Karriere

Der Fachbegriff der Disruption hat sich vom Etikett für drohende apokalyptische Erschütterungen flugs gewandelt in eine Soll-Vorstellung für so ganz richtiges Management. Bild: Adobe Stock

Mit spitzer Feder aufgespiesst: «Disruptiv»

Felix Frei

Psychologe Felix Frei greift wöchentlich einen zeitgeistigen Begriff aus der Managersprache auf und kommentiert mit böser Zunge.

Finden Sie es attraktiv, wenn etwas störend, spaltend, trennend, Unruhe stiftend, auflösend, zerreissend, zerstörend ist? Falls Sie Manager sind, sollten Sie das unbedingt toll finden – aber bitte sprechen Sie dann von disruptiv. Seit ein paar Jahren entwickeln sich die Dinge nämlich nicht mehr allmählich, sei es etwas langsamer oder auch mal schneller, sondern eben disruptiv.

Ganze Branchen oder Geschäftsmodelle können einem «disruptive change» zum Opfer fallen, dann bleibt kein Stein mehr auf dem anderen, unter den tektonischen Verschiebungen brechen stolze Hochhäuser zusammen, und aus Schutt und Asche erwachsen ganz neue Opportunitäten. Für die Betrachter des Schauspiels allemal spannend, für die Betroffenen nur sehr bedingt lustig.

Interessant ist jedoch, dass sich der Fachbegriff der Disruption vom Etikett für drohende apokalyptische Erschütterungen flugs gewandelt hat in eine Soll-Vorstellung für so ganz richtiges Management. Entweder du wirst disruptiv, oder du wirst nicht mehr sein!

Was für ein herrlicher Steilpass für alle, die schon immer mal allen in der Firma zeigen wollten, was eine Harke ist. Was für eine prima «Du kommst aus dem Gefängnis frei»-Karte für jedes Hauruck-Projekt, das über Leichen gegangen ist – Kollateralschäden sind eben nicht immer zu vermeiden. Was für ein glänzendes Brustabzeichen für eine Führungskraft, durch das sie sich vor all den Bedenkenträgern und Wandelbremsern im übrigen Kader auszeichnet.

Aber der wahrhaft dialektische Überschlag erfolgt erst dann, wenn man die beiden Facetten des Begriffs «Disruption» – das alle überraschende Erdbeben einerseits und das knallharte Managementhandeln anderseits – ganz unauffällig vermischt. Erst dann kann man tun und lassen, was man will, ohne sich dafür zur Verantwortung ziehen lassen zu müssen. Denn eigentlich war man ja Getriebener, nicht Treiber.

Würde sich all das im Kopf eines Managers abspielen, würde er wohl (respektive hoffentlich) schnell in der Firma als wildgeworden markiert sowie vermutlich isoliert und ausgebremst (es sei denn, er sei der Alleroberste). Es spielt sich aber eben zumeist nicht im Kopf eines einzelnen Managers ab. Es ist vielmehr ein gruppendynamisches Phänomen, wo sich Manager gegenseitig aufschaukeln und am Schluss in kollektiver Einigkeit Dinge für unvermeidlich halten können, die keiner von ihnen wirklich selbst gewollt hat. Das aber kann dann – wie bei des Kaisers Kleidern – keiner mehr sagen.

Wenn Sie von diesem Phänomen betroffen sind und mit dem Totschlagargument der Disruption beschwichtigt werden, dann denken Sie daran: Weder müssen Sie den Kakao, durch den man Sie zieht, auch noch trinken. Noch müssen Sie ihn selbst anrühren.