Here & There
Als die Flugbegleiterin noch Stewardess hiess
Marilin LeuthardEs ist ein sonnig, warmer Nachmittag im Säuliamt. Vom städtischen Trubel zog es Madeleine Unterfinger vor einigen Jahren in die ländliche Idylle. «Heute möchte ich nichts mehr anderes, ich geniesse die Ruhe.» Sie serviert Kaffee und Kuchen auf ihrer Terrasse, die an einen kleinen Garten grenzt und erzählt von der Zeit, als sie Flugbegleiterin bei der Swissair war.
Obwohl es bereits sechzig Jahre her ist, erinnert sie sich, als wäre es gestern gewesen. Gemeinsam schauen wir uns den Travelnews-Filmbeitrag (Link) zum Mallorca-Flug mit der Cabin Crew der Edelweiss an. «Als wir damals Mallorca anflogen, war die Ankunftshalle auf der Insel eine Blechhütte», sagt sie.
Auch das Briefing sei damals noch anders abgelaufen. «Es war bloss die Kabinencrew dabei, das Cockpit nicht. Wir erhielten einen Zettel mit den Informationen, ob jemand Spezielles an Bord ist und ob jemand besonders betreut werden muss – das war alles.»
Dabei erinnert sich Madeleine an einen besonderen Flug. Von Zürich nach Rom, mit Zwischenhalt in Genf, hiess es, dass der damalige Swissair-Verwaltungsrat Ernst Schmidheiny bis nach Genf an Bord sei und man ihn gut betreuen solle. «Als er in die 1. Klasse kam, sagte er zu mir 'Fräulein, fragen sie mich nicht. Mir geht es gut, wenn ich einen Wunsch habe, sage ich Ihnen das'», schildert die 86-Jährige und schmunzelt. Die Passagiere hat sie in guter Erinnerung. «Es waren immer anständige, vornehme Leute – und stets respektvoll.»
Dass ein kurzer Flug wie nach Mallorca für die Kabinencrew der Edelweiss stressig ist, kann sie gut nachvollziehen. «Wir flogen damals mit rund 44 Passagieren in einer Convair Metropolitan nach Stuttgart, und es gab Hot Meal (dt. heisses Essen). Auf einem Flug von knapp 45 Minuten.» Serviert wurde das Menu mit Porzellangeschirr, Silberbesteck und Kristallgläsern.»
Fliegerei in die Wiege gelegt bekommen
Madeleine Unterfinger wuchs in Dübendorf auf. Ihr Vater arbeitete am dortigen Flughafen und gehörte zu den Erfindern der Air Traffic Control. «Mein Vater fuhr jeweils mit dem Velo auf den Flugplatz zur Peilstation. Damals wurde gerade mal München, Stuttgart, London, Frankfurt und Berlin angesteuert. Man flog mit einer Douglas DC-2-Maschine auf Sicht, auf rund 800 Metern Höhe und orientierte sich an Strassen, Wäldern, Städten und Bächen.»
Als Madeleine mit 23 Jahren Flugbegleiterin bei der Swissair wurde, waren die Destinationen bereits ganz andere. «Wir sind bis nach Japan, Thailand, Karatschi, Kairo, Teheran, Accra, Dakar,...» Im Nu hat sie alle Destinationen aufgezählt. Accra, die Hauptstadt Ghanas, war der Fuel Stop nach Rio de Janeiro. Wenn wir dort gelandet sind, gab es jeweils einen Crew Change. Wir hatten dann einen Zwischenstopp und flogen mit dem nächsten Flieger weiter nach Rio. Auf dem Weg nach New York mussten wir jeweils einen Fuel Stop in Neufundland einlegen und sind dann direkt weitergeflogen. Von New York ging es meist noch nach Chicago.»
Madeleine bevorzugte die Langstrecke. Besonders gerne war sie in New York. «Wir hatten dort meist drei bis vier Tage Layover im Commodore Hotel in der 42. Strasse. Wir gingen gerne ins Hafenviertel, um einzukaufen. Dort gab es bereits Dinge, die in Europa noch nicht erhältlich waren, wie beispielsweise schöne farbige Frottee- oder Bettwäsche.»
Auch Beirut war ein Highlight. «Dort hatten wir ein Layover von einer ganzen Woche und schliefen im Hotel St. George. Die Stadt war bekannt als die Schweiz des Nahen Ostens, und es gab einen Quai, mit einem leckeren Restaurant nach dem anderen. Es war alles beleuchtet und sah wirklich aus wie an der Côte d’Azur. Während diesem Layover flogen wir dann einmal nach Teheran. Dort rannten noch wilde Hunde auf der Piste herum.»
Als Mädchen in die Welt raus
Als Flugbegleiterin bei der Swissair aufgenommen zu werden, war nicht ganz einfach. «Man hat mir gesagt, dass von etwa 100 Bewerberinnen 92 ausgeschieden sind. Acht haben sie behalten. Wichtig waren vor allem die Sprachen und die Flugtauglichkeit.»
Die Ausbildung zur Flugbegleiterin begann sie im Frühling 1962 und schloss sie drei Monate später, im Juli 1962, ab. Diese drei Monate verbrachte sie im Swissair-Schulgebäude. «Das stand damals noch auf einer grünen Wiese.» Dort wurden alle Abläufe trainiert. «Wir gingen auch ins Hallenbad, um zu lernen, wie man ins Gummiboot steigt», erinnert sich Madeleine. Bei der damaligen Convair und der DC-8-Maschine gab es noch keine Notrutsche wie bei den heutigen Maschinen. Auf die Frage, was sie denn im Notfall getan hätten, sagt sie: «Keine Ahnung! Die Schwimmwesten angezogen, ins Wasser gesprungen und dort auf Hilfe gewartet.»
Während ihrer Zeit als Flugbegleiterin wohnte sie bei den Eltern in Dübendorf. «Wir verdienten chronisch zu wenig», sagt sie und lacht. «Ich glaube, es waren um die 800 Franken. Aber wir machten den Job auch nicht wegen des Geldes, sondern weil wir damit in die Welt hinauskamen. Wie wäre das denn sonst möglich gewesen damals, als Mädchen sowieso.» An den Flughafen fuhr sie jeweils mit ihrem Goggomobil, einem Kleinstwagen der Hans Glas GmbH.
Zu dieser Zeit war der Job als Chef de Cabine im Vormarsch. Die Swissair suchte nach Stewardessen, wie sie damals noch genannt wurden, die bereit waren, diese Aufgaben zu übernehmen und boten dafür 500 Franken mehr Lohn. Das kam für viele aber nicht in Frage. «Man hätte zu viel schreiben und jedes Mal einen Rapport ablegen müssen», so Madeleine.
Ein federleichtes Leben
Die Swissair war sehr pingelig mit der Kleidung. «Wir hatten Hüte, die wir immer tragen mussten, wenn wir am Boden waren. Es hiess immer 'wheels on ground, hats on, wheels off ground, hats off'. Zudem gehörten Handschuhe zur Uniform, die blütenweiss sein mussten. In der Kabine waren Ballerinas erlaubt, am Boden hatten wir hohe Schuhe, die wir anziehen mussten.»
Ihre Zeit bei der Swissair hat Madeleine in ihrem Bordbuch festgehalten. Neben Fotos finden sich auch zahlreiche Einträge von Passagieren und Mitarbeitern:
1965 hat Madeleine geheiratet und musste den Beruf als Flugbegleiterin aufgeben. «Man durfte nicht verheiratet und gleichzeitig Flugbegleiterin sein; die Swissair hat nur ledige Frauen akzeptiert.» Weitergemacht hätte sie durchaus. Wobei das Privatleben schon sehr gelitten habe. Freundschaften zu pflegen, sei nicht einfach gewesen. Wie es heute noch üblich ist, bekam Madeleine damals ihren Monatsplan um den 20. des Vormonats. «Pro Monat durften wir maximal 75 Flugstunden machen. Die Zeit zählte vom Start bis zur Landung. Der ganze Rest wurde nicht angerechnet.»
Als sie dann aufgehört hatte, vermisste sie es schon. «Es war ein federleichtes Leben. Am Morgen bist du an den Flughafen, nachdem du gehört hast, dass in Mailand schönes Wetter ist, und hast dir als Swissair-Mitarbeiterin am Schalter ein Zehn-Prozent-Ticket nach Mailand gekauft. Von diesen konnte ich im Jahr so viele beziehen, wie ich wollte.» Einmal im Jahr hatte sie sogar ein Drei-Prozent-Ticket zur Verfügung. Diese drei Prozent waren bloss die Versicherung, die jeder zahlen musste. Der Rest war alles gratis.
Ein Passagier in bester Erinnerung
Ein spezieller Passagier bleibt ihr bis heute in bester Erinnerung. Am 4. September 1963 war Willy Millowitsch (deutscher Schauspieler, Regisseur, Sänger und Leiter des Kölner Millowitsch-Theaters) von Köln nach Zürich bei Madeleine an Bord. Es war sein erster Flug überhaupt. Trotz Madeleines Warnung, dass es im hinteren Teil des Flugzeugs stärker schwanke als vorne, wollte er hinter der Bordküche am Ende der Maschine sitzen.
«Er fragte mich, wo ich denn sitzen würde, und ich bot ihm an, mich beim Start neben ihn zu setzen. Als wir auf der Piste rollten, sagte er mir, dass er furchtbar Angst habe und fragte, ob er meine Hand während des Starts halten dürfe», erinnert sich Madeleine und lacht. «Er erzählte mir dann die ganze Geschichte, wieso er nach Zürich fliegt. Rudolf Bernhard vom Bernhard Theater in Zürich hatte ihn gebeten, sofort herzukommen und zahlte ihm dann auch das Flugbillett. Willy lehnte aber zuerst ab, da die Angst zu gross war.» Nach der Landung in Zürich meinte er dann aber zu Madeleine: «Das war wunderschön» und schrieb folgendes in ihr Bordbuch: