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Auf den Kanälen von Bangkok, den sogenannten Klongs, die noch immer als Transportwege und für die schwimmenden Märkte genutzt werden, entkommt man dem stundenlangen Verkehrsstau auf den Strassen. Bild: Tamer Karaoglu

Unterwegs zum schwimmenden Markt

Matthias Reimann

Lange bevor Asphalt und Skytrains den Takt vorgaben, waren Klongs die Hauptverkehrsachsen Bangkoks. Die Kanäle sind auch heute noch viel benutzt, denn entgegen dem täglichen Beinah-Strassenkollaps ist auf dem Wasser freie Fahrt angesagt.

Auch um zehn Uhr morgens geht auf den Strassen der Innenstadt Bangkoks so gut wie gar nichts. Tausende Fahrzeuge stehen im Dauerstau. Stoisch manövriert mein Fahrer durch die endlose Blechlawine und bringt mich zur Rama IV Brücke. Sie überspannt im Stadtteil Pak Kret den Chao Phraya River. Die Sonne brennt teilnahmslos vom Himmel und es ist brütend heiss. Wie ich auf das tiefliegende Kanalboot umsteige, glitzert der breite Fluss gleichgültig im dunstigen Morgenlicht.

Mit aufbrausendem Motor und breitem Grinsen vollführt mein Bootsführer beim Ablegen eine Kehrtwende, um sein Boot mit einer waghalsigen Linkskurve in einen Seitenarm des grossen Flusses zu lotsen. Willkommen im Labyrinth der Wasseradern Bangkoks. Abseits vom Hupen und Brummen der Strassen zeigt die Stadt ein unerwartetes Gesicht: Stelzenhäuser, ausgelassen im Wasser spielende Kinder und lachende Händlerinnen, die von ihren Booten aus Gemüse und Blumen verkaufen.

Bedeutsamer Wasserweg

Der Chao Phraya River ist 370 Kilometer lang. Er durchquert Bangkok von Nord nach Süd und mäandert anschliessend in den Golf von Thailand. Trotz Bahnlinien und einem landesweiten Strassennetz stellt der Fluss weiterhin einen wichtigen Handelsweg dar. Seit Jahrhunderten wird der Strom und das sich beidseitig verzweigende Kanalsystem intensiv genutzt.

Klongs dienen auch der Bewässerung von Reisfeldern und dem Fischfang. Während der Regenzeit sorgt der Fluss mit seinen Nebenarmen zudem für die Entwässerung des wenige Meter über dem Meeresspiegel liegenden Tieflandes.

Durchfahrt einer Schleuse auf den Klongs von Bangkok. Bild: Tamer Karaoglu

Fähren sind in Bangkok ein vielgenutztes Transportmittel. Sie verkehren meist auf dem Hauptfluss, sind schnell, günstig und entlasten verstopfte Strassen. Daneben flitzen aber auch Tausende privat genutzter Boote und Wassertaxis kreuz und quer durch die Wasserwege. Viele dieser Gefährte sind «Long Tails», gertenschlanke Boote, die meist von umgebauten Lastwagenmotoren angetrieben werden.

Was diese Gefährte auszeichnet, ist das halsbrecherische Tempo, mit dem sie unterwegs sind. Bootsführer lenken ihre Gefährte mit langen Stangen, an deren Ende sich Schiffsschrauben befinden. Beim Vorbeifahren sehen diese verwegenen Kapitäne aus, als steuerten sie ihre Kähne mit überdimensionierten Stabmixern.

Die Flussinsel Ko Kret

1722 wurde zum Erleichtern des Schiffsverkehrs ein Kanal ausgehoben, durch welchen Ko Kret, die grösste Insel im Chao Phraya River, entstand. Das Eiland ist eine grüne Oase im Gewusel Bangkoks und offeriert Stille und Beschaulichkeit ohne Autos. Am Bootssteg stehen Fahrräder zur Vermietung, aber die künstliche Insel entdeckt man am besten zu Fuss.

Mitglieder vom Stamm der Mon, die ursprünglich aus dem Süden Burmas nach Thailand gekommen waren, siedelten als erste auf Ko Kret und brachten neben ihrer Auslegung des Buddhismus das Töpferhandwerk auf die Insel. Noch heute werden in kleinen Werkstätten Tonwaren für den täglichen Bedarf angefertigt.

Das lokale Töpferhandwerk wurde von burmesischen Einwanderern nach Thailand gebracht. Bild: Tamer Karaoglu

Es sind Begegnungen und Situationen des täglichen Lebens, die Ko Kret interessant machen. Hier begegne ich mitten im Gedränge der Millionenstadt einem ländlichen Alltagsleben, das mich in ein vergangenes Bangkok zurückversetzt. Die Gelassenheit der Insel existiert anderswo in der hektischen Grossstadt längst nicht mehr.

Ein Mikrokosmos in der Millionen-Stadt

Nachdem ich Ko Kret hinter mir lasse, düsen wir in atemberaubendem Tempo ein Stück auf dem Hauptfluss. An beiden Ufern wechseln sich turmhohe Apartmentblocks und anonyme Gewerbegebäude ab. Urbane Betonburgen haben traditionelle Stelzenhäuser verdrängt.

Mein Bootsführer legt die federleichte Holzbarke in eine steile Kurve und schiesst durch eine enge Schleuse in einen Nebenkanal. Hier drosselt er das Tempo und schon tuckern wir gemächlich durch den engen Wasserweg. Unvermittelt bin ich in einer stillen und üppig grünen Welt angelangt. Es ist ein Mikrokosmos, der mit der fünfzehn Millionen-Metropolregion nichts gemeinsam hat.

Freundliche Begegnungen auf den Kanälen Bangkoks. Bild: Tamer Karaoglu

Einfache Blechhütten reihen sich an hundertjährige Teakholzhäuser, die auf Stelzen stehend waghalsig über die Uferböschung und schwimmende Teppiche aus Lotosblüten und Wasserspargel hinausreichen. Es riecht nach Holzfeuer und dampfenden Kochtöpfen. Gleichzeitig verbreitet die feuchte Tropenluft eine lethargische Atmosphäre. Meine Sinne aber sind hellwach und ich verinnerliche jedes Geräusch und jeden Geruch. Hunde kläffen, am Ufer spielen laut lachende Kinder und ältere Menschen winken mir freundlich von ihren Terrassen zu. Ich bin in Siam, dem Land des Lächelns, unterwegs.

Schwimmender Supermarkt

Den buddhistischen Tempel Wat Takien steuert man am besten mit dem Boot an. Der gleichnamige Markt nebenan ist ein Augenschmaus und eine bunte Tanzvorführung für den Gaumen. Ausser mir ist keine andere «Langnase» auf dem Markt zu sehen. Heute ist der Markt ruhig, nur wenige Kunden tummeln sich zwischen den Marktständen und dem Steg. Ich bin extra an einem Wochentag hier, denn die meisten Kunden nutzen das Wochenende für ihren Einkauf.

Dann herrscht an der Anlegestelle Hochbetrieb, wenn ein Boot nach dem anderen kurz stoppt, um Gemüse, Früchte, Geflügel, Fisch, Blumen und Dinge des täglichen Bedarfs umzuschlagen. Neben den Lastbooten legen auch Garküchen an, schwimmende Kaffeehändler auf kleinen Barken tuckern vorbei und selbst Gasflaschen werden an Bord der schmalen Holzkähne angeliefert.

An den Wochenenden herrscht an den Anlegestellen der schwimmenden Marktes Hochbetrieb. Bild: Matthias Reimann

Nachdem meine einheimische Reiseleiterin bemerkt hat, dass ich mich für authentische Thai-Gerichte begeistere, lässt sie mich überall kosten und riechen. Hier eine unbekannte Frucht, dort ein Büschel intensiv riechender Kräuter oder ein Löffel pikanter Suppe. Und natürlich muss ich auch das Omelett mit Sojasprossen, Tofu, gerösteten Erdnüssen und süss-saurem Tamarindensaft probieren, das auf einer schwimmenden Küche vor der Markthalle zubereitet wird. Ich erlebe ein deliziöses Feuerwerk von scharf über fruchtig zu süss und hin zu sauer, von unbekannt zu dennoch sehr vertraut.

Zurück im kilometerlangen Stau

Anschliessend besuche ich eine Familie, die in einem verwunschenen Holzhaus am Flussufer aus Tapioka, Kokosraspel und zuckersüssem Sirup kleine Leckereien in unvorstellbaren Mengen produziert. Diese werden später - in kleine Beutel abgefüllt - wohl an jeder zweiten Strassenkreuzung Bangkoks angeboten. In der stickigen Luft dieser kleinen Fabrik blubbert und dampft es überall.

Eine hämmernde mechanische Presse spukt im Sekundentakt Bällchen aus einer süssen Teigmischung aus, die anschliessend in heissem Zuckersirup gekocht werden. Ventilatoren brummen teilnahmslos in der feuchten Luft. Hinter der kleinen Fabrik dösen Hunde im Schatten. Sie sind zum Bellen zu müde und drehen sich nicht einmal nach Neulingen um.

Ein Familie produziert in einem Holzhaus am Flussufer eine Süssspeise, die später auf der Strasse verkauft wird. Bild: Tamer Karaoglu

Wie aus einer fremden Welt auftauchend kehre ich am späten Nachmittag zur Rama IV Brücke zurück. Im eisgekühlten Inneren des bereitstehenden Minivans werde ich unvermittelt in die Realität der Hauptstadt zurückkatapultiert, denn auch jetzt gibt es auf den Strassen nur eines: kilometerlangen Stau.

Die verordnete Langsamkeit dieser endlosen Blechlawine nutze ich für mich und gehe den Tag im Kopf nochmals durch. Ich gebe mich gedanklich erneut den intensiven Düften, den Farben, den vielen Unterhaltungen und den Tausenden Geräuschen der Klongs und des schwimmenden Marktes hin und geniesse faszinierendes Kopfkino.