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Im Management ist es üblich geworden, Eigenverantwortung von allen einzufordern. Bild: Adobe Stock

Mit spitzer Feder aufgespiesst: «Eigenverantwortung»

Felix Frei

Psychologe Felix Frei greift wöchentlich einen zeitgeistigen Begriff aus der Managersprache auf und kommentiert mit böser Zunge.

Im Management ist es üblich geworden, Eigenverantwortung von allen einzufordern. Interessanterweise ist der übliche Sprachgebrauch aber der, dass auf obersten Führungsebenen von Verantwortung gesprochen, von den Menschen an der Basis aber Eigenverantwortung verlangt wird. Wo nun zwei Begriffe konsequent unterschiedlich gebraucht werden, können sie kaum dasselbe bedeuten.

In der Tat: Verantwortung ist offenbar für Manager, sie lastet ihnen schwer auf den Schultern, und sie soll sich bitte schön eins zu eins in ihrem Bonusplan niederschlagen. Eigenverantwortung dagegen ist fürs Fussvolk gedacht und meint, dass die unterstellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter doch wohl selbst wissen müssen, was man von ihnen erwartet – ohne dass es noch extra zu befehlen wäre.

Entsprechend ist der Zeitgeist geprägt von einer Führung, die immer dürfen, aber nie müssen will: Wenn ich als Chef meinen Leuten über die Schultern schaue, glaube ich das Recht zu haben, jederzeit und bei allem einzugreifen. Ich bin ja der Chef. Wenn ich aber grad anderweitig beschäftigt bin oder einfach keine Lust habe, dann erwarte ich, dass meine Leute selbst wissen, was sie zu tun haben – und es auch tun. Sie haben ja Eigenverantwortung.

Verantwortung kann man nur für Entscheidungen übernehmen. Niemand muss verantworten, dass zwei und zwei vier gibt. Er muss nur richtig rechnen. Entscheide hingegen sind dadurch gekennzeichnet, dass man sie mit guten Gründen auch anders hätte fällen können. Verantwortung kann man daher nur erwarten, wenn man jemandem Entscheidungsspielraum gegeben hat. Und dabei darf man nicht erwarten, dass der oder die genau so entscheidet, wie man das selbst getan hätte.

Verantwortung bedeutet, Rede und Antwort dafür zu stehen, was man aus welchen Gründen selbst entschieden hat. Es ist deshalb natürlich Unsinn, wenn ein CEO sagt: «Ich kann alles delegieren. Nur nicht die Verantwortung.» Der Mann verwechselt Delegation mit Arbeitsteilung. Dass er Aufgaben an andere verteilt, gehört zu seiner Rolle. Das ist Arbeitsteilung. Delegation aber heisst, dabei auch die Verantwortung mit abzugeben. Und zwar die Verantwortung für die entsprechende Aufgabe, nicht die Verantwortung des CEO. Die bleibt bei ihm, betrifft aber anderes. Etwa die Verantwortung dafür, die Aufgabe mit den richtigen Ressourcen dem Richtigen in Auftrag gegeben zu haben.

Wir lernen also: Eigenverantwortung ist nicht Verantwortung. Eigenverantwortung meint vorauseilenden Gehorsam. Das freilich ist etwas gänzlich anderes.