Here & There

Mail aus... Buenos Aires — von Fleisch, Tanz und Lebenslust

Matthias Wipf

Die argentinische Hauptstadt mit der südeuropäisch inspirierten Architektur kommt unserem Autor auf Anhieb sehr vertraut vor — und bietet doch unendlich viel zu entdecken.

“Dies ist der Beginn einer neuen Zeitepoche”, verkündet unbescheiden der eben gewählte Präsident Argentiniens, der Unternehmer und bisherige Bürgermeister von Buenos Aires, Mauricio Macri. Vor den Grossleinwänden am Obelisk mitten in der Hauptstadt, wo auch wir den Wahlabend verbringen, jubeln ihm seine zahlreichen Anhänger zu, schwenken Fahnen, hupen — und rufen auch vereinzelt “Liberación” oder skandieren hämisch “Chao, Cristina!”, gemünzt natürlich auf die noch amtierende Präsidentin, als kurz vor Mitternacht ein Helikopter am Himmel zu sehen ist. Viele Argentinier, so erfahren wir in diesen Tagen, haben aber nicht aus Überzeugung Macri und sein Oppositionsbündnis “Cambiemos” gewählt, sondern haben sich, oft desillusioniert von der Politik, einfach für das aus ihrer Sicht “kleinere Übel” entschieden. Wichtigste und vornehmste Aufgabe des neuen Herrn in der ‘Casa Rosada’, dem Präsidentenpalast, wird es deshalb ganz sicher sein, das politisch gespaltene Land wieder zu einen und den Leuten Zuversicht auf eine gedeihliche wirtschaftliche und politische Entwicklung in den nächsten Jahren zu geben.

“Reich wie ein Argentinier”, das noch vor hundert Jahren zirkulierende Bonmot, gilt sonst bekanntlich schon lange nicht mehr, zumindest in finanzieller Hinsicht. Reich sind die Argentinier dafür anderweitig: sie haben die saftigsten Steaks, die einem beim blossen Gedanken das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen, haben mit den weltbesten Wein, spielen begnadet Fussball wie einst Maradona oder heute Messi und sind die unbestrittene Hauptstadt des Tango. Überreich ist zudem auch die Landschaft Argentiniens zwischen Patagonien und Feuerland im Süden sowie Iguazù und Anden-Hochland im Norden. Nie werden wir den ‘kalbernden’ Gletscher Perito Moreno mit seinem tollen Farbenspiel, den türkisblauen Lagunen und den markanten Bergspitzen rundum vergessen und nie die stäubenden und spritzenden Fluten der gewaltigen Wasserfälle an der Grenze zu Brasilien. Man kann sich an Argentiniens wunderschöner, facettenreicher Natur kaum genug satt sehen.

Charmante und lebhafte Hauptstadt

Und mittendrin thront dominant und schmeichelnd Buenos Aires, eine Mischung zwischen europäischer Spitzenarchitektur und lateinamerikanischer Lebenslust, ein faszinierender Schmelztiegel der Völker und Kulturen. “Wer einmal in Buenos Aires gelebt hat, will nie mehr weg”, behauptet unser Stadtführer Fernando keck — und zumindest “angefixt” sind wir zugegebenermassen auch. Jedes Quartier hat seinen ganz eigenen Charme, ob die Innenstadt mit der zentralen Plaza de Mayo, den breiten Boulevards, den prachtvollen neoklassizistischen Palästen und den vielen Theatern und Kaffeehäusern, ob das Hafenquartier La Boca mit seinen farbig bemalten Häusern und der “Bombonera”, dem Fussball-Tempel der bekannten Boca Juniors — oder zwischendrin San Telmo, wo wir unser Appartment bezogen haben. Eine riesige Auswahl an charmanten, kleinen Kneipen bot sich da zu unsern Füssen — und mitten drin die Plaza Dorrego, auf der sich spontan Paare zum Tango treffen und am Sonntag ein betriebsamer Markt stattfindet.

Schritt für Schritt haben wir uns dem Lebensgefühl der Porteños, wie die Hauptstädter am Rio de la Plata genannt werden, anzunähern versucht. Wir haben uns nebst den aktuellen Präsidentenwahlen mit dem “Mythos Evita” befasst, haben opulente Tango-Shows besucht — und die Eröffnung der Endspiele des “Argentino Abierto”, quasi der Weltmeisterschaften im Polo, live im Stadion mitverfolgt. Adolfo Cambiaso, der wohl weltbeste Polo-Spieler, war uns vorher ehrlich gesagt kein Begriff — sein Können hat allerdings auch uns, als wir die Regeln dann mal begriffen hatten, ziemlich überzeugt.

Ja, Argentinien hat definitiv einen Platz in unsern Herzen gefunden! Unvergesslich, wie Taxichauffeur Roberto pfeifend Gäste durch Patagonien führt und seinen “Traumjob in dieser wunderbaren Landschaft” gefunden hat, sich immer wieder von neuem daran erfreut. Unbezahlbar auch, wenn der Kellner in der Tango-Show früher mal im Bahnhofbuffet Bern gearbeitet hat und uns Suìzos ein freudiges “Zibelemärit” entgegenruft. Toll schliesslich, nach einer “puerta cerrada”, einem auserlesenen Nachtessen in einem Privathaus, erst um drei Uhr morgens beschwingt und mit vielen interessanten Geschichten neuer Bekannter nach hause zu kommen. Und wir sind überzeugt, dass das zweitgrösste Land Lateinamerikas noch ganz viele weitere Geschichten für uns parat hat — hasta pronto, Argentina!

Die bisherigen Stationen:

In 80 Tagen um die Welt — Jules Verne reloaded
Singapur — der Duft der Grossstadt
Hanoi — im mystischen Reich von «Onkel Ho»
Tokio — zwischen Meiji- und Manga-Zeitalter
Auckland — zwischen «All Blacks» und «Flat White»
New Orleans — Jazz und Jambalya im «Big Easy»
Santiago de Chile — von wunderschöner Natur und «Kaffee mit Beinen»