Karriere

Einen guten Chef zu haben, kann auch das Verdienst der Mitarbeitenden sein. Bild: Adobestock

Ihr Chef ist nur so gut, wie Sie ihn sein lassen

Felix Frei

Während Chefs früher unantastbar waren, ist Führung heute schon fast zu einem Beliebtheitswettbewerb verkommen. Psychologe Felix Frei erklärt die Auswirkungen.

Wussten Sie, dass rund zwei Drittel aller Firmen keine Chefs haben? Es sind Einmann-/Einfraufirmen. Zwingend ist es also nicht, dass einzelne Menschen andere Menschen führen. Freilich gilt dies für rund neun von zehn Erwerbstätigen nicht. Geführt zu werden durch einen Chef ist also ziemlich verbreitet. Für manche ist das eine Bereicherung, für andere bequem und für viele nicht immer ganz ärgerfrei.

Während die Vorgesetzten sich immer wieder fragen (oder fragen müssten!), was denn gute Führung sei und wie sie ihren Job richtig machen sollten, scheint die Sache für die Geführten stets glasklar zu sein. Sie sind wie die Fernsehzuschauer bei einem Fussballmatch – die einzigen, die wissen, an wen wer wann einen Pass zu spielen und wann der Stürmer in welche Ecke abzudrücken hätte. Lautstark bewerten sie sodann das tatsächliche Geschehen auf dem Rasen, und gnädig sind sie dabei meistens nicht.

Wir leben in einer Welt der Like- und Dislike-Buttons. Wir sind uns gewöhnt, zu allem und jedem Stellung zu nehmen und unsere Wertung abgeben zu dürfen. Während Chefs früher unantastbar waren (respektive nur hinter vorgehaltener Hand kritisiert wurden), ist Führung heute schon fast zu einem Beliebtheitswettbewerb verkommen. Periodisch können die Geführten in Mitarbeiterumfragen bewerten, ob sie ihre Chefs liken oder nicht. Und manch ein Chef meint, gute Führung bemesse sich daran, ob er von seinen Unterstellten geliebt werde oder nicht. Entsprechend anbiedernd führt er sich dann auch auf.

Führung ist aber nicht Fussball. Die Wertung der Fernsehzuschauer hat (bislang, der Like-Button fehlt da ja noch) keinen Einfluss auf den Spielverlauf. Die Meinung der Stadionzuschauer freilich schon. Sie tragen viel dazu bei, ob die eigene Mannschaft Kampfgeist hat oder nicht.

Sie fordern Feedback ein, aber sie meinen Lob

In der Führung ist es noch unmittelbarer. Führung findet stets im Stadion mit den Geführten auf den Rängen statt. Die Geführten haben einen ganz erheblichen Anteil daran, ob ihre Vorgesetzten sie gut oder aber schlecht führen. Nur wollen das die Geführten nicht wahrhaben: Sie rufen nach mehr Vertrauen, aber sie übersehen, wie wenig Verantwortung sie wahrnehmen. Sie überschätzen ihre Leistungsbereitschaft – 90% aller Mitarbeiter glauben, dass sie mehr leisten als der Durchschnitt in ihrer Firma.

Was ist hier falsch? Sie fordern Feedback ein, aber sie meinen Lob. Sie halten sich für selbstständig, aber sie kritisieren, wie wenig Aufmerksamkeit sie vom Chef bekämen. Sie beklagen Informationsmangel, aber sie lesen nicht und interessieren sich kaum für die gesamtunternehmerischen Belange. Sie wollen motiviert werden und merken nicht, dass sie damit jede Eigenmotivation zunichtemachen. Kurzum: Sie sehen die Verantwortung für Führung ausschliesslich bei ihrem Chef.

Zugegeben: Längst nicht alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind so. Aber es sind tatsächlich meistens exakt diejenigen, die wirklich so sind, die am lautesten über ihre Chefs klagen. Man merkt es daran, dass sie über alle Chefs klagen, die sie nicht einfach machen lassen und sie dafür noch loben und hätscheln. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dagegen, die ihre eigene Verantwortung wahrnehmen, haben häufig bessere Chefs. Das ist nicht zuletzt ihr ganz und gar eigenes Verdienst.