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Am Muttertag Mitte August war Pattaya Thailands meistbesuchtes Ziel einheimischer Familien. Das war nicht immer so. Bild: Adobe Stock

Pattaya: Der grösste Spielplatz der Welt – ab sofort auch für Kinder

Bernd Linnhoff

Thailand-Korrespondent Bernd Linnhoff hat Pattaya besucht und schreibt über einen Wandel, der jüngst beschleunigt wurde.

Kein Image kommt geflogen wie eine Frisbee-Scheibe und ist plötzlich da. Es wächst, dann ist es Beton. Ein Top-Image kann in Minuten zerschmettert werden, doch es kann Jahre brauchen, ein schlechtes zu ändern. Manche Städte haben gar kein Image, Pattaya hat gleich zwei. Walking Street und Muttertag. Wie passt dieses Duo zusammen? Nur eine Frage der Perspektive? Vielleicht ist das einstige Dorf am östlichen Golf von Thailand, das nun 120'000 Einwohner zählt, ja auch eine passende Metapher fürs ganze Land. Für seine Vielfalt, seine Toleranz und das geschmeidige Navigieren durch alle Widersprüche.

Aus Sicht der meisten Westler bleibt Pattaya Sin City, das Sündenbabel am Meer. Unterschlupf für Kriminelle, Tatort und Hauptstadt fantasievoller Sexzesse. Mediale Überschriften stützen dieses Image nahezu täglich. Chinesische Betrügerbande verhaftet. Deutscher Immobilienmakler zerstückelt in Gefriertruhe gefunden. Einheimische Jugendliche belagern Pool-Villen mit scharfen Waffen. Schlägereien am Strand. Älterer Japaner fällt vom Balkon im achten Stock seines Hotels; Russin (33) fällt vom Balkon ihres Apartments im neunten Stock. Und keiner weiss: War es Alkohol? Suizid? Pech? Mord? Und warum sind es eigentlich immer Inder, denen die Ladyboys die Goldketten klauen?

Angesichts dieser Geschichten mag es erstaunen, dass sich der normale Besucher keineswegs gefährdet fühlt in Pattaya, was ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann.

Björn Jahner

Bleibt der Imagefaktor Sex. Wie meist in Thailand, ist das Bargewerbe öffentlich einsehbar, was seinen Gegnern die Empörung erleichtert. «Die Branche erlebt hier nach der Aufhebung der Reisebeschränkungen einen neuen Boom», beobachtet Björn Jahner, 42. Der Norddeutsche lebt seit 20 Jahren in Thailand, seit 12 Jahren in Pattaya als Redaktionsleiter des deutschsprachigen Magazins «Der Farang». «Doch der Wandel der Stadt», ergänzt Jahner, verdränge das Gewerbe verstärkt in zweitklassige Lagen in der Innenstadt.

«Für die meisten westlichen Urlauber allerdings bleiben die Walking Street mit den Neonreklamen der vielen A-Go-Go-Bars, Nachtclubs und Restaurants sowie der weltbekannte Pattaya-Schriftzug auf dem Pratumnak-Hügel die ungeschlagenen Wahrzeichen.»

Pattaya ist bekannt für die Walking Street mit den Neonreklamen der vielen Go-Go-Bars, Nachtclubs und Restaurants. Bild: Adobe Stock

«Man darf nicht vergessen», fügt Pascal Schnyder an, «wie der Ort wurde, was er heute ist.» Fragt man den 55-Jährigen, woher er kommt in der Schweiz, sagt er: «Luzern.» Doch geboren wurde Schnyder in Südkorea, ehe ein Schweizer Ehepaar das Waisenkind adoptierte. Seit 1999 lebt Schnyder in Pattaya; dort führt er das «Casa Pascal», ein Restaurant für gehobene Thai- und europäische Küche.

Pascal Schnyder

«In den 1960er-Jahren war Pattaya ein kleines Fischerdorf», erzählt der Gastronom, «unweit des Flughafens U-Tapao, damals ein reiner Luftwaffenstützpunkt. Während des Vietnamkriegs hauptsächlich genutzt von der US Air Force, wenn sie ihre mörderischen Flüge gegen Vietnam, Laos und Kambodscha startete. Verwundete oder auch GIs auf Urlaub erholten und entspannten sich in den benachbarten Dörfern am Meer. Pattaya bot einen schönen Strand, der Bombenlärm war endlich mal weit weg. Aber die GIs brauchten auch Entertainment, und dazu gehörten Prostituierte.»

So habe Pattayas Aufstieg zur Entertainment-Metropole begonnen und sich den Namen `Grösster Spielplatz der Welt` verdient. Für Erwachsene, versteht sich. In den letzten 25 Jahren hat sich die Stadt stark verändert. «Ob zum Guten oder zum Schlechten, ist Ansichtssache», meint Schnyder, «fest steht, dass es mehr und mehr junge Thais in die Stadt zieht, die meisten im Alter zwischen 28 und 38. Sie wollen und können sich etwas leisten.»

Thailands meistbesuchtes Ziel einheimischer Familien

Womit wir beim zweiten Image angelangt sind, dem Bild, das sich die Einheimischen von Pattaya machen. Am Muttertag Mitte August war Pattaya Thailands meistbesuchtes Ziel einheimischer Familien. «Hierzulande sind viele Mütter sehr jung, zwischen 20 und 25 Jahren, sie werden an dem Tag verwöhnt», sagt Schnyder, der zur Feier des Tages jedem weiblichen Gast ein kostenloses Glas Prosecco kredenzte. «Das Restaurant war gerammelt voll, keine Ahnung, ob es nur am Freiglas lag.»

Eher nicht. Der Trend ist eindeutig, wie Björn Jahner weiss: «Pattayas aktueller Wandel wurde durch die Pandemie sogar noch beschleunigt. An die Stelle internationaler Besucher rückten damals sowohl junge als auch wohlhabende Inlandstouristen, vor allem aus dem nahen Bangkok, die Pattaya völlig neu kennen und lieben lernten. Weil sie das immer grösser werdende Angebot an luxuriösen, hochpreisigen Hotels und Erlebniswelten schätzen, das sich längst nicht mehr hinter Bangkok verstecken muss, wie Beispiele zeigen: Das Grand Centre Point Space als erstes Weltraum-Themenhotel in Thailand; das als Beach und Seafood Club neu konzipierte Hotel A One Royal Cruise und das als Abenteuer- und Wasserpark entworfene Resort Centara Grand Mirage Beach Resort. Alles ist heute etwas schicker und exklusiver als vor Covid-19.»

Der drei Kilometer lange Pattaya Beach lockt einheimische Besucher in die Stadt. Bild: BL

Im Gegensatz zu westlichen Urlaubern will kein Thai am Strand in der Sonne braten. Wo weisse Haut als schön gilt, ist Bräune entweder schon vorhanden oder keine Option. Dennoch lockt vor allem der drei Kilometer lange Pattaya Beach einheimische Besucher in die Stadt. «Dort picknicken sie in den späten Nachmittagsstunden mit ihrem Nachwuchs», beobachtet Jahner, «dort gehen sie spazieren, spielen oder lassen Drachen steigen. Am Strand relaxen sie mit Freunden und machen viele, viele Selfies. Auf TikTok wurden in diesem Jahr 2023 Strandvideos aus Pattaya 128,5 Millionen Mal angeschaut; mehr Aufrufe zählte allein Sydneys Bondi Beach mit über 445 Millionen.»

Inzwischen wissen auch immer mehr ausländische Familien das lokale Angebot für Erwachsene und Kinder zu schätzen, wie Jahner betont. Vor allem die Freizeit- und Wasserparks, die nahe Pattaya aus dem Boden schießen: Ramayana Water Park, Columbia Pictures Aquaverse, Pattaya Floating Market, FROST (Snow Wonderland), Underwater World Pattaya, Mini Siam, Nong Nooch Tropical Garden, Legend Siam Pattaya. Auch der Einzelhandel hat sich für Familien mit Kindern gut aufgestellt. In den Kinderwelten zweier Einkaufszentren tobt, klettert und spielt der Nachwuchs gleich auf mehreren Etagen. Gegen Gebühr.

Pattaya ist abhängig vom Tourismus, das hat die Pandemie gezeigt. «Und die Stadt hat reagiert», meint Jahner, «und mit vielen Aktivitäten, darunter internationale Musikfestivals wie `Wonderfruit` oder `Rolling Loud`, Pattayas Image international und lokal auf ein neues Level katapultiert.»

Für wohlhabende Touristen und Familien

Das muss sich bei den Westlern noch herumsprechen, damit auch die das eindimensionale Bild vom Sündenbabel aus den Köpfen bekommen. Hilfreich wäre es, wenn es künftig weniger Anlass für furchteinflössende Überschriften gäbe. Damit das angestrebte Image greifen kann: Pattaya als moderner, international anerkannter Urlaubsort für wohlhabende Touristen und Familien sowie als Zentrum für Konferenzen, Ausstellungen und Incentives auf höchstem Niveau.

Ich war zuletzt Anfang 2022 im Seebad am Golf. Meine grundsätzliche Aversion gegen den Ort war nie eine moralische, immer eine ästhetische. Da ist ein Dorf über sich selbst hinausgewachsen, um vielerorts auszusehen wie ein Patchwork mit Wucherungen. Rasantes Wachstum von Städten ignoriert meistens das menschliche Bedürfnis nach ansprechender Architektur. Weil andere Bedürfnisse stärker treiben, das Fass muss nicht schön sein, damit der Wein schmeckt. Die Form folgt der Funktion, und das Zauberwort heisst Profit.

Entspannte Tage im Strandhotel, Blicke aufs Meer und der Besuch zweier schön gelegener Restaurants im Süden Pattayas veränderten meinen Blick auf die Stadt und ihre Optionen. Seither verstehe ich die Freunde, die aus Bangkok in diese Region ziehen. An manchen, nicht unbedingt preiswerten Stellen wirken Landschaft und Immobilien fast mediterran.

Dank Pattayas Infrastruktur finden heute alle, was sie brauchen: thailändische Familien, die Gourmets, die Bardamen, die internationalen Gäste. In ihren unterschiedlichen Bedürfnissen ähneln sie Parallelen, die sich nicht einmal im Unendlichen treffen. «Man toleriert sich», sagt Pascal Schnyder dazu, «den Thais geht Harmonie über alles.» Muttertag und Walking Street schliessen einander nicht aus. Schliesslich ist Pattaya der grösste Spielplatz der Welt. Ab sofort auch für Kinder.


Bernd Linnhoff ist Travelblogger (Faszination Fernost) und Autor des Buches «Thailand unter der Haut». Er lebt in Chiang Mai und Bangkok.