logik lernen wir ja vielleicht noch gut genug kennen und können uns auch darauf einstellen. Aber was tun, wenn wir uns – wie in der Führung ja häufig der Fall – an mehrere oder gar viele Menschen gleichzeitig richten und also von einer Vielzahl unterschiedlicher Logiken ausgehen müssen? Patentrezepte gibt es sicherlich keine. Aber ein paar Tipps vielleicht doch.

– Wo immer möglich lohnt es sich, die dem eigenen Tun zugrunde liegende Logik den Betroffenen in einer Art «Beipackzettel» mitzuliefern. Nicht nur sagen, was man tut oder entschieden hat, sondern erklären, warum. Dabei geht es nicht um Rechtfertigung, sondern um Nachvollziehbarkeit der eigenen Absicht. An diesen Beipackzettel ist vielfach gerade dann zu denken, wenn einem selbst die Sache als völlig «logisch» – das heisst überhaupt nicht erklärungsbedürftig – erscheint.

– Man muss seine «Pappenheimer» gut kennen. Je mehr man darauf geachtet hat, wie die eigenen Leute – nicht nur die Mitarbeitenden, auch die Kollegen und der eigene Chef – auf das eigene Handeln reagieren, desto besser lernt man zu verstehen, wo die «heissen» Themen liegen und die Fallstricke des Missverstehens lauern. Diese sollte man sich nicht wegwünschen, sondern man sollte sie in Rechnung stellen. Wenn mein Chef keine Überraschungen liebt, so muss mir ja noch kein Stein aus der Krone fallen, wenn ich ihn vorab und separat über meine Vorhaben informiere.

– Bei Medizinern gibt es die Diagnose «ex juvantibus» (lateinisch: «aus den Folgen»). Das heisst, der Arzt liest an den Folgen seiner Behandlung überhaupt erst seine Diagnose ab. Wenn die Beschwerden aufgrund des Medikaments gegen Krankheit X verschwinden, dann war es offenbar die Krankheit X. Wenn ich als Führungskraft sorgfältig darauf achte, ob mein Tun und Lassen auch tatsächlich die beabsichtigte Wirkung zeitigt oder vielleicht eine ganz andere, dann lerne ich viel über die Logik(en) der Betroffenen und wie ich sie in Rechnung stellen müsste.

Zweifel am tatsächlichen Beweggrund

Wichtig scheint mir eines zu sein: Führen ist nicht wie Fachunterricht, wo der Lehrer die Lösung kennt und die Schüler sie erst begreifen und lernen müssen. Es geht nicht darum, dass mich meine Mitarbeitenden «richtig» verstehen. Es geht darum, dass es mir gelingt, in ihrer Logik den gleichen Sinn zu erzielen, wie er sich aus meiner Logik ergibt. Dies erreiche ich nur, wenn ich vor ihrem Denken Respekt habe, wenn ich mich für sie interessiere, wenn ich fähig bin zuzuhören und wenn ich mich davor hüte, vorschnell von mir auf andere zu schliessen. Kommunikation dürfte dafür das einzige Allerweltsheilmittel sein – wenn es denn überhaupt eines gibt.

Ein Einwand ist noch anzubringen. Alles bisher Gesagte unterstellt, das Problem liege nur darin, ob ich meine beabsichtigte Wirkung auch tatsächlich erreiche. Damit wird so getan, als sei es selbstverständlich, dass eine klare und begründete Absicht vorliege. Da habe ich meine Zweifel. Ich glaube, dass Führungskräfte häufig das Nächstliegende oder das Modischste oder das Gleiche wie das letzte Mal oder das Einzige, was ihnen in den Sinn kommt, tun – und nicht etwas, das der Umsetzung einer klaren Absicht entspräche. Man macht ein Budget, weil es alle machen. Man führt Mitarbeitergespräche, weil das im Jahreskalender abgehakt sein will. Man drückt Kosten, weil das immer gut ist. Ich zweifle, ob immer eine klare und begründete Absicht am Anfang steht. Natürlich reicht die Intelligenz der meisten Führungskräfte locker aus, um im Bedarfsfall eine solche Absicht nachträglich zu formulieren. Aber ob sie der tatsächliche Beweggrund war – das können sie vielleicht selbst nicht mehr sagen.

Wer aber ohne klare Absicht handelt, muss sich nicht wundern, wenn er von seiner Wirkung nur wenig begeistert ist.