Here & There
Was ist eigentlich mit dem Reiseland Brasilien los?
Reto SuterDer Run auf Reisen nach Costa Rica ist mittlerweile so gross, dass das Angebot nicht mehr überall mit der Nachfrage Schritt halten kann. Die Folge: Wer in der Hochsaison seine bevorzugte Unterkunft auf sicher haben will, muss früh buchen – und mit gesalzenen Preisen rechnen (Travelnews berichtete).
Als Alternative für Schweizer Reisende, die Costa Rica schon gesehen haben oder lieber in Südamerika unterwegs sein wollen, ist derzeit Kolumbien in aller Munde. Das hat in erster Linie mit dem Ferienflieger Edelweiss zu tun, der Ende November 2023 Bogotá und Cartagena in sein Streckennetz aufgenommen hat.
Lateinamerika-Spezialisten preisen auch Panama, Argentinien, Mexiko und Chile fleissig an. Gleichzeitig geht Brasilien da und dort vergessen. So entsteht der Eindruck, dass das grösste Land Südamerikas für Schweizer Reisende maximal die fünfte oder sechste Adresse ist.
Sehr unterschiedliche Erfahrungen bei Anbietern
Thomas Pesut, Südamerika-Spezialist bei Travel Worldwide, bestätigt die Wahrnehmung, wonach Brasilien nicht zu den populärsten Reisezielen Lateinamerikas gehört. Derzeit rangiere es eher «unter ferner liefen», sagt er zu Travelnews. «Am meisten Anfragen hatten wir 2023 für Chile, Argentinien und Ecuador. Dann folgten Peru und – etwa gleich auf – Brasilien und Kolumbien», so Pesut.
Bei der Hotelplan-Spezialistenmarke Travelhouse werden andere Reiseziele in Lateinamerika zwar ebenfalls häufiger gebucht als Brasilien. Der Trend sei aber positiv, erklärt Gloria Talavera, Lead Product Manager Latin America. «Die Nachfrage nach Brasilien-Reisen ist in den vergangenen Jahren definitiv gestiegen.»
Anders präsentiert sich die Situation bei Brasa Reisen. Wobei sich das Unternehmen schon vor einem Vierteljahrhundert einen Namen als Brasilien-Spezialist gemacht hat. Geschäftsführer Reto Kindlimann sagt: «Die Nachfrage nach Brasilien-Reisen ist seit Jahren hoch.» Kleinere Einbrüche habe es nur bei Negativschlagzeilen wie dem Zika-Virus, dem Dengue-Fieber, ölverschmutzten Stränden oder der umstrittenen Politik des früheren Präsidenten Jair Bolsonaro gegeben.
Auch bei Brasa Reisen gilt aber: Andere Destinationen könnten Brasilien bald den Rang ablaufen. «Für Argentinien, Chile und Peru haben wir inzwischen eine ähnlich hohe Nachfrage», erzählt Kindlimann. Diese Länder seien allerdings nicht mit dem tropischen Brasilien vergleichbar.
Hohe Preise, fehlende Flüge, schlechtes Image
Was sind die Gründe, dass Brasilien gegen andere Reiseziele in Lateinamerika einen schweren Stand hat? Michael Bonin, CEO von Brazil Insider in Rio de Janeiro, macht unter anderem die Corona-Bestimmungen dafür verantwortlich. «Brasilien war wegen der Restriktionen für fast zweieinhalb Jahre nur eingeschränkt bereisbar», erklärt er.
Länder wie Mexiko, Costa Rica oder auch Tansania hätten eine andere Politik verfolgt. «Sie haben während und auch nach der Pandemie von den lockereren Bestimmungen profitiert», so Bonin. Brasilien habe eine gewisse Anlaufzeit gebraucht. Seit rund einem Jahr laufe es aber wieder sehr gut. Überhaupt will er nichts davon wissen, dass Brasilien vom Radar verschwunden sei. «Das Land ist seit eh und je eine klassische Reisedestination und wird weiterhin von vielen Agenten verkauft.»
Bonin bedauert, dass Brasilien nicht verstärkt in den europäischen Markt investiert. «Die meisten Marketing-Gelder werden für den inländischen Markt und die Nachbarländer aufgewendet, erklärt er. Diese Inland- und Südamerika-Touristen machen laut Bonin an die 95 Prozent des Tourismus-Volumens aus. «Das dürfte der Grund sein, dass man keine grosse Notwendigkeit sieht, in Europa zu investieren.»
Laut den Lateinamerika-Kennern werden Schweizer Reisende auch von den teilweise hohen Preisen abgeschreckt. «Brasilien ist definitiv nicht die günstigste Reise-Destination», sagt Gloria Talavera von Travelhouse. «Nicht zuletzt, weil oftmals Inland-Flüge nötig sind, um das Land zu erkunden.» Reto Kindlimann, Geschäftsführer von Brasa Reisen, ergänzt: «In gewissen Städten und Regionen, die besonders populär sind, hat das Preisniveau in Restaurants und Hotels Schweizer Verhältnisse erreicht.»
Gemäss Thomas Pesut von Travel Worldwide leidet Brasilien teilweise auch unter einem schlechten Ruf. «Das Land hat immer noch ein bisschen ein Schmuddel-Image», sagt er. Zudem höre man regelmässig von Kriminalität mit Bandenkämpfen in den Favelas, Diebstählen und Raub.
Ein weiteres Hindernis könne die Sprache sein. «Selbst in Luxushotels spricht das Personal kaum Englisch, sondern fast ausschliesslich Portugiesisch», berichtet Pesut. Auch Reto Kindlimann vermutet, dass die Amtssprache Portugiesisch Reisende davon abhalten könnte, in Brasilien Ferien zu machen. «Schweizerinnen und Schweizer sprechen eher etwas Spanisch als Portugiesisch», so der Geschäftsführer von Brasa Reisen.
In einem Punkt sind sich alle vier angefragten Lateinamerika-Spezialisten einig: Es mangelt an Nonstop-Flügen ab der Schweiz. «Die Swiss fliegt direkt nach São Paulo, das jedoch eher ein wirtschaftliches Zentrum und aus touristischer Sicht uninteressanter ist als andere Regionen», sagt Gloria Talavera von Travelhouse. «Ein Direktflug ab Zürich nach Rio de Janeiro mit Rückflug ab Salvador würde die Nachfrage bestimmt ankurbeln.»
Was für eine Brasilien-Reise spricht
Trotz der negativen Aspekte steht für die Lateinamerika-Spezialisten fest: Brasilien ist auf jeden Fall eine Reise wert. Gloria Talavera von Travelhouse schwärmt: «Das Land hat mit seinen verschiedenen Klimazonen und Ökosystemen wirklich alles zu bieten: pulsierende Städte, wilde Natur, wunderschöne Strände, Berge und Wüsten. Brasilien ist einfach nur faszinierend und vielfältig.»
Thomas Pesut von Travel Worldwide lobt unter anderem die lebensfrohen und unkomplizierten Menschen. Man könne gut ins «Local Life» eintauchen, weil man fast auschliesslich Brasilianerinnen und Brasilianer treffe. «Menschen aus anderen Ländern gehen weitgehend unter. So, wie es häufig auch in Indien der Fall ist», erzählt Pesut.
Michael Bonin, CEO von Brazil Insider, streicht noch weitere Vorzüge heraus. «Was weitgehend unbekannt ist: In Brasilien lassen sich nicht nur exzellente Fleischgerichte geniessen. Gäste werden von der abwechslungsreichen Gastronomie überrascht sein», sagt er. Man erlebe interessante kulinarische Einflüsse aus der ganzen Welt infolge der traditionellen Einwanderungsströme aus Europa, Asien, Afrika und dem Mittleren Osten.
Laut Reto Kindlimann von Brasa Reisen ist es entscheidend, auf einem Brasilien-Trip nicht zu viel zu wollen. «Die meisten Brasilien-Reisenden versuchen, sämtliche Highlights abzuklappern, wie Rio de Janeiro, die Iguazú-Wasserfälle, den Amazonas oder das Pantanal sowie die Küste im Nordosten. In der persönlichen Beratung können wir die Kundinnen und Kunden häufig davon überzeugen, dass weniger meist mehr ist.» Sinnvoll sei, maximal drei Regionen zu besuchen.