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Arbeiten in der Ferienumgebung: Workation erlebt gerade einen Hype. Bild: Adobe Stock

Einwurf Der Ärger mit Workation

Vanessa Bay

Workation und Co.: Wenn Wertschätzung Ärger macht. Vanessa Bay schreibt in ihrem Einwurf über die Schattenseiten dieser Arbeitsform.

Natürlich ist es cool, wenn sich Firmen neue Formen einfallen lassen, um ihren Mitarbeitenden Wertschätzung zu zeigen, wenn diese sie verdient haben. Workation heisst das Konzept der Stunde – und es hat sich zu einem richtigen Hype entwickelt. Selbst Versicherungslösungen gibt es bereits dafür (sooooo cool und abenteuerlustig wollen die Schweizer dann doch nicht sein, dass sie unversichert ihrem Broterwerb nachgehen wollten). Die Medien tun ihr Bestes, um den Hype weiter anzuheizen, dazu gehört auch Travelnews.

Workation ist zweifellos eine ganz und gar coole Sache – für diejenigen, die das praktizieren können. Der Hype ist aber so gross, dass man meinen könnte, dass so ungefähr jede, die etwas auf sich hält, von ihrer kleinen Mittelmeerinsel aus arbeitet, und dass jeder, der überhaupt noch ins Büro geht, völlig out sei.

Aber Hand aufs Herz: Wie viele Personen in einer «normalen» Firma kommen für Workation überhaupt in Frage? Mit Ausnahme vielleicht von kleinen Software-Firmen, Kreativagenturen oder natürlich allen, die alleine und ausschliesslich auf eigene Rechnung wirken (und auch das volle Risiko tragen) sind das jeweils nur der kleinste Teil der Beschäftigten.

Da fühlen sich viele ausgeschlossen

Wenn man den in anderen Firmen jedoch sehr seltenen Ausnahmen seine Wertschätzung dadurch zeigt, dass man ihnen Workation gewährt, dann kann diese gut gemeinte Wertschätzung insgesamt jede Menge Ärger produzieren:

  • So manch eine Kollegin fühlt sich ungerecht behandelt, weil sie es auch glaubt verdient zu haben. (Das ist natürlich ein Kollateralschaden, wie er bei vielen Wertschätzungs-Instrumenten in der Führung vorkommt.)
  • So manch ein Kollege fühlt sich betrogen, weil seine private Situation als Familienvater mit kleinen Kindern es ihm gar nicht ermöglichen würde, Workation in Anspruch zu nehmen. Also: keine Aussicht auf die coole Belohnung. Frust!
  • All die Kolleginnen und Kollegen, deren Aufgabe Workation schlicht verunmöglicht, fühlen sich a priori ausgeschlossen und damit gerade nicht wertgeschätzt.
  • Für Kunden und Partner kann es ärgerlich sein, ihren Ansprechpartner wegen seiner Workation-Abwesenheit aufgrund einer Zeitverschiebung beispielsweise nur vor- oder nachmittags (und in jedem Fall nur digital) kontaktieren zu können.
  • Mitarbeitende in anderen Firmen, die ständig vom Workation-Hype lesen, ohne bei ihrem Arbeitgeber damit rechnen zu dürfen, fühlen sich plötzlich minder wertgeschätzt oder schlicht «im falschen Film» ob dem Hype. Mein Kollege, Physiotherapeut, schüttelt über all das nur den Kopf. Und ich bin ehrlich gesagt auch sehr froh, ist mein Zahnarzt mehrheitlich in der Praxis und nicht anderswo.

Man kann die Ärgerliste leicht verlängern. Die Gesamtbilanz einer an sich coolen Idee kann damit sehr schnell ins Negative kippen.

Teuer und nicht nachhaltig

Es kommt aber noch etwas Weiteres dazu: Wo immer Führung auf den alten Grundsatz «Glückliche Kühe geben mehr Milch» baut und versucht, dieses Glück durch extrinsische Motivation (Lohn, Bonus, Fringe Benefits etc.) zu vermitteln, erfährt sie alsbald, wie schnell sich diese Mittel abnützen.

Es ist schon fast wie bei Drogen – man braucht immer mehr davon, um überhaupt noch einen Kick zu verspüren. Je häufiger wir also neue solche Mittel der Wertschätzung erfinden und je cooler sie sind, desto häufiger müssen wir immer mehr und immer noch coolere solche Mittel erfinden. Und die Konkurrenz schläft ja bekanntlich nicht. Wenn dann überdies gerade noch ein dezenter Fachkräftemangel herrscht, dann werden wir bei Anstellungsgesprächen mit immer neuen Anforderungen konfrontiert – und spätestens dann ärgern sich auch die Chefs.

Das ist nicht bloss anstrengend und teuer, sondern auch nicht nachhaltig. Und es führt dazu, dass die wichtigste Art der Wertschätzung immer weniger wertgeschätzt wird: die Befriedigung, einen sauguten Job gemacht zu haben, eine tolle Leistung erbracht zu haben, eine geniale Problemlösung gefunden zu haben, einen Kunden überaus glücklich gemacht zu haben. Früher oder später rächt sich das.

Nicht im Goodie-Programm

Dummerweise ist der Glanz von all dem vordergründig viel kleiner als der von Möglichkeiten wie Workation (respektive vor kurzem wars noch Home-Office). Die Erwartung vieler Mitarbeitenden wird dadurch verzerrt. Sie erwarten sich ein viel, viel höheres Zufriedenheitsgefühl von coolen Dingen wie Workation als von altbackenen Ideen wie «ein glücklicher Kunde». Allerdings holt sie die Wirklichkeit dann mal ein. Irgendwann vermissen sie das Büro – denn dort ist der Ort, wo man auch über die Chefin ablästern kann. Dort hat man (vielleicht zumindest) gute und interessante Kollegen, von denen man was lernt und mit denen man Spass hat. Und dort besinnt man sich vielleicht darauf, was an der eigenen Aufgabe intrinsisch motiviert.

Bitte nicht falsch verstehen: Ich verschliesse mich weder neuen, interessanten Ansätzen noch missgönne ich jemandem zwei Wochen Arbeiten am Ferienort. Aber ich habe höchsten Respekt vor Konflikten im Unternehmen und damit der Gefährdung der Kultur. Und wer das Argument ins Feld führt, in der Reisebranche liege Workation ja auf der Hand: Absolut. Je nach Unternehmen und Geschäftsmodell steht das aber seit eh und je im Stellenprofil – aber nicht im Goodie-Programm.

Kurzum: Workation ist sicher gut gemeint. Gut meint ist aber nicht immer gut getan. Und so sollte auch bei diesem Paket nicht bloss «Friede, Freude, Glücksgefühl» drauf gedruckt werden. Denn es ist nicht nur Friede, Freude, Glücksgefühl drin. Ganz sicher und bei weitem nicht für alle.