Karriere

Das Spannungsfeld zwischen «oben» und «unten» stellt in einem Unternehmen oft ein veritables Problem dar. Bild: Adobestock

Dummheit stärkt Meinung

Felix Frei

Die «unten» wissen über vieles nicht Bescheid, was die «oben» beschäftigt – und umgekehrt. Psychologe Felix Frei beleuchtet einen Teufelskreis und fordert Respekt für fremde Sichten.

Je mehr man von einer Sache versteht, desto mehr weiss man auch, was man nicht weiss. Und umgekehrt. Leider verhält es sich mit unseren Meinungen über eine Sache tendenziell umgekehrt: Je weniger wir von einer Sache verstehen, desto fester ist oftmals unsere Meinung darüber. Das kann an jedem Stammtisch (respektive heute in allen sozialen Medien) leicht beobachtet werden.

«Von nichts sind wir fester überzeugt als von dem, worüber wir am wenigsten Bescheid wissen», sagte der Philosoph Michel de Montaigne (1533–1592) schon in der Renaissance. Und keine 500 Jahre später legte der grosse Humanist Dieter Bohlen nach: «Das Problem ist – mach’ einem Bekloppten mal klar, dass er bekloppt ist...».

Solange sich dieser intellektuelle Teufelskreis auf Fussball oder allenfalls «die da oben in Bern» bezieht, mag es ja noch angehen. In Unternehmen aber stellt er ein veritables Problem dar – und zwar im Spannungsfeld zwischen «oben» und «unten». Die «unten» wissen aus naheliegenden Gründen über vieles nicht Bescheid, was die «oben» beschäftigt, was die wissen und welche Probleme sie lösen müssen. Denn die «unten» waren ja noch nie oben.

Ein wenig Bescheidenheit täte gut

Doch schlimmer ist es bei denen «oben»: Die waren nämlich schon mal unten und meinen daher, sie wüssten, wie es da aussieht. Tun sie aber nicht. Denn erstens ist es meistens schon etliche Zeit her, seit ein Top-Manager zuunterst in der Hierarchie angefangen hat (wenn überhaupt), so dass längst die üblichen Erinnerungsverzerrungen Einzug gehalten haben: «Als ich noch jung war, da habe ich...» – alles besser gemacht, selbstverständlich. Zweitens haben sich die Verhältnisse längst geändert. Zum Teil sogar massiv. Und drittens ist es ein Irrtum zu glauben, was die Leute «unten» einer – auch noch so netten und offenen – Chefin von ganz oben erzählen, sei die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit.

Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie meine Wortwahl in dieser Sache mit «Dummheit» und «bekloppt» unangemessen finden. Aber genau da liegt das Problem: Wenn Sie zwar zugeben würden, dass Sie in Bezug auf die jeweils andere Seite (oben resp. unten) sicherlich nicht ganz alles wüssten – aber die Sache letztlich doch recht zutreffend beurteilen könnten, dann hat Sie der Teufelskreis bereits erwischt. Genau dann verkennen Sie Ihre – pardon! – Dummheit in Bezug auf die andere Perspektive.

Ein wenig Bescheidenheit täte gewiss auf beiden Seiten gut. Übrigens auch bei denen in der Mitte, die sich häufig im Besitz der Klarsicht sowohl nach oben wie nach unten wähnen und sich dabei nicht weniger irren. Und wenn Bescheidenheit Ihre Sache nicht so richtig ist, nennen Sie es sokratische Weisheit: «Ich weiss, dass ich nichts weiss.» Doch hüten Sie sich dann vor allzu gefestigten Meinungen!

Auf jeden Fall ist es allemal nützlich, für sich in Rechnung zu stellen, dass jemand mit einem anderen Standort auch einen anderen Standpunkt vertritt. Die Position verändert die Perspektive. Zwingend. Doch ist damit nichts darüber gesagt, welche Perspektive «richtig» sei. Ganz sicher fehlt denen «unten» oft die Gesamtschau. Doch ebenso sicher fehlen denen «oben» oft die für eine Umsetzung erforderlichen Detailkenntnisse. Respekt für fremde Sichten müsste zu einer unternehmenskulturellen Tugend werden. Und das Wissen darum, dass die eigene Intelligenz diesbezüglich limitiert ist.