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Das schätzen chinesische Touristen an der Schweiz
Urs Wälterlin, Shanghai«Heisses Wasser, wir Chinesen trinken gerne heisses Wasser». Für Lydia Li, Projektdirektorin von ITB China, ist klar, wie sich Dienstleistungsträger in Ländern wie der Schweiz die Herzen chinesischer Besucherinnen und Besucher erobern können: mit einem Wasserkocher. Chinesischen Gästen im Hotel heisses Wasser anzubieten, bedeute für einen Anbieter einen kleinen Aufwand. «Aber er macht einen grossen Unterschied im Erlebnisempfinden des chinesischen Touristen», so Li.
Warmes Wasser statt eiskaltes Bier – kulturelle Unterschiede zwischen China und westlichen Ländern wurden an der ITB China, die jüngst in Shanghai stattfand, immer wieder diskutiert. Mehr als 15'000 Besucher, über 1000 ausgewählte Einkäufer und rund 250 Medienvertreter nahmen an der Veranstaltung teil, was die hohe Nachfrage und das gestiegene Interesse am chinesischen Reisemarkt unterstreiche, so Lydia Li gegenüber Travelnews. Die Messe ermöglichte über 27'500 Geschäftstreffen zwischen mehr als 600 Anbietern und Unternehmen aus über 80 Ländern und Regionen. Damit war die gesamte Wertschöpfungskette der In- und Outbound-Tourismusbranche vertreten: Reiseveranstalter, Geschäftsreisen/MICE, Luxusreisen, Unterkünfte, nationale und regionale Organisationen zur Förderung des Tourismus, Transport, lokale Aktivitäten und Attraktionen, Reisetechnologie.
Outbound-Tourismus steigt rasant
China hat sich in den letzten zehn Jahren zu einer der treibenden Kräfte in der globalen Outbound-Tourismusbranche entwickelt. Im Jahr 2019 erreichte die Zahl der Ausreisetouristen aus China fast 155 Millionen, fast dreimal so viele wie 2010. Aufgrund der Coronavirus-Pandemie ging die Zahl der Touristen aus China im Jahr 2020 auf etwa 20,3 Millionen zurück. Es wurde geschätzt, dass im Jahr 2023 mehr als 87 Millionen chinesische Reisende ins Ausland reisen würden, nachdem einige Grenzbeschränkungen aufgehoben worden waren. Die Einnahmen der chinesischen Tourismusindustrie machten fast acht Prozent des BIP aus.
In Shanghai wurde klar: der Trend zeigt auch 2024 deutlich nach oben. Dabei wird China als Quellmarkt gerade für die Tourismusindustrie in europäischen Ländern zunehmend interessanter. Denn in einem Land, in dem der Mittelstand wächst, haben immer mehr Menschen sowohl die finanziellen Mittel als auch den Wunsch, ins Ausland reisen zu können – auch in die im Vergleich besonders teure Schweiz. Jüngste Zahlen von «Trip.com» zeigen ein unter chinesischen Konsumenten kontinuierlich steigendes Interesse an Fernreisen.
Die Schweiz gehört zu den beliebtesten Fernreisezielen chinesischer Touristen in Europa. Laut Grace Gao von Switzerland Tourism in Shanghai reisen Chinesinnen und Chinesen in erster Linie wegen der Natur in die Schweiz. «Sie wollen die Berge sehen», so die Managerin. Gao glaubt zwar auch, dass Reisende aus China einige spezielle Ansprüche und Anforderungen an Dienstleistungsanbieter in der Schweiz haben. Switzerland Tourism habe deshalb für Anbieter ein Marketingpaket entwickelt, in dem Dienstleistungsträgern die spezifischen Bedürfnisse und Besonderheiten chinesischer Kunden erklärt würden. «Es wäre allerdings falsch zu meinen, man müsse sein Angebot fundamental ändern». Denn die wichtigste Attraktion für Chinesen in der Schweiz sei «Authentizität».
Der Operative Leiter der chinesischen Buchungsmaschine, Xiong Xing, rechnete vor, die Online-Nachfrage nach Informationen über Auslandreisen habe im Vergleich zu 2019 um 63 Prozent zugelegt. Diese Entwicklung habe die Erholung der Branche nach der Covid-Krise beschleunigt. Der grenzüberschreitende Markt zeige zudem neue Trends, so Xiong Xing. Zwar seien Chinesen, die in den achtziger und neunziger Jahren geboren wurden, für 53 Prozent der Auslandsreisenden verantwortlich. Die nach 2'000 geborenen seien aber die am schnellsten wachsende Gruppe. Was Reisegruppen betrifft, so seien Eltern-Kind-Familienreisen die absolute Hauptkraft bei den Sommer-Auslandsreisen. Darüber hinaus hat der kontinuierliche Zuwachs von Senioren dem Ausland-Reisemarkt neuen Schwung verliehen.
Chinas Image muss verbessert werden
ITB China-Chefin Lydia Li meint, der chinesische Outbound-Markt entwickle sich in zwei grundsätzlich verschiedene Richtungen. «Jung und alt – diese beiden Sektoren haben sehr unterschiedliche Bedürfnisse». In den letzten Jahren sei auch ein Trend zum FIT spürbar – und zwar nicht nur unter jungen Chinesinnen und Chinesen. Li selbst war der Zeit voraus, als sie vor zehn Jahren unabhängig Europa bereiste. Auf die Frage, wie sie als Chinesin willkommen geheissen worden sei, antwortet die Managerin diplomatisch: «Viele Leute meinten, ich sei Japanerin».
Der kulturelle Unterschied zwischen China und dem Westen äussert sich in Zielländern leider noch allzu oft mit Unverständnis und gelegentlich sogar Ablehnung. Die Notwendigkeit der Verbesserung des Ansehens des Reichs der Mitte in vielen Quelländern wurde in Shanghai von verschiedenen Sprechern betont. Denn das Wachstum des Inbound-Tourismus' ist davon abhängig, wie das Land der Mitte im Ausland von potenziellen Reisenden gesehen wird. Die chinesische Regierung und die Tourismusbehörden scheinen sich der Bedeutung eines besseren «Image» noch nicht immer bewusst zu sein, so der Eindruck einiger Teilnehmer. Zudem fehle es unter Reiseexperten in Europa an Fachwissen über Destinationen und Angebote in China.
Oliver Graue, Korrespondent der deutschen Fachzeitschrift FVW, meinte in einem Forum, Europäer seien zwar generell sehr interessiert an chinesischer Kultur – ein Markt wäre also vorhanden. Gleichzeitig sei aber unter europäischen Reiseveranstaltern der Wissenstand über die verschiedenen touristischen Produkte und Angebote in China begrenzt. Er riet der chinesischen Tourismusindustrie, vermehrt Reiseanbieter aus dem Ausland zu Familiarisierungsreisen einzuladen. Sie sollten die Möglichkeit haben, das Land besser kennenzulernen. «Die Destinationen müssen in den Köpfen der Reisebüromitarbeiter sein», so Graue.
Mehr ausländische Besucher seit Visalockerung
Einen deutlichen Auftrieb gegeben hat dem Inbound-Markt die jüngste einseitige Visumbefreiung für Inhaber gewöhnlicher Reisepässe aus zwölf Staaten, darunter auch der Schweiz. Bürger aus diesen Ländern, die zu Geschäfts-, Tourismus-, Familienbesuchs- und Transitzwecken für nicht mehr als 15 Tage nach China kommen, können bis 30. November 2024 einreisen, ohne zuvor wochenlang auf den Kleber im Pass warten zu müssen. Der Tourismusökonom Aaron Goldring meinte in Shanghai, der Entscheid Pekings zur temporären Visabefreiung habe zu einem Anstieg der Ankünfte ausländischer Besucher um 25 Prozent geführt.
Theresa Wen vom chinesischen Visabüro VFS Global äusserte im Gespräch mit Travelnews.ch die Hoffnung, die Visabefreiung für Reisende aus Ländern wie der Schweiz könne nach Ablauf der Testphase dauerhaft werden. «Die Regierung ist sehr bestrebt, mehr Touristen ins Land zu bringen», so die Expertin. Auch Norbert Fiebig, Präsident des Deutschen Reiseverbandes, hofft auf eine Dauerlösung. Denn Reisebüros bräuchten Planungssicherheit. «Wir planen langfristig. Manchmal Monate oder Jahre voraus».
Bleibt die Frage: weshalb trinken Chinesinnen und Chinesen gerne heisses Wasser ? Der Reiseanbieter Wild Great Wall Adventures in Peking erklärt die Gründe: «Die traditionelle chinesische Medizin lehrt, dass heisses Wasser dem Körper in vielerlei Hinsicht hilft. Es kann die Verdauung fördern, den Blutkreislauf verbessern und sogar helfen, Giftstoffe loszuwerden. Stellen Sie sich Ihren Körper wie einen Garten vor. Heisses Wasser ist wie die Sonne, die alles wachsen und gedeihen lässt.»