Here & There

1838 Aussteller, 1300 Einkäufer und 100 Redner trafen sich letzte Woche an der ITB Asia in Singapur. Bild: ITB-Asia

«In Asien steckt am meisten Musik»

Urs Wälterlin, Singapur

Die asiatische Tourismusindustrie ist nach der Covid-Pandemie auf dem Weg zurück zu alter Grösse. Und das nicht nur wegen des sich öffnenden China. Doch ein paar Hürden gibt es noch, wie an der ITB Asia gesagt wurde, die vergangene Woche in Singapur stattfand.

David Ruetz sagt es deutlich: «Nordamerika mit dem starken Dollar ist zurzeit zwar stark am Kommen, aber in Asien steckt halt einfach am meisten Musik». Dieses Fazit des Senior Vice President der Messe Berlin reflektiert den Optimismus, den viele Aussteller und Einkäufer an der ITB Asia in Singapur vom 25. bis 27. Oktober 2023 zeigten.

Die Messezahlen beweisen es: 1838 internationale Aussteller – ein Zuwachs bei den Neuausstellern von 35 Prozent – ein Anstieg um 38 Prozent bei MICE und mehr als 200 Prozent Wachstum bei der Reisetechnologie. Zudem waren über 1300 Einkäufer und mehr als hundert Konferenzredner nach Singapur gekommen. Über 80 nationale Tourismusorganisationen (NTOs) und regionale Tourismusorganisationen (RTOs) waren vertreten – unterschiedlichster Herkunft: die Busan Tourism Organization etwa, die Japan National Tourism Organisation, das Korea Tourism Startup Center, Penang Global Tourism, die Sentosa Development Corporation, das Tourism Promotions Board Philippines, und Visit Finland. Selbst der Samichlaus hatte einen Stand: Rovaniemi in Lappland.

Am Stand von Visit Finland, von links Burkhard Kieker (CEO visitBerlin), Melissa Ow (Chief Executive, Singapore Tourism Board), David Ruetz (Senior Vice President, Messe Berlin), Santa Claus himself, Alvin Tan (Minister of State, Ministry of Trade and Industry, SingaporeI) und Kristiina Hietasaari (Senior Director, Visit Finland). Bild: ITB-Asia

Laut Ruetz muss man die verschiedenen Regionen Asiens separat analysieren, wenn es um die Frage der Erholung nach der Covid-Krise geht. China habe nach dem Restart die rasanteste Entwicklung gezeigt, meint der Industrieexperte. «Aber die Konsulate und Visastellen waren überhaupt nicht auf den Ansturm der Reisewilligen vorbereitet, weder personell noch, was die administrativen Abläufe angeht. So konnte es vier Monate dauern, bis ein chinesischer Reisender ein Visum bekam, um etwa zum Oktoberfest fliegen zu können».

Das sei besonders folgenschwer für Dienstleistungsträger, die China-spezifische Zahlungssysteme eingeführt hatten und chinesisch sprechendes Personal einstellten. «Die stehen jetzt in leeren Geschäften rum», so Ruetz. Er denkt, dass derartige Engpässe noch bis Ende dieses oder gar Anfang nächsten Jahres ein Problem bleiben könnten. Gleichzeitig hätten andere Länder begonnen, sich auf den massiven Markt Asien zu fokussieren. Saudi-Arabien etwa habe eine neue China-Strategie verabschiedet, mit der es die Zahl der Besucher aus dem Land der Mitte in fünf Jahren von 80'000 auf fünf Millionen erhöhen wolle. Ruetz findet die Pläne doch eher sportlich, gemessen an der Tatsache, «dass die Chinesen ja ihre eigenen Wüsten haben». Und zum Shoppen könnten sie nach Singapur fliegen.

Ein weitere Herausforderung, die eine Erholung verlangsame: Personalmangel. In diesem Bereich hätten Märkte sehr unterschiedlich auf die Covid-Gefahr reagiert. Während einige Länder ihre Hotellerie-Fachkräfte zu Beginn der Krise nachhause schickten, hätten andere alles darangesetzt, sie behalten zu können. «Hier in Singapur etwa hatte man über 2000 Mitarbeiter während der Pandemie als sogenannte 'social distance helper' weiterbeschäftigt, zu gleichem Gehalt. Die mussten dann in die Parks gehen und auf den Strassen schauen, dass die Leute nicht zu nahe aneinander kamen und miteinander sprechen. Hauptsache, ihr bleibt uns erhalten, lautete die Devise der Singapurer Regierung», so Ruetz.

Keine Spur von Technophobie

Technologieanbieter und technologische Dienstleistungen waren in Singapur besonders prominent vertreten – ein Zeichen für deren wachsende Bedeutung im Reisegeschäft. Rapide Entwicklungen in der Technologie würden Asien als Quellregion für Touristen besonders attraktiv machen, meinten verschiedene Industrievertreter an der Messe gegenüber Travelnews. Denn in Asien ist das Wort «Technophobie» unter Reisenden praktisch unbekannt. Im Gegensatz zur Situation in gewissen europäischen Märkten, scheint es.

David Ruetz dazu: «Wir haben untersucht, ob die Reisenden bereit wären, einem humanoiden Wesen am Hotelschalter ihr Checkin anzuvertrauen. Also nicht ein Automat, sondern ein Humanoid-Roboter, eine Dame in einem Kostüm, die Mund und Augen bewegt und den Kopf dreht. Sie hat auf der Messe Auskunft gegeben als 'Messe Counter Hostess'. Die Studie ergab, dass unter asiatischen Reisenden die Akzeptanz für einen Humanoiden in einem Hotel über 60 Prozent liegt. Bei europäischen Touristen seien es weniger als 20 Prozent. «Das Beispiel zeigt mir, dass wir in Asien im Bereich Technologie und Technologie-Anwendung einfach wesentlich weiter sind», so Ruetz.

Aminath Faihaa Waheed, (Administration Visit Maldives), Maleeha Ali (Senior Marketing Coordinator Visit Maldives); Thoyyib Mohamed (CEO & Managing Director, Visit Maldives), Alvin Tan, Minister of State, Singapore), David Ruetz (Senior Vice President, Messe Berlin) und Melissa Ow (Chief Executive, Singapore Tourism Board). Bild: ITB-Asia

Die Kombination einer immer jünger werdenden Population, der engeren Vernetzung und Verflechtung über verschiedenste Technologien und Plattformen, sowie dem Fehlen von Technophobie ist zwar eine enorme Chance, aber auch eine Herausforderung. Anbieter, die sich dieser Realität stellen, fänden jedoch grosse Möglichkeiten im asiatischen Markt, so verschiedene Sprecher. Doch es bedinge, dass sich Unternehmen kontinuierlich über die technologischen Veränderungen und das Marktverhalten informiert hielten.

Das Verhalten der Konsumenten bei der Recherche von Reisedestinationen und -produkten etwa ändere sich laufend, so Hermione Joye von Google Asia-Pacific. Laut einer neuen Studie des Internet-Giganten ist die Plattform Youtube momentan die wichtigste Quelle von Inspiration für Reisende aus dem asiatischen Raum. Dabei sei nicht entscheidend, dass die Video-Clips «Hollywood oder Bollywood-Qualität haben», so die Expertin.

«Ganz im Gegenteil: das würde ihre Glaubwürdigkeit beeinträchtigen. Einfach ist also besser». Anbietern touristischer Produkte, Destinationen oder Dienstleistungen empfiehlt sie bei der Schaffung von Youtube – Videos, auf Echtheit und Natürlichkeit zu schauen. «Seien Sie dort, wo ihr Kunde ist. Sprechen Sie seine Sprache», meint Joye. Ein weiterer entscheidender Schritt im Buchungsablauf sei die unabhängige Beurteilung durch andere Reisende, durch die Nutzung von Plattformen wie etwa Tripadvisor.com. In Asien gebe es kaum potenzielle Touristen, die nicht ein solches Instrument benutzen, bevor sie den Buchungsknopf drücken.

Tourismus in Palästina: Hoffnung trotz Blutbad

Als er in Singapur angekommen sei, habe der Angriff israelischer Truppen in Gaza gerade eine neue Intensität erreicht, erzählt Majid Ishaq, Marketingdirektor des palästinensischen Ministeriums für Tourismus. «Ich sass erst mal nur in meinem Hotelzimmer, wie gelähmt. Ich wollte nicht raus». Dass die palästinensische Tourismusindustrie an der ITB Asia überhaupt vertreten war, erstaunte nicht wenige Delegierte. Einfach war der Weg nach Singapur nicht für Ishaq und seine Kollegen. Er hat, wie fast alle Palästinenser, Verwandte im Gazastreifen. Die Sorge um deren Zukunft, die Angst um ihr Leben, ist im Gespräch mit dem Offiziellen deutlich spürbar.

Auch das palästinensische Ministerium für Tourismus war an der ITB Asia überraschenderweise vertreten. Bild: Adobe Stock

Trotzdem versprüht Ishaq geradezu Optimismus. Er sei grosser Hoffnung, dass für den Konflikt bald eine Lösung gefunden werden könne, meint er. Deshalb sei es entscheidend, weiter zu vermarkten, was ein wirklich einzigartiges Produkt sei – das Heilige Land. «Wir müssen unseren Kunden rund um die Welt zeigen, dass wir noch immer dort sind und auf den Moment warten, wo sie uns wieder ihre Gäste schicken können». Der typische Reisende ins Heilige Land habe in der Regel religiöse Gründe. Der Entscheid aber, einen palästinensischen Anbieter zu berücksichtigen, habe oftmals mit dem Verlangen des Kunden zu tun, Palästina zu sehen, wie es wirklich sei, «ohne Interpretation durch eine dritte Stimme». Viele Gäste wollten jedoch einfach auch «Palästina finanziell unterstützen und uns gegenüber Sympathie zeigen».