Hotellerie

Heilige Schrift auf Anfrage

Hans-Werner Rodrian

Noch vor kurzem war eine Bibelausgabe Standard in jedem Hotelzimmer. Das hat sich geändert.

Meist lag sie in der Schublade des Nachttischs. Braun oder hellblau eingebunden, unauffällig und nur selten mit Gebrauchsspuren: die Bibel. Praktisch jedes Hotel in der westlichen Welt hatte die Heilige Schrift in den Gästezimmern ausgelegt. Doch das scheint inzwischen vorbei zu sein.

Nicht mal mehr in der Hälfte aller US-Hotelzimmer ist das Buch der Bücher noch zu finden, ermittelte gerade erst das Marktforschungsinstitut STR. 2006 waren es noch 95 Prozent gewesen. Der Bibelverein Gideons International begründet das so: «Der Rückgang reflektiert die Erosion des spirituellen Bewusstseins.» Er meint damit wohl: die Hotelgäste sind einfach nicht mehr interessiert.

Der Gideonsbund muss es wissen, denn er ist weltweit für das Auslegen von Bibeln in Hotelzimmern verantwortlich. Seit drei US-Handlungsreisende im Jahr 1899 damit begannen, hat die Non-Profit-Organisation mehr als zwei Milliarden Bibeln in die Schubladen von Hotelzimmern in aller Welt verteilt.

Doch Gottes Wort hat heute starke Konkurrenz: Wo einst ausser dem Neuen Testament nur kahle Wände warteten, gibt es heute überall Fernsehen mit Dutzenden von Kanälen und immer häufiger auch Gratis-WLAN. Wer will da noch in einem Tausende Jahre alten Buch schmökern?

In religiöser Hinsicht neutral bleiben

Die weltgrösste Hotelkette Marriott – gegründet 1927 von einem strenggläubigen Mormonen – verzichtet in ihren trendigen Häusern der Lifestylemarken Moxy und Edition komplett auf «religiöse Materialien». Nach eigener Aussage geschieht das «aus Respekt vor Nichtgläubigen und Angehörigen anderer Religionen» unter den Hotelgästen.

Europas grösste Hotelkette Accor legt sogar über alle Marken keine Bibeln mehr in den Hotelzimmern aus. Gegenüber der evangelischen Nachrichtenagentur Idea begründete die Konzernleitung das damit, dass man in religiöser Hinsicht neutral bleiben will. Das sehen offenbar auch andere Hoteliers so. Der «Allgemeine Hotel- und Gaststättenzeitung» berichten sie von Beschwerden muslimischer Gäste, dass kein Koran im Zimmer zu finden sei, sondern nur die Bibel. Die wird dann häufig ebenfalls entfernt, um keinen Konflikt heraufzubeschwören.

Wer sich in einem modernen Budget-Design-Hotelzimmer umsieht, wird aber auch schnell merken: Es gibt einfach auch keine Schubladen mehr, in denen das Buch der Bücher diskret Platz fände. So gibt es die Heilige Schrift immer öfter nur auf Wunsch. Bereits vor fünf Jahren entschieden sich zum Beispiel die Lindner Hotels, die Bibel nur noch an der Rezeption zur Verfügung zu stellen. Allerdings, so eine Sprecherin, machen die Gäste kaum Gebrauch davon. Genauso hält es das noble Ritz-Carlton-Hotel in Berlin: Bibeln wie Korane gibt es auf Wunsch. Arabische Gäste, weiss die Rezeptionistin, fragen manchmal nach einem Gebetsteppich. Christliche Gäste eigentlich nie nach der Bibel.