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Reizfigur André Lüthi: Warum er die Reisebranche in Wallung bringt
Reto SuterNiemand in der Schweizer Reisebranche polarisiert derart stark wie er: André Lüthi. Nach einer Lehre als Bäcker-Konditor und ersten ausgedehnten Reisen startete er 1984 als Sachbearbeiter bei Baumeler Reisen und absolvierte ein Studium zum eidgenössisch diplomierten Tourismusexperten.
Drei Jahre später wechselte er zum Globetrotter Travel Service und lancierte eine steile Karriere in der Branche. Sie führte ihn vom Mitarbeiter zum Filialleiter und vom CEO zum Präsidenten des Verwaltungsrats der Globetrotter Group, der er bis heute ist. Lüthi bringt sich nicht nur in seinem Unternehmen ein, sondern seit 25 Jahren auch im Schweizer Reise-Verband (SRV).
Er betreut dort das Ressort «Politik» und trat am Dienstag (18. November 2025) turnusgemäss – der SRV wählt seine Vorstandsmitglieder alle drei Jahre – zur Wiederwahl an.
Barbara Wohlfarth, Inhaberin von Reisecoktail und nie um eine pointierte Meinung verlegen, fragte in einem Linkedin-Post, warum sich ein 65-jähriger nochmals wählen lasse, während der Verband gleichzeitig das Motto «River of Change» ausrufe? Wohlfarth erhielt aus der Branche einiges an Unterstützung für ihr Votum.
Lüthi liess die Attacke indes nicht auf sich sitzen. Er fühlte sich persönlich angegriffen und legte in einer Replik die Gründe offen, weshalb er sich nochmals zur Wahl stellte. Formell zwar für drei, eigentlich aber nur für zwei Jahre, wie er die Branche wissen liess. Denn 2027 zum 100-jährigen Geburtstag des Verbands wolle er abtreten und bis dann eine Nachfolge aufbauen. Lüthi wurde an der Generalversammlung in seinem Amt bestätigt – per Applaus. Die Sache schien erledigt.
Leserbrief erhitzt die Gemüter
Aber nicht in der Schweizer Reisebranche. Denn Lüthi fand sich plötzlich in noch stärkerem Gegenwind wider. Am Dienstagabend machte plötzlich ein Leserbrief die Runde, der in den Fachmedien aufgetaucht war. Kurt Eberhard, Co-Präsident der Travel Professionals Switzerland (TPS) und ehemaliger CEO von Hotelplan Suisse, hatte sich an Lüthi abgearbeitet. Schon kurz nach der Veröffentlichung waren Eberhards Zeilen wieder aus dem Netz verschwunden.
Die TPS-Vorstandskollegen hatten ihren Präsidenten in einer Nacht-und-Nebel-Aktion zurückgepfiffen. Das Schreiben war in ihren Augen untragbar. Lüthi selbst war irritiert. «Ich dachte: Wie bitte? Was ist jetzt passiert?», sagt er mit einigen Tagen Abstand zu Travelnews. Er könne sich Eberhards Angriff nicht erklären: «Wir hatten nie grössere Auseinandersetzungen – und seit langer Zeit keinen Austausch mehr, weder positiv noch negativ.»
Gleichzeitig lachten sich andere ins Fäustchen. «Endlich kommt der Lüthi mal an die Kasse», war da zu hören. Die Frage liegt auf der Hand: Warum ist André Lüthi für so viele in der Branche ein Reizthema? Weshalb werden seine Auftritte, Reden und Social-Media-Posts so aufmerksam – und oft so kritisch – beäugt?
«Ja, er ist einer, der seiner Branche ab und zu ans Bein pinkelt»
Frank Baumann bringt es im Vorwort seines Buchs «Karma» über Lüthi auf den Punkt: Er sei einer, «der kein Blatt vor den Mund nimmt und auch schon mal mahnend den Zeigefinger erhebt – und ja, er ist einer, der seiner Branche ab und zu ans Bein pinkelt.»
Genau diese Mischung aus moralischem Anspruch, Sendungsbewusstsein und öffentlicher Sichtbarkeit sorgt seit Jahren für Reibung. Für viele wirkt Lüthi zu präsent, zu überzeugt von sich selbst, zu laut unterwegs – und zu wenig daran interessiert, wie seine Botschaften bei der breiten Branche ankommen. Das bestätigen mehrere langjährige Branchenvertreter unabhängig voneinander auf Anfrage.
Für Kritiker ist Lüthi der Branche entrückt
Wer neu in der Branche ist, versteht diese Irritationen oft nicht sofort. Doch langjährige Reiseprofis kritisieren, er sei thematisch zu stark auf die eigene Art des Reisens fixiert und äussere sich zu Themen, die ausserhalb seines Kerngeschäfts liegen – etwa Badeferien.
Dass grosse Reiseveranstalter und teilweise auch Vorstandskollegen ihn selten bremsen, stösst ebenfalls auf Unmut. Statt die Verantwortlichkeiten im Verband klar zu ordnen, überlasse man ihm zu viel Raum.
So hat sich ein spürbarer «Lüthi-Überdruss» entwickelt, wie Branchen-Insider gegenüber Travelnews sagen. Die Kritik: Er agiere zu selbstbezogen und zu wenig im Sinne der Mehrheit. Lüthi sei der Branche entwachsen und inzwischen ein vollwertiger «Cervelat-Promi», so die Einschätzung eines Branchen-Urgesteins.
Seine Verdienste – etwa sein Einsatz in der Pandemie oder sein Engagement bei politischen Themen – werden zwar anerkannt. Doch sie überdecken nicht die Frage, ob sein Stil und seine überdeutliche Präsenz der Branche langfristig guttun.
«Lüthi vertritt unsere Branche und den SRV in den Medien als wäre es seine persönliche Ich-AG», sagt Kurt Eberhard, Gründer von Let’s go Tours und ehemaliger CEO von Hotelplan Suisse. Der Verwaltungsratspräsident der Globetrotter Group monopolisiere die Meinung der gesamten Branche.
Er erwarte, dass sich Lüthi bewusst sei, bei jedem öffentlichen Auftritt nicht nur für die Globetrotter Group zu sprechen, sondern auch als SRV-Vorstandsmitglied. Und Eberhard fordert den Verband selbst in die Pflicht: «Der Vorstand muss sich überlegen, wie er die Meinungshoheit zurückerobert – statt sie einem einzigen Veranstalterchef zu überlassen.»
Lüthi erhält auch viel Zuspruch für seine Arbeit
Lüthis Weggefährten sehen das naturgemäss anders. Für langjährige Vertrauenspersonen ist er vor allem ein brillanter Selbstvermarkter, der genau weiss, wie er Journalisten bedient – und wie er Globetrotter und sich selbst ins beste Licht setzt. Medienpräsenz, so ihr Argument, falle ihm nicht einfach in den Schoss; er habe sie sich über Jahre erarbeitet.
«Bei den Kritikern spielt viel Neid und Missgunst mit», sagt Max E. Katz, neun Jahre SRV-Präsident und einstiger Vorstandskollege Lüthis. Ja, er nenne Lüthi regelmässig einen Selbstdarsteller – «wo eine Kamera ist, da hält er den Kopf hin». Aber das sei aus seiner Sicht nicht verwerflich: «Lüthi ist ein perfekter PR-Mann.»
Zudem sei seine Rolle als Brückenbauer ins Bundeshaus für die Branche zentral. Die Zusammenarbeit im Vorstand sei stets konstruktiv gewesen, betont Katz: kritisch, aber zielorientiert und professionell.
Die Angriffe von Eberhard und der viel diskutierte Linkedin-Post von Barbara Wohlfarth trafen André Lüthi sichtbar. Nicht, dass Barbara Wohlfarth die Frage einer Verjüngung aufwarf – das könne er gut nachvollziehen und sei für ihn völlig unproblematisch, betont er im Gespräch mit Travelnews. Geärgert habe ihn jedoch, dass sie ihm im Zusammenhang mit seinem Vorstandssitz Machtgier und Machtansprüche unterstellte.
Kurt Eberhard, einer von Lüthis schärfsten Kritikern, stützt hier die Argumentation Wohlfarths. «Dass es Lüthi nie um Macht ging, kann ihm nur jemand mit blauen Augen abnehmen», sagt er. An den Schalthebeln zu sitzen, ermögliche den Zugang zu Entscheidungsträgern und die Einflussnahme auf wichtige Geschäfte. «Das hilft der eigenen Firma, und nicht selten bringt es auch persönliche Vorteile.»
«Es geht nur darum, Reisen nicht wie Ramsch zu verkaufen»
Wie erklärt sich Lüthi selbst, dass er immer wieder ins Schussfeld gerät? «Meine hohe Medienpräsenz trägt sicherlich dazu bei», sagt er. Er gebe gerne Interviews und sehe keinen Grund, Anfragen abzusagen. Dass Journalistinnen und Journalisten immer wieder auf ihn zukommen, liege wohl auch an seinen nicht alltäglichen Reisen, seiner Sicht auf die Branche und seinem etwas anderen Führungsstil – all das mache ihn für die Medien interessant.
Den Vorwurf, vom Badeferiengeschäft zu wenig zu verstehen, weist er entschieden zurück. «Ich kritisiere Badeferien nicht – im Gegenteil: Jeder soll umsetzen, was ihm entspricht, ob als Anbieter oder als Kunde. Mir geht es einzig darum, dass durch zum Teil viel zu tiefe Preise dem Reisen die Wertigkeit genommen wird. Mit solchen Schleuderpreisen schadet man der Branche, und wir alle tragen hier eine Verantwortung.»
Eberhard nennt das Doppelmoral: «Wer Billigtourismus kritisiert, während seine eigenen Filialen diese Produkte ebenfalls verkaufen und er selbst permanent um den Globus jettet oder mit Kreuzfahrtenschiffen in die Antarktis fährt, predigt Wasser und trinkt Wein», so der Co-Präsident der TPS.
Lüthi entgegnet auf diese Vorwürfe, Eberhard wolle ihn bei diesem Punkt schlicht nicht versehen. «Es geht nicht darum, nicht mehr zu reisen – es ist die beste Lebensschule und trägt viel zu mehr Toleranz und Respekt für andere Kulturen bei und vielleicht sogar zu etwas mehr Frieden. Es geht nur darum, Reisen nicht wie Ramsch zu verkaufen.»
SRV-Ehrenpräsident Katz will sich an dieser Stelle nicht weiter einmischen. Sein Fazit nach einer turbulenten GV-Woche fällt pragmatisch aus: «Lasst Ändu jetzt noch zwei Jahre seinen Job im Vorstand machen – und froh sein, dass wir ihn in dieser wichtigen Rolle haben.»
Zunächst ist André Lüthi bemüht, die Wogen zu glätten – zumindest was den schriftlichen Schlagabtausch mit Barbara Wohlfarth betrifft. Beide haben vereinbart, sich demnächst bei einem gemeinsamen Kaffee auszutauschen.