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Vietnam – ein Boomziel mit Makel
Reto SuterNeben dem touristischen Dauerbrenner Thailand und Japan, wo die Gästezahlen seit Ende der Corona-Pandemie richtiggehend explodieren, sorgt in Fernost noch eine dritte Destination für Furore: Vietnam. Dort wächst die Nachfrage rasant, und das Land entwickelt sich zu einem echten Boomziel für Schweizer Reisende.
Stephan Roemer, Chef von Tourasia, bestätigt den Trend. «Bei uns ist die Nachfrage nach Vietnam seit Jahren solide und seit Ende der Corona-Krise stark am Steigen – mit zweistelligem Wachstum gegenüber 2019», sagt er zu Travelnews. Besonders die Rundreisen durch das Land sind gefragt. «Mit 33 verschiedenen Rundreise-Vorschlägen bieten wir sicherlich das grösste Angebot auf dem Schweizer Markt», so Roemer.
Auch bei Kuoni-Spezialist Asia365 spürt man den Boom. Geschäftsführerin Ruth Landolt erklärt: «Schon vor Corona stieg die Nachfrage nach Vietnam stark an. Nach der Pandemie haben sich die Zahlen rasant erholt, und bereits Mitte 2023 waren wir wieder auf dem Niveau von 2019.» Der Trend hält an: «Im vergangenen Jahr konnte Vietnam über 20 Prozent auf bereits sehr hohem Niveau zulegen, und auch 2024 wachsen die Buchungen zweistellig», frohlockt Landolt auf Anfrage.
Vor allem individuell gestaltete Rundreisen mit verschiedenen Schwerpunkten erfreuen sich grosser Beliebtheit. «Sehr gefragt sind Aktivreisen mit verschiedenen Transportmitteln, Genussreisen mit Fokus auf Kulinarik und luxuriöse Unterkünfte sowie Entdeckungsreisen, die Land und Leute in den Mittelpunkt stellen», sagt die Geschäftsführerin von Asia365.
Ähnlich tönt es bei Insight Reisen. «Unsere Kundinnen und Kunden interessieren sich vor allem für Kultur, Natur und authentische Begegnungen», so Asienspezialistin Danila Eiselt. Badeferien und Billigreisen seien weniger gefragt. «Dafür sind Erlebnisse wie Kanufahren im Hinterland, Vespatouren in den Grossstädten, Fischfang in den Kanälen oder Koch- und Kräuterkurse sehr beliebt», sagt sie.
Hype dürfte noch weiter zunehmen
Der Boom dürfte noch längst nicht seinen Höhepunkt erreicht haben – im Gegenteil. Gelockerte Visa-Bestimmungen könnten Vietnam noch mehr Aufwind verleihen. Ab dem 1. März 2025 benötigen Schweizerinnen und Schweizer, die mit einem Reiseveranstalter eine Rundreise gebucht haben und in einer Gruppe anreisen, kein Visum mehr für Vietnam.
Diese Regelung gilt vorerst bis Ende 2025, doch die Chancen stehen gut, dass sie verlängert oder sogar auf weitere Reisende ausgeweitet wird. Vielleicht fällt die Visumspflicht für Schweizerinnen und Schweizer bald ganz – ein echter Gamechanger für den Tourismus.
Tourasia-Chef Stephan Roemer erklärt: «Gelockerte Visa-Bestimmungen sind ein bewährtes Mittel, um den Tourismus anzukurbeln. Viele Reisende schrecken vor komplizierten Visa-Prozessen zurück – gerade in Zeiten von Digitalisierung und biometrischen Pässen will niemand mehr umständliche Anträge stellen.»
Auch Ruth Landolt von Asia365 ist grundsätzlich optimistisch, bleibt aber vorsichtig: «Selbst ein E-Visum ist eine unnötige Hürde. Wir warten gespannt auf genauere Details der neuen Regelungen», sagt sie.

Ein weiterer Turbo für Vietnam-Reisen wären Direktflüge ab der Schweiz. Die Fluggesellschaft Edelweiss hat bereits signalisiert, dass die Einflottung der Airbus A350 neue Strecken möglich macht – darunter auch Ho-Chi-Minh-Stadt. Diese Destination war bereits im Flugplan von Edelweiss, wurde jedoch gestrichen. Dank der besseren Wirtschaftlichkeit der A350 könnte sie nun ein Comeback erleben.
Ruth Landolt von Asia365 sagt dazu: «Ein Direktflug gibt jeder Destination einen gewaltigen Schub – das liegt in der Natur der Sache. Wir sind gespannt, ob Ho-Chi-Minh-Stadt wieder angeflogen wird.»
Auch Stephan Roemer ist überzeugt: «Jeder Direktflug in ein Land treibt die Einreisezahlen sofort nach oben.» Während Ho-Chi-Minh-Stadt als Handelszentrum eine wichtige Rolle spiele, sei es jedoch Hanoi, das touristisch am meisten Potenzial biete.
Unschöne Kehrseite der Medaille
«Das touristische Potential von Vietnam ist bei Weitem nicht ausgeschöpft», sagt Ruth Landolt von Asia365 klipp und klar – und schickt gleich ein grosses Aber hinterher: «So beeindruckend die Zuwachszahlen sind, so besorgniserregend ist die Entwicklung.» Nachhaltiger Tourismus bleibe vielerorts ein leeres Versprechen, so die Asienspezialistin.
Vietnam investiere in den Ausbau der Infrastruktur mit einer Geschwindigkeit, die selbst erfahrene Branchenkenner staunen lasse – allerdings nicht immer im positiven Sinne. «Natürlich ist eine gute Infrastruktur ein Pluspunkt», erklärt Landolt. «Aber wenn sie groteske Züge annimmt, kann das Interesse schnell nachlassen.» Ein unrühmliches Beispiel seien Themenhotels nach Las-Vegas-Vorbild – inklusive venezianischer Gondeln und architektonischer Kopien kultureller Wahrzeichen anderer Länder.
Diese Schilderungen machen deutlich: Der Grat zwischen wirtschaftlichem Erfolg und nachhaltigem Tourismus ist schmal. Wenn das Land den Spagat zwischen Wachstum und Umweltbewusstsein schafft, könnte es sich als eines der spannendsten Reiseziele der Zukunft etablieren.
Gelingt das nicht, droht die Gefahr, dass Vietnam an seinem eigenen Erfolg erstickt. Noch bleibt Zeit, um die richtigen Weichen zu stellen – bevor der Boom zum Bumerang wird.