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Heftige Party in «De Après Skihut» mitten in Rotterdam. Alle Bilder: NH

In Rotterdam im Après-Ski

Noemi Harnickell

In den Niederlanden wird Après-Ski-Kultur gefeiert? In der Tat – und das ziemlich ausufernd, mitten in der Stadt. Wir waren mit dabei.

Wer nicht auf den Tischen tanzt, fällt auf. Zwei Frauen in kurzen Shorts und engen Trägertops stehen auf dem Tresen und machen die Tanzbewegungen zum Après-Ski-Evergreen «Cowboys und Indianer» vor. Etwa hundertfünfzig Leute schwingen synchron ihr Handgelenk über dem Kopf, als würden sie ein Lasso schwingen. Eine Gruppe junger Männer tanzt auf den Holztischen. Vor der Bar stehen zwei Frauen mit Krönchen, ihre Freundinnen tragen Banner mit der Aufschrift «Team Bride». Sie alle halten unsichtbare Zügel in der Hand und galoppieren im Takt auf der Stelle.

Es ist Samstagabend, halb elf Uhr. Dieselbe Szene erlebt man im Après-Ski regelmässig: Nach einem langen Tag auf der Piste wird auf den schönen Schnee angestossen, Alt und Jung kommt bei Schlagermusik mit Elektrobeat zusammen, man trinkt, man tanzt – je ausgelassener desto besser.

In Wahrheit war keiner der feiernden Gäste an diesem Tag auf irgendeiner schneebedeckten Piste unterwegs. Der August ist gerade erst vorbei, draussen sitzen die Leute bei 23 Grad im T-Shirt. Und auch die Musik ist anders. Anstelle von «Wir reiten um die Wette, ohne Rast und ohne Ziel» lautet der Refrain auf einmal: «We rijden over prairies, steeds op zoek naar avontuur!»

Sieben Tage in der Woche wird hier im Stadtzentrum von Rotterdam gefeiert – auch im Sommer.

Wir befinden uns mitten im Stadtzentrum von Rotterdam. In der Bar «De Après Skihut» am Stadhuisplein 29 ist dem Après-Ski kein Ende gesetzt. Sieben Tage die Woche wird hier auf den Tischen getanzt. Auf der Speisekarte stehen österreichische Spezialitäten und deutsche Schlager dröhnen in niederländischer Übersetzung aus den Boxen!

Aber wie kommt es, dass ausgerechnet Rotterdam, eine Stadt, deren nächste Skipiste gute dreihundert Kilometer entfernt liegt, zur Hochburg des Après-Ski wurde?

Skier, die Funken sprühen

Die «Après Skihut» ist einem klischeehaften Chalet-Stil nachempfunden. Holztische, Skier an der Wand, die Tür zu den Toiletten ziert ein gespraytes Porträt des treuen Bernhardiners Barry, der DJ und sein Mischpult stehen in einer alten Gondel. Im unteren Teil der Bar blickt Heidi Klum im Dirndl durch ein Fenster an der Wand.

So stellen sich die Niederländer das Alpenfeeling vor.

Die «Après Skihut» wurde 1997 von dem Gastrounternehmer Chiel Jongejan gegründet. Die Idee dazu kam ihm in einem Skiurlaub im österreichischen Westendorf. Jongejan, damals 21 Jahre alt, hatte in seiner Jugend stark unter seinem ADHS gelitten. Im Après-Ski fand er eine Zuflucht: «Ich sah Menschen an langen Tischen miteinander feiern und tanzen», erzählt er. «Niemand wurde schräg angeschaut, weil er anders war. Alle waren gleich!»

Etwas Glück und ein Darlehen seiner Eltern erlaubten Jongejan elf Jahre später, ein heruntergekommenes Lokal am Stadhuisplein zu kaufen. In den ersten Tagen nach der Eröffnung am 31. Januar 1997 lockte Jongejan auf Skiern Passanten in die Bar. «Die Leute dachten, ich hätte den Verstand verloren», erinnert er sich. «Und sie hatten ja nicht einmal Unrecht.» Durch die Reibung auf den Strassenkacheln sprühten Funken von seinen Skiern – und die sprangen offenbar auch sinnbildlich auf die Leute über.

«Ademloos door de nacht!»

Eine halbe Stunde vor Mitternacht. Ein Kellner, erkennbar an seinem gelben T-Shirt, steigt auf den Tresen, Mikrofon in der Hand. Jetzt ist Live-Musik angesagt. Die Melodien, die er ins Mikrophon grölt, erscheinen mir altbekannt, auch wenn die Texte alle auf Holländisch sind. Aber genau das ist der Reiz dieser Musik: Man muss ein Lied nicht kennen, um mitsingen zu können.

Die «Après Skihut» ist einem klischeehaften Chalet-Stil nachempfunden, die Party ist echt.

«Maak een polonaise!», ruft der Kellner-Sänger in die tanzende Meute. Plötzlich spüre ich zwei Hände auf meiner Schulter, der nackte Rücken einer mir fremden Frau drückt sich von vorne gegen mich und schon werde ich mitgerissen.

«Lalalalala-Laaaaa-Lala!»

Der Liedtext verliert an Bedeutung, die Musik ist nur noch ein Beben, das uns alle erfasst. Die Sorgen und der Stress des Tages spielen plötzlich keine Rolle mehr. Niemand macht nicht mit, alle klammern sich an jemandes Schultern. Nur ja nicht loslassen!  Ein Lachen kullert durch die Frau vor mir, mehr Gefühl als Geräusch, während wir uns zwischen Tischen und Holzbänken durch die Bar schlängeln.

«Lala-Laaa-Lalala-Laaa-Lalala-Laaa!»

Die Hände lösen sich wieder von meinen Schultern. Ich hole tief Luft. Ich bin im wahrsten Sinne des Wortes «atemlos» – oder sollte ich besser sagen: Ich fühle mich «ademloos door de nacht»!

Es scheint mir, als hätten die Holländerinnen und Holländer das Beste am Skifahren entdeckt: Die Geselligkeit danach – und diesen Teil in ihre Kultur integriert!

Die Skihut, bevor der Rummel losgeht.

Ein Safe Space

Die Holländer lieben nicht nur das Après-Ski, sondern auch den Schneesport. Die österreichische Gemeinde Gerlos im Zillertal verzeichnet im Winter einen 50-prozentigen Anteil niederländischer Gäste und führt zum Saisonende sogar regelmässig eine «Hollandse Week», eine Holländerwoche, durch.

Das Volk aus dem Flachland ist nicht nur für seine Feiern berüchtigt, sondern gilt auch auf der Piste als ziemlich wild. Davon ist in der «Après Skihut» nichts zu spüren. Die Gäste sind wild gemischt in Alter, Geschlecht und sexueller Orientierung. Nirgends landet eine Hand ungefragt auf einem Hintern. Die beiden Frauen auf dem Tresen bekommen keine unangemessenen Sprüche zu hören. Es ist ein Safe Space, wie Après-Ski ihn sonst selten bietet.

Nach dem Après-Ski ist vor dem Après-Ski

Als ich «De Après Skihut» irgendwann in den frühen Morgenstunden verlasse, hat sich vor dem Eingang eine lange Schlange gebildet. Draussen sitzen Leute an runden Tischen, zwischen denen kleine Feuer lodern.

Ich kehre am nächsten Vormittag um zehn zurück, halb in der Erwartung, eine komplett andere Bar vorzufinden. Wo bis um fünf in der Früh gefeiert wurde, kann sicherlich ein paar Stunden später nicht schon wieder Partystimmung herrschen? Aber da unterschätze ich die Holländer. Aus den Boxen dröhnt schon wieder irgendein Schlager, diesmal einer, den ich nicht kenne. Ein Kellner in gelbem T-Shirt nimmt meine Bestellung auf («Apfelstrudel met Vanillesaus & Slagroom»). Beim Refrain des Liedes singt er laut mit und tänzelt im Takt hinter dem Tresen.

Natürlich ist nichts an der «Après Skihut» authentisch schweizerisch oder österreichisch. Aber gerade das macht sie zum authentischen Après-Ski-Erlebnis: Musik, ausgelassene Stimmung, Alkohol, Bilder von Heidi Klum im Dirndl, schlechter Apfelstrudel. Après-Ski zeichnet sich dadurch aus, dass es immer gleich ist. Man erkennt es wieder, man weiss sofort, wo man ist und wie es geht, man ist sofort dabei. «Kom pak je lasso maar!»